Zum Tode von Helmut Kohl (3. April 1930 – 16. Juni 2017) dokumentieren wir die Nachrufe von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
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in memoriam
HELMUT KOHL
3. April 1930 – 16. Juni 2017
Bundespräsident Frank Walter-Steinmeier
„In einer hektischen Zeit bleiben heute für einen Moment die Zeiger der Uhren stehen. Wir Deutschen halten inne. Wir spüren, dass ein Stück des Weges unserer Geschichte zu Ende geht, mit dem Tod des Mannes, der es maßgeblich geprägt hat.
Helmut Kohl ist im Alter von 87 Jahren verstorben.
Wir haben einen Politiker und Staatsmann verloren, der Historisches für unser Land erreicht hat.
Helmut Kohl war ein Ausnahmepolitiker und ein Glücksfall für die deutsche Geschichte. Das Ziel, für unser Land die Einheit in Freiheit zu erlangen, verfolgte er genauso beharrlich wie den Bau des Hauses Europa.
Die dramatischen Monate von der friedlichen Revolution bis zur Wiedervereinigung Deutschlands forderten seine ganze Kraft. Zugute kamen ihm sein politischer Instinkt und seine große Erfahrung. Mit dem Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas nahm er 1989 das Heft des Handelns in die Hand. Es war ein besonderes Glück für Deutschland, dass Helmut Kohl das Land in seinem entscheidenden historischen Moment mit Mut, Weitblick und Führungskraft regierte.
Schritt für Schritt hat er in der Welt Vertrauen in das demokratische Deutschland, in seine Politik und in seine eigene Person geschaffen. Am 3. Oktober 1990 gelang die Einheit Deutschlands im Einvernehmen mit allen unseren Nachbarn und im Ausgleich mit der Sowjetunion Michael Gorbatschows. Eine große politische Leistung.
„Europa darf nie wieder im Krieg versinken“ – das war sein politisches Credo, das war die Vision, die sein politisches Leben von Anfang an bestimmt hat. Geprägt von den frühen Kriegserlebnissen, vom Tod des Bruders, und nach dem Krieg von der großen Hoffnung, die sich mit dem Abbau der Schlagbäume an der Grenze zu Frankreich eröffnete, hatte er erkannt, dass Deutschland nicht ohne Europa gedeihen konnte. Er, der Ehrenbürger Europas, war zutiefst davon überzeugt: Europa ist unser Schicksal. Es ist speziell für uns Deutsche Verantwortung und Verpflichtung zugleich.
Das Atlantische Bündnis war ihm ein Herzensanliegen. Es blieb für ihn zeitlebens der Garant für die Bewahrung der Freiheit und der Festigung des Friedens in Europa und in der Welt. Sein Augenmerk galt dabei stets der engen Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
Helmut Kohl war ein lebenskluger Mensch, der Anteil nahm am Schicksal anderer, und eine charakterstarke Persönlichkeit, die sich selbst stets das meiste abverlangte und mehr tat als nur ihre Pflicht. Auch darin war er Vorbild. Ein reiches Leben ist nun zu Ende gegangen – sein Werk wird Bestand haben. Wir werden Helmut Kohl nicht vergessen. Er hat sich um Deutschland und Europa verdient gemacht.“
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
„Die Nachricht vom Tode Helmut Kohls ist eine der Nachrichten, die uns alle innehalten und still werden lassen, weil wir spüren, dass ein Leben zu Ende ist und dass der, der es gelebt hat, in die Geschichte eingeht.
Mich erfüllt diese Nachricht mit tiefer Trauer. Meine Gedanken sind zuallererst bei Helmut Kohls Frau Maike, der ich eben telefonisch meine Anteilnahme übermittelt habe, und bei seiner Familie. Ihnen wünsche ich Trost und Kraft.
Ich denke in diesem Augenblick aber auch mit großem Respekt und großer Dankbarkeit an das Leben und Wirken von Bundeskanzler Helmut Kohl. Das Bild dieses in jeder Hinsicht großen Mannes, seine Leistungen, seine Rolle als Staatsmann in Deutschlands historischer Stunde das alles steht uns sofort vor Augen. Es wird aber noch eine Zeit lang dauern, bis wir wirklich ermessen können, was wir mit ihm verloren haben.
Helmut Kohl war ein großer Deutscher und ein großer Europäer. Tatsächlich haben die beiden wichtigsten Aufgaben der deutschen Politik der letzten Jahrzehnte Helmut Kohls Wirken bestimmt: die Wiedererlangung der Einheit unseres Vaterlandes und die Einigung Europas. Helmut Kohl verstand, dass das eine und das andere untrennbar verbunden waren, und er hat sich um beide Ziele wie kaum ein anderer verdient gemacht. Seine beiden Ehrenbezeichnungen drücken das aus: Ehrenbürger Europas diese Titel haben ihm die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union verliehen und Kanzler der Einheit. So sehen ihn Millionen von Deutschen, und das bleibt er in den Geschichtsbüchern und in unserer Erinnerung.
Ich möchte an diesem Tag auch an den Christdemokraten Helmut Kohl erinnern, an den Parteivorsitzenden über ein Vierteljahrhundert, den Modernisierer, der diese große Volkspartei geprägt hat und dem sie so viel zu verdanken hat. Sie wird es ihm nicht vergessen.
Helmut Kohl war ein Pfälzer, einer, der seine Heimat liebte und ihr zeitlebens treu blieb. Weil das so war, hatte er auch ein so feines Gespür für die Geschichte und die Gefühle unserer europäischen Partner. Diesem Gespür für Geschichte und den Freundschaften, die Helmut Kohl über die Grenzen hinweg schloss, dem Vertrauen, das man ihm von Washington bis Moