Alois Glück mahnt an, dass neben der dringlichen Versorgung an ankommenden Flüchtlinge, die Fluchtursachen und die Herausforderungen der Integration in den Blick genommen werden müssen.
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Alois Glück
Die Flüchtlingsfrage zwischen Willkommenskultur und Kapazitätsgrenzen
Die Flüchtlingsthematik ist jetzt und sicher für eine längere Zeit eine dominierende Herausforderung für die deutsche und europäische Politik. Wir können aus dieser Wirklichkeit nicht flüchten, sondern haben nur die Alternative diesen Wandel zu gestalten oder ihn mit Abwehrhaltung zu erleiden.
Die dringlichste Aufgabe bleibt natürlich weiter die Versorgung der Ankömmlinge und ihre Unterbringung. Wir stoßen dabei nicht an den Grenzen des Willens zu einer guten Willkommenskultur, sondern an die Grenzen der logistischen Kapazitäten, die ja nicht mit der Erstaufnahme bewältigt sind.
Die Entscheidung, angesichts der humanitären Katastrophe an der Grenze die Flüchtlinge nach Österreich und Deutschland zu lassen, hatte sicher ihre Probleme und es war deshalb auch die Entscheidung zu den Grenzkontrollen wichtig. Gleichzeitig hat aber auch dieser große Zustrom und die damit geweckte Hilfsbereitschaft Deutschland ein humanes Kapital für seine internationalen Aufgaben gegeben, das ungeheuer wichtig und auch eine Chance ist.
Diese humane Botschaft hat das Bild Deutschlands grundlegend korrigiert, das im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um den finanzpolitischen Kurs in der Europäischen Union häufig als ein mit Kälte durchgesetzter durchgesetzter Machtanspruch dargestellt wurde. Auch dies gilt es im Hinblick auf diese umstrittene Entscheidung zu sehen.
Die Aufnahme und die Unterbringung der Flüchtlinge, die in großer Zahl zu uns kommen, ist nach wie vor eine große Herausforderung. Diese Aufgabe wird uns weiter gestellt bleiben, im Ehrenamt, in den hauptamtlichen Engagements und für die Politik. Unsere Kirchen und unendlich viele Menschen aus unseren Gemeinschaften leisten dabei Großartiges.
Dabei sollten wir nie aus dem Auge verlieren, dass dies ebenso viele Menschen leisten, die keine religiöse oder jedenfalls keine kirchliche Bindung haben oder in kirchlichen Strukturen arbeiten. Wir stellen keinen Exklusivanspruch, aber wir haben als Christen aus unserem Glauben heraus natürlich eine besondere Verpflichtung.: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, habt ihr mir getan.“
Als Kirche und insbesondere als engagierte Laien in unserer Kirche und in Gesellschaft und Politik sind wir jetzt aber auch besonders gefordert bei den Themen, die nun über diese erste Phase hinaus von großer Bedeutung sind, die die Diskussionen und auch Auseinandersetzungen der nächsten Wochen, Monate und wahrscheinlich Jahre prägen werden:
- Wir müssen uns entsprechend Art. 1 unseres Grundgesetzes als für alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes verpflichtenden Maßstab, dafür zu engagieren, dass die Würde des Menschen der Maßstab für den Umgang mit den Menschen ist. Im Alltag ist dies der Respekt vor dem Anderen. Dies ist in der Umsetzungsarbeit zu leisten und dies gilt als Maßstab der notwendigen und eindeutigen Auseinandersetzung gegenüber all den gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen, die diesen Maßstab verletzen. Dabei ist immer zu bedenken: Die Radikalität beginnt mit den Worten und dies ist der Nährboden dann für entsprechendes aggressives Verhalten. Also: Wehret den Anfängen. Die verbale Gewalt ist die Vorbereitung zur Gewaltanwendung!
- Uns steht eine außerordentlich schwierige Debatte über die Möglichkeiten der Steuerung und der Begrenzung der Zuwanderung ins Haus. Was sind die Maßstäbe dafür? Was ist rechtlich und politisch möglich und notwendig? Wo ist die Grenze?
