Thomas Dörflinger beschreibt die ungebrochene Aktualität von Adolph Kolping, von dem der Hinweis stammt, das Christentum sei nicht nur für die Betkammern.
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Thomas Dörflinger
Adolph Kolping – aktueller denn je
Adolph Kolping (1813 – 1865), der zunächst Schuster war und dann Priester wurde, ging als der „Gesellenvater“ in die Geschichte ein. Brauchen Gesellen heute noch einen Vater? Zudem einen, der schon 150 Jahre tot ist? Ist Kolping, der die Gesellenvereine und die Gesellenvereine ins Leben rief, nur mehr eine historische Figur und damit das Kolpingwerk, das heute auf seinen Spuren und in seinem Namen arbeitet, ein Auslaufmodell? Ein näherer Blick auf den katholischen Seligen und auf den Verband, der heute knapp 250.000 Mitglieder in Deutschland und weltweit gut 450.000 Mitglieder zählt, lohnt.
„Gott stellt jeden dorthin, wo er ihn braucht.“ Damit meinte Kolping weniger irgendeine Form von Vorsehung, er formulierte mit dem Satz einen wesentlichen Aspekt des Prinzips der Personalität. In der Gottesebenbildlichkeit hat buchstäblich jeder Mensch seine eigene Würde. Jeder Mensch hat seine eigenen Talente (Mt 25, 14-30). Kolping ermunterte die bis dahin vagabundierenden Gesellen, sich ihrer Würde bewusst zu werden. Er stiftete (in Gesellenvereinen) Gemeinschaft und (und in Gesellenhäusern) Heimat, die Fortbildung, Interessensvertretung und Sparvereine ermöglichten. Über hundert Jahre später nannte man Letzteres Mikrofinanzierung, und es war Grundlage für die Verleihung eines Nobelpreises.
„Wenn jeder auf seinem Platz das Beste tut, wird es in der Welt bald besser aussehen.“ Zugegeben; ein Zitat, das es so auch von anderen gibt. Aber: Im Gegensatz zu Marx, der in der Erhebung des Proletariats die Lösung sah, setzte Kolping auf Evolution statt Revolution. Er setzte mit der der Entwicklung kleiner Einheiten die Grundlage für das Prinzip der Subsidiarität; ähnlich wie seine Zeitgenossen Ketteler und Wichern. Kleine Einheiten sollten befähigt werden, ihre Dinge selbst zu regeln. Erst bei deren Überforderung tritt die nächsthöhere Einheit auf den Plan. Knapp 30 Jahre nach Kolpings Tod finden sich diese Gedanken in der Enzyklika „Rerum novarum“ Papst Leos XIII.; sie bilden heute einen Grundstein der Sozialen Marktwirtschaft und regeln idealiter das Verhältnis zwischen Staat und Individuum.
„Die Nöte der Zeit werden Euch lehren, was zu tun ist.“ Schon in der Frühphase der verbandlichen Entwicklung schärfte Kolping den Gesellen den Blick über den Tellerrand. Wo Freiheit entsteht, wächst auch Verantwortung. Verantwortung für jene, denen es weniger gut geht. Dies zeigt sich in der raschen Verbreitung der ersten Gesellenvereine zunächst über das Rheinland in andere deutsche Gegenden; noch zu Lebzeiten Kolpings nach Österreich, der Schweiz und andere europäische Staaten. Deutsche Auswanderer nehmen die Idee mit in die neue Welt. In den späten 1960er Jahren fasst das Kolpingwerk Fuß auf anderen Kontinenten und gehört mittlerweile zu den wichtigsten Akteuren entwicklungspolitischer Zusammenarbeit.
Was ist heute daraus geworden?
Den rein männlichen Gesellenverein von damals gibt es so gut wie nicht mehr. Längst sind Frauen nicht nur Mitglied, sondern tragen Verantwortung im Verband. In über 2.500 Kolpingsfamilien und 27 Diözesanverbänden in Deutschland kümmern sich die Mitglieder vor Ort um Kinder- und Jugendarbeit, sorgen sich um die Erwachsenenbildung und engagieren sich in der Seniorenarbeit. Der Gesellenverein von einst ist zum generationsübergreifenden Verband geworden. Man kümmert sich partnerschaftlich und auf Augenhöhe zusammen mit verbandlichen Akteuren in Afrika, Lateinamerika, Europa und Asien um die Belange der Einen Welt.
Wandernde Gesellen, wie man sie aus der Mitte des 19. Jahrhunderts kannte, sind selten geworden. Aber eine Wissensgesellschaft, die jungen Leuten auf der Suche nach Ausbildung ein Mehr an Mobilität abverlangt als noch vor 30 Jahren, provoziert ähnliche Herausforderungen. Was früher Gesellenhaus hieß, ist heute Kolping Jugendwohnen. Eine Anlaufstelle für junge Azubis, die am Ort ihrer Ausbildung nicht nur eine bezahlbare Unterkunft, sondern auch ein Freizeitangebot und eine pädagogische wie pastorale Begleitung finden. Schon seit einer Reihe von Jahren ist Kolping Jugendwohnen ein verlässlicher Partner bei der Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen; eine Kompetenz, die angesichts der aktuellen Herausforderung von besonderer Bedeutung ist.
Menschen, deren Startchancen in Beruf und Ausbildung verbesserungsbedürftig sind, gab es zu Zeiten Kolpings, und es gibt sie heute. Berufsbildungswerke in der Trägerschaft von Kolping befördern bei benachteiligten Jugendlichen den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Bildungswerke mit Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebote auch für Erwachsene machen beide Einrichtungen zusammen heute zu einem wichtigen Akteur auf dem Bildungssektor. Neben der Arbeit steht aber selbstverständlich auch der Urlaub. Urlaub auch für jene, die sich teure Ferien in der Ferne nicht leisten können oder wollen. Hier setzen die Familienferienstätten an. Wem die Anonymität eines großen Hotels eher fremd ist, trifft dort auf Gleichgesinnte. Spezielle Angebote für Kinder, ob gemeinsam oder ohne die Eltern; Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung ergänzt auch hier durch eine pastorale Begleitung.
Das Christentum sei nicht nur für die Betkammern, hat Adolph Kolping einmal leicht provozierend bemerkt. Daher schärfte er schon zu seinen Lebzeiten den Gesellen ein, sie sollen sich als tüchtig erweisen; in der Familie, in der Arbeit, in der Gesellschaft und als Christ. So besitzt für Kolpingmitglieder das Engagement für die Allgemeinheit seit jeher einen hohen Stellenwert. Man findet sie in Gewerkschaften, in Parteien, in Parlamenten (aktuell z.B. 33 Mitglieder im Deutschen Bundestag) oder in den Gremien der Sozialen Selbstverwaltung. Auch wenn das Kolpingwerk bis heute stets darauf geachtet hat, parteipolitisch neutral zu agieren, so eint die Arbeit seiner Mitglieder doch bestimmte Prinzipien. Das Eintreten für den Schutz des Lebens in allen Phasen menschlichen Daseins; die gesellschaftliche Orientierung an jenen, die nicht unbedingt zu den Privilegierten gehören; die stetige Mahnung, die Ausrichtung an der katholischen Soziallehre bei der Gestaltung von Staat und Gesellschaft im Blick zu haben; schließlich der Schutz von Ehe und Familie als der Keimzelle der Gemeinschaft, ohne dass man hierdurch die Anerkennung jener aus den Augen verlöre, die sich für eine andere Form des Zusammenlebens entschieden haben.
Apropos Familie. In einer Familie, auch in der Kolpingsfamilie und damit im Kolpingwerk hat die Jugend ihren besonderen Stellenwert. 45.000 Mitglieder zählt die Kolpingjugend in Deutschland. „Gemeinschaft macht Spaß – Engagement auch!“, lautet ihr Motto. Zwar geht der demographische Wandel auch am Kolpingwerk nicht spurlos vorüber, und man macht sich innerhalb der Verbandsleitung intensive (und nicht ohne Erfolg) Gedanken, wie die Mitgliederzahlen stabilisiert werden können. Manche Ratschläge sind aber zeitlos gültig, und damit wären wir zum Schluss wieder bei Adolph Kolping: „Wer die Menschen gewinnen will, muss das Herz zum Pfande einsetzen.“
Thomas Dörflinger (1965) ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er vertritt seit 1998 den Wahlkreis Waldshut-Hochschwarzwald im Deutschen Bundestag (CDU). Zuvor war er nach dem Studium der Politikwissenschaft und Geschichte als Journalist tätig. Seit 2004 ist er Bundesvorsitzender des Kolpingwerkes Deutschland. In dieser Funktion gehört er auch dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken an.