FÜR EIN ANLASSBEZOGENES BURKA-VERBOT

Stephan Eisel plädiert bei der Debatte um die Vollverschleierung im Spannungsverhältnis zwischen Religionsfreiheit und Integrationsnotwendigkeit für differenzierte Lösungen.

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Stephan Eisel

Für ein anlassbezogenes Burka-Verbot

Bei der Debatte um die Vollverschleierung gilt es, abseits aller Emotionen nüchtern die Fakten und rechtlichen Möglichkeiten zu bewerten. Innenminister Thomas de Maizière weist zu Recht darauf hin, dass es dem Freiheitsv­erständnis des Grundgesetzes widerspricht, alles zu verbieten, was uns nicht ge­fällt. Andererseits gibt es keine unbeschränkte Freiheit: Grenzen setzen der Respekt vor der Freiheit des Anderen und die Akzeptanz der Grundlagen unserer freiheitlichen Demokratie.

1. Worum geht es

Im Islam gibt es unterschiedliche Formen der Verschleierung. Während der Niqab aus der vorislami­schen Beduin­enkultur stammt, um Körper und Gesicht vor Sonne und Wind zu schützen, lässt sich die Burka erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts nachweisen. Im Koran gibt es die Aufforderung an Frauen, einen Schal zu tra­gen, der ihren Schmuck verdeckt bzw. „etwas von ih­rem Überwurf über sich herunterziehen“, damit sie nicht belästigt werden. Erzkonservative Musli­me berufen sich darüber hinaus auf eine Textstelle, nach der Männer keinen direkten Zutritt zu den Frauen des Propheten ha­ben sollen, sondern nur getrennt durch einen Vorhang („Hijab“) mit ihnen reden dürfen.

Burka_Fotor

Daraus wird die Forderung abgeleitet, alle Frauen sollten sich bis auf Gesicht und Hände voll­ständig bedecken (Chador). Mit der Ganzkörperverschleierung haben Islamisten diese Vorschrift ins Extrem getrieben. Die Bur­ka mit ei­nem Stoffgitter zur Verhüllung selbst der Augen wird vor allem in den Golfstaaten getragen, die vom erz­konservativen Wahabismus dominiert sind. Im fundamentalisti­schen Saudi-Arabien ist diese Form der Ver­mummung sogar vom Gesetzgeber verpflichtend festge­legt. Auch die Taliban in Afghanistan haben die Burka zwangsweise durchgesetzt, ebenso der „Isla­mische Staat“ in dem von ihm besetzten Gebieten.

Wenn in Europa über ein „Burka-Verbot“ diskutiert wird, sind die Ganzkörperverschleierungen von Niqab und Burka gemeint.

2. Religionsfreiheit

Zwar lässt sich dem Koran eine Burka-Pflicht nicht unmittelbar ableiten und die meisten Muslime leh­nen die Ganzkörperverschleierung ab. Dennoch gehört sie für bestimmte Gruppen zu ihrem Glaubens­verständnis und ist deshalb grundsätzlich durch die vom Grundgesetz geschützte Religi­onsfreiheit ab­gedeckt. Darauf weist auch der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in einem Gut­achten aus dem Jahr 2010 hin:„Das Tragen ei­ner Burka fällt damit in den Schutz­bereich des Art.4 GG, soweit die Trägerin dies als verbindlich von den Regeln ihrer Religion vorge­schrieben empfindet.„

3. Integrationsnotwendigkeit

Es lässt sich nicht bestreiten, dass das Tragen einer Burka ein bewusstes Zeichen von integrations­feindlicher Ab­grenzung vom Wertekonsens sein kann, der unsere freiheitliche Gesellschaft trägt. Des­halb empfinden auch vie­le die Ganzkörperverschleierung im öffentlichen Raum als Zumutung. Wie der wiss. Dienst des Bun­destages aus­führt, verlangt das Grundgesetz von uns allerdings, dies zu ertra­gen, denn „der einzelne (hat) kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen ver­schont zu bleiben. Insofern gewährt die negative Religionsfreiheit weder das Recht die Bekenntnis­äußerung an­derer zu verhindern, noch durch den Staat vor Konfrontationen mit religi­ösen Fakten geschützt zu werden. Es existiert kein Anspruch im öffentlichen Raum vor den religiösen Einflüs­sen der Umwelt abgeschirmt zu werden.“ Im übrigen ist es schwierig im konkreten Fall festzustel­len, ob die Burka aus religiösen Gründen getragen wird oder als politische Demonstration.

4. Selbstbestimmung der Frau

Der Ganzkörperverschleierung liegt ein Frauenbild zugrunde, das erkennbar im Widerspruch zu Arti­kel 3 GG steht: „(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichbe­rechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frau­en und Männern und wirkt auf die Beseit­igung bestehender Nachteile hin.“ Der wiss. Dienst des Bundestages stellt dazu fest: „Beide Regelungen zielen aber auf die Rechtsgleichheit zwischen den Geschlechtern. Der Staat erhält dadurch keinen Erziehungs­auftrag für seine Bürger, der ihn legiti­miert ein Verbot der Vollverschleierung auch gegen den Willen der be­troffenen Frauen durchzuset­zen.“

Ohne Zweifel besteht aber auch die Gefahr, dass die Ganzkörperverschleierung Frauen aufgezwungen wird. Dazu hat der wiss. Dienst des Bundestages eindeutig festgestellt: „Soweit die Burka aus anderen Mo­tiven – etwa aufgrund äußeren Zwangs – getragen wird, unterfällt dies nicht dem Schutzbereich des Artikels 4 GG.“

5. Burka-Verbot konkret

Frankreich führte 2011 ein landesweites Burka-Verbot ein. Der Europäische Gerichtshof urteilte im Juli 2014, dass das dortige Gesetz menschenrechtskonform sei. Das Tragen einer Burka untersagt hat auch Belgien. Im Se­negal hat die Regierung Ende 2015 die Ganzkörperverschleierung von Frau­en verboten, nachdem es zuvor meh­rere Selbstmordattentate von Burka-Trägerinnen oder von mit Burka verkleideten Männern gegeben hat­te.

Ende 2015 hat zudem der Schweizer Kanton Tessin nach einer Volksabstimmung ein Burkaver­bot be­schlossen. Dort heisst es heisst es jetzt in der Kantonsverfassung: „(1) Niemand darf sein Gesicht im öffentlichen Raum und an Orten verhüllen oder verbergen, die all­gemein zugänglich sind (ausgenom­men Sakralstätten) oder der Erbrin­gung von Publikumsdienstleist­ungen dienen. (2) Niemand darf eine Person zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu ver­hüllen.“

Die Erfahrungen in Frankreich und Belgien haben allerdings gezeigt, dass ein gene­relles Verbot im Alltag schwer durchzusetzen ist, zu ei­ner Solidarisierung radikaler Islamisten und einer Zunahme von Burka-Trägerin­nen füh­ren kann. Aus­serdem zeigten sich konkrete Probleme im Blick auf die Wirk­samkeit des Ordnungsgel­des: In Frank­reich über­nehmen muslimi­sche Organisationen das Bussgeld für Frauen, die gegen das Gesetz verstoßen. Im Tessin verkünde­te ein muslimischer Unternehmer öf­fentlichkeitswirksam mögliche Strafzah­lungen für Burka-Trä­gerinnen zu begleichen.

6. Was tun ?

Der wiss. Dienst des Deutschen Bundestages hält ein generelles Burka-Verbot in Deutschland für verfassungs­widrig, fügt aber hinzu: „Ein Verbot kommt nur im Einzelfall als Ergebnis einer Abwä­gung mit kolli­dierenden Ver­fassungsgütern in Betracht.“ Solche Einzelfallregelungen erscheinen sinnvoll, um Religionsfrei­heit und Integrati­onsnotwendigkeit gleichermaßen gerecht zu werden.

Einige Beispiele dafür gibt es schon:

Bei „öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel“ gilt das sog. „Vermummungsverbot“: Nach §17a des Versammlungsgesetzes ist es verboten, „an derartigen Veranstaltungen in einer Aufma­chung, die geeig­net und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identi­tät zu ver­hindern, teilzunehmen oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Auf­machung zu­rückzulegen.“

Das Tragen einer Burka bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes wird derzeit schon in den meis­ten Bundesländ­ern insbesondere für den Bereich der Schulen und Kindergärten verboten. Berlin und Hessen haben dar­über hinausgehende Regelungen, die sich auch auf Beamte und An­gestellte in der Landesverwaltung bezie­hen. Im Bundesbeamtenrecht gibt es keine vergleichbar­en Vorschriften. Der wiss. Dienst des Bundestages stellt dazu fest: „Ein Verbot des Tra­gens der Burka im öffentlichen Dienst bedürfte einer Änderung des Beamtenr­echts. Eine solche Rege­lung dürfte aber we­der konkret eine bestimmte Religion diskriminieren noch ein be­stimmtes religiöses Kleidungsstück verbieten.“

Unter Beachtung dieser Vorgabe wäre eine gesetzliche Regelung sinnvoll, die Einzelregelungen zusammenf­asst und systematisiert. Danach könnte die Formulierung des Versammlungsgesetz aufgrei­fend eine „Aufma­chung, die geeignet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern“ für den öffentli­chen Dienst incl. des Be­suchs von Ämtern, vor Gericht, bei Pass- und Verkehrskontrollen, in öffent­lich finanzierten Bildungseinrichtun­gen von Kitas bis zur Hochschule usw. verboten werden. Das soll­te übrigens auch bei der Teilnahme an den gesetzlich vorge­schriebenen und finanzierten Integrations­kursen gelten. Außerdem sollten solche „Aufma­chungen“ dort verbo­ten werden, wo sie die Sicherheit gefährden wie z. B. beim Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr. Rechtlich sollten sollten Verstö­ße als Ordnungswidrigkeiten im Verwaltungsrecht, nicht im Strafrecht geahndet werden.

Dazu könnte für bestimmte private Bereiche das Recht auf Zurückweisung der Vollverschleierung (das ist et­was anderes als ein Verbot) gesetzlich abgesichert werden – z. B. beim Besuch einer Bank oder im privaten Geschäftsv­erkehr.

Solche differenzierten Regelungen sind zwar mühsamer als ein allgemeines Burka-Verbot, aber sie sind zu­gleich wirksamer. Zum einen entfällt die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht wegen ei­nes generellen Eingriffs in die Religionsfreiheit tätig wird. Zum andern sollten wir uns im Respekt vor den Grundlagen unserer freiheitlichen Demokratie der Aufgabe nicht entziehen, genauer zu definie­ren, wann und warum Freiheits­einschränkungen wie das Verbot des Tragens einer bestimmten Klei­dung gerecht­fertigt sind. Die Dis­kussion darüber ist sinnvoll und notwendig, weil sie zur Auseinan­dersetzung mit den Grundlagen freiheitlicher Demokratie zwingt.

Dr. Stephan Eisel (1955) war als Mitglied des Deutschen Bundestages bis 2009 Mitglied im Europaauschuss und u. a. 1983- 1992 zunächst als Redenschreiber und dann als stv. Leiter des Kanzlerbüros Mitarbeiter von Helmut Kohl. Seit 2010 ist er in der Konrad-Adenauer-Stiftung Projektleiter für „Internet und Demokratie“ sowie „Bürgerbeteiligung“. Er ist ver­antwortlicher Redakteur des Blogs für politisches Handeln aus christlicher Verantwortung kreuz-und -quer.de

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