- Was ist notwendig, damit Integration gelingt? Das ist das große Thema für wichtige Klärungsprozesse im gesellschaftlichen und politischen Diskurs und für die Entwicklung der notwendigen Maßnahmen. Klar muss sein: Für alle, die zu uns kommen und die in unserem Land leben wollen, gelten die Maßstäbe unseres Grundgesetzes. Die Würde des Menschen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Trennung von Staat und Religion. Hier brauchen wir aber mehr als den Verweis auf Recht und Gesetz. Wir brauchen in diesem Sinne eine „Leitkultur“.Dies bedingt, dass wir unsere eigenen Werte, unsere eigene Kultur schätzen, uns damit identifizieren, auch in der Vielfalt der Möglichkeiten und der individuellen Situationen von Menschen. In diesem Sinne ist Deutschland in seinen unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen in den einzelnen Regionen ja auch „bunt“. Wenn wir selbst verkörpern, was wir wollen und dafür aktiv eintreten, brauchen wir vor einem Druck oder gar einer „Überfremdung“ durch die Zuwanderer aus anderen Religionen und Kulturen keine Angst zu haben!In diesem Feld der Wertediskussion, der klaren Orientierungen für uns selbst und für die Zuwanderer entscheidet sich die weitere Entwicklung! Das ist für die Zukunft unseres Landes der Schlüssel, der entscheidende Bereich. Hier wird sich zeigen müssen, welche kulturprägende Kraft die christliche Religion in dieser Situation entwickelt.
- Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen und zugleich sehen, dass diese sehr unterschiedlich sind. Dies gilt für die inneren Entwicklungen in den betroffenen Ländern und in besonderer Weise dort, wo die Fluchtursache bei kriegerischen Auseinandersetzungen liegt. Die größte Herausforderung ist die weitere Entwicklung in Afrika. Afrika ist das Schicksal Europas, hat Horst Köhler schon als Bundespräsident formuliert. Im Hinblick auf die innere Entwicklung der Länder haben wir in unserer Kirche mit den verschiedenen Hilfswerken eine besondere Kompetenz und es gilt, diese einzubringen.
- Der starke Strom von Flüchtlingen zeigt überdeutlich die Schwächen der Europäischen Union und stellt ihre Zukunft in dramatischer Weise in Frage. Der aktuelle politische Handlungsdruck ist die Frage der Solidarität bei der Aufnahme. Ebenso wird sich Europa mehr in den verschiedenen Konfliktregionen engagieren müssen. Auch dort, wo es besonders schwierig wird, bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Das besonders unbequeme für uns in Deutschland ist, dass Deutschland eine Führungsrolle in Europa und für Europa zugewachsen ist und wir dieser Verantwortung gerecht werden müssen.
- Für den gesellschaftlichen und politischen Diskurs ist es von grundlegender Bedeutung, dass wir die so total veränderte Situation für unser Land im Prozess der Globalisierung verständlich machen. Sonst werden die Illusionen einer Abschottung von den Krisen dieser Welt propagiert.Die Situation verlangt Führung! Die Bringschuld der Führungsverantwortlichen in der Politik und in den gesellschaftlichen Gruppierungen ist, verständlich zu machen, dass wir hier in den verschiedensten Formen Verantwortung übernehmen müssen – im Hinblick auf die Flüchtlinge, auf das Engagement in den Kriegsgebieten und auf Aufbauleistungen in den Herkunftsländern.
- Die Krisen zeigen dramatisch, welche Bedeutung intakte Staatsstrukturen, welche Bedeutung rechtsstaatliche Entwicklungen für die Entwicklung der Länder und für die Situation der Menschen haben. Die Entwicklung zeigt auch, welche Bedeutung handlungsfähige Staatsorgane haben.Sie zeigt, wie sehr die Entwicklung der Länder und die Lebensbedingungen der Menschen davon abhängen. Die Menschen wollen vor allem auch deshalb zu uns, weil wir hier die sicheren Lebensbedingungen eines Rechtsstaates haben. Das sollte uns zu einer neuen Wertschätzung in der Bedeutung staatlichen Handelns, des Rechts, der funktionsfähigen und handlungsfähigen Organe im Rahmen der Demokratie und des Rechtsstaates führen.Gerade auch, weil im kirchlichen Raum darüber mehr mäkelnd und unzufrieden geredet wird und nicht mit der notwendigen Wertschätzung, ist es auch unsere besondere Aufgabe, diese Erfahrung durch den Vergleich wiederzugeben. Vor allem ist dies aber auch ein Grund zu einem entsprechenden gesellschaftspolitischen und konkreten politischen Engagement! Unser Land braucht engagierte Christen!
Alois Glück (1940) ist Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Von 1970 – 2008 war er Mitglied des Bayerischen Landtags und dort 1988-2003 Vorsitzender der CSU-Fraktion und 2003 – 2008 Präsident des Landtages. Er ist Mitherausgeber von kreuz-und-quer.de