ÖFFNET DIE GOTTESHÄUSER FÜR FLÜCHTLINGE

Thomas Schwarz erwartet von den Kirchen mehr konkrete Taten in der Flüchtlingspolitik und fordert eine kongruente Antwort auf diese humanitäre Herausforderung.

Den folgenden Beitrag können Sie hier ausdrucken.

Thomas Schwarz

Konkrete Ökumene und Verantwortung:
Öffnet die Gotteshäuser für Flüchtlinge

Ganz Spanien ist auf der Flucht, und noch mehr als ganz Spanien. Oder die Ukraine, und noch mehr als die ganze Ukraine – mit oder ohne Krim. Beide Länder haben mehr als 45 Millionen Einwohner. Noch größer als diese Zahlen sind die derjenigen, die entweder im eigenen Land oder außerhalb in die Flucht getrieben sind. Ihre Sum­me: fünfzig Millionen. So viele Menschen waren seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr auf der Flucht. Jetzt wieder.

Solche Informationen sind kaum greifbar. Sie sind zu groß. Das menschliche Vorstellungsvermögen kann sie vermutlich nicht erfassen. Deshalb sollen die Vergleiche mit Spanien oder der Ukraine hel­fen. Man stelle sich zudem schwere Zerstörungen vor. Die Häuser von Gaudí und die Ramblas in Bar­celona, der Königspalast und der Prado in Madrid, riesige Hotelanlagen an den Küsten Spaniens oder auf Mallorca: alles wäre zerstört. Klaffende Löcher, durch die man durch mehrere Häuser gleichzeitig hindurchschauen könnte, täten sich auf. Die Straßen wären nahezu unpassierbar. Die Elektrizitätsver­sorgung und die mit Wasser wären unterbrochen. Lebensmittel gäbe es kaum noch.

Endlose Traumata

Man sähe in Gesichter von Kindern, deren Augen kaum noch einen festen Blick schafften, weil die Leere ihr Ziel geworden wäre. Sie würden Tote beklagen und Verwundete, Verschwundene. Sie hät­ten erlebt, wie vor ihren Augen Exekutionskommandos ihren Nachbarn ermordet hätten und wie die freundliche Frau vom Markt im Beisein der Kinder vergewaltigt worden wäre. Ihr bester Spielkamerad wäre ihnen abhanden gekommen, weil er mit den Eltern die Stadt verlassen hätte. Und die Puppe, die das Mädchen seit ihrem zweiten Lebensjahr als Gefährtin hatte, liegt zerfetzt irgendwo unter Trüm­mern.

All das mag pathetisch klingen, etwas weit hergeholt. Womöglich will der Autor durch Überzeichnung ein Drama schärfer zeichnen, um sicher zu gehen, dass verstanden wird, was er schreibt. Nichts davon ist übertrieben. Es entspricht der Erfahrung von Millionen Kindern und der Wirklichkeit von zig Mil­lionen Menschen. Ich habe mit vielen von ihnen gesprochen und mir ihre Geschichten angehört. Sie klingen alle ähnlich: ob im Tschad, in Jordanien oder dem Libanon, in Darfur oder in einem der größ­ten Flüchtlingslager der Welt in Dadaab in Kenia.

Vorauseilende Einwandswiderlegung

Es ist sicher wohlfeil, wenn die üblichen Kirchenkritiker Katholiken, Protestanten und anderen Chris­ten vorwerfen, dass sie einfach nichts gegen die Armut in der Welt unternähmen. Viel wird getan, nicht nur in Deutschland. Auch international sind die Hilfswerke vor Ort aktiv, leisten Hilfe zur Selbsthilfe. Das steht außer Frage. Gleichwohl sollte das Ende des Möglichen bei weitem noch nicht erreicht sein. Im Vergleich mit den meisten Ländern Asiens und Afrikas geht es den meisten mit Un­terstützung der Kirchensteuer üppig ausgestatten Bistümern und Pfarreien gut. Die unlängst veröffent­lichten Zahlen des Erzbistums Köln beispielsweise sind ein Beleg dafür. So zeigt die Entwicklung der Kirchensteuereinnahmen von 2000 bis 2013 eine recht stabile Entwicklung.

Gewiss, gegen viele der oben angeführten Zahlen, Argumente, Beispiele ließen sich Gegenpositionen finden. Zweifelsohne gäbe es Einwände, die nur schwer zu wiederlegen wären. Aber es geht nicht um Rhetorik, sondern um Taten.

Es kann sicherlich nicht darum gehen, alles Vermögen mit einer großen Schaufel wahllos in der Welt zu verstreuen, ohne darauf zu achten, wo es am Nötigsten gebraucht wird. Es geht auch nicht darum, von heute auf morgen sämtliche kirchlichen Immobilien – wozu auch Mietwohnungen und Hotels ge­hören – ab sofort Bedürftigen aus aller Welt zu öffnen. Das wäre auch gar nicht nötig. Schließlich lebt das Prinzip der Subsidiarität unter zahlreichen Flüchtlingen, oft genug im Familienkreis, ausgeprägter als mancherorts hierzulande.

Das St.-Martins-Prinzip

Worum es aber geht ist eine dem Geist der Bibel folgenden Gerechtigkeit. Der Heilige Martin hat sich nicht seines kompletten Umhangs entledigt, als er ihn mit einem Armen teilte. Nachdem er es durch­schnitten hatte, blieb ihm selbst genug Stoff übrig, um sich auch weiterhin damit wärmen zu können. Er hat die Hälfte seines „Schutzes“ abgegeben. Er hat christlich geteilt: „…nahm er das Brot und teilte es mit seinen Jüngern“. Daum geht es.

Was die Kirchen in Deutschland tun, ist nicht genug. Damit sind sie indes nicht allein. (Fast) alle hier­zulande tun zu wenig. Die Bundesregierung rechnet in diesem Jahr mit 200.000 Asylanträgen. Das sind die offiziellen Erwartungen, inoffiziell sind längst andere Größenordnungen im Raum. Die euro­päischen Zäune gegen Flüchtlinge aus Afrika halten dem längst nicht mehr stand, wofür sie einst ange­legt wurden.

Konkrete Ökumene nur glaubhaft durch Taten

Die Europäische Grenzagentur Frontex ist keine Antwort im Geiste der Gerechtigkeit. Sie ist ein Abwehrreflex gegen zu viele Flüchtlinge. Kirche muss die exakte Gegenposition beziehen, will sie glaubwürdig bleiben. Sie muss ihre Gotteshäuser öffnen, ihre Pfar­rhäuser, ihre Jugendheime. Die Zeit der Flüchtlingsströme wird nicht mehr aufhören, allenfalls abebben. Was fehlt ist eine kongruente Antwort auf diese humanitäre Herausforderung seitens der Kirchen.

Welch eine Chance zur Ökomene! So, wie Papst Franziskus gemeinsam mit Juden und Muslimen in den Vatikanischen Gärten für den Frieden im Nahen Osten gebetet hat, so sollten sich die deutschen Christen, Juden und Muslime zusammentun, um für die hier ankommenden Flüchtlinge mehr als bish­er zu tun. Sonst bleibt das, was wir tun, im Angesicht dieser Realität Makulatur. Nicht einmal ein einziger Tropen auf einem heißen Stein.

Und sonst verhallten die Worte Franziskus’ bei dessen Besuch im Sommer vergangenen Jahres auf Lampedusa ungehört. Er hatte eine “Globalisierung der Gleichgültigkeit” beklagt und hinzugefügt, diese mache alle zu „anonymen Verantwortlichen ohne Namen und ohne Gesicht“. Unter dem Deck­mantel der Anonymität versuche jeder, die Verantwortung von sich zu weisen. Ein Christ dürfe sich aber nicht aus der Verantwortung stehlen.

Thomas Schwarz (1957) arbeitete über acht Jahren für die internationale Hilfsorganisation CARE in Bonn für den Kommunikations- und CSR-Bereich. Vorher war er über zwanzig Jahre als Journalist, u.a. für RTL und die Deutsche Welle als Parlamentskorrespondent sowie als Chefredakteur zweier Ra­diosender. Zwischenzeitlich verantwortet er zwei Jahre lang die Bereiche Marketing/Kommunikation und Business Development für eine an der Wallstreet notierte Softwarefirma in Deutschland. Schwarz gründete einen eigenen Verein, um weiterführen­de Bildung in Asien und Afrika zu unterstützen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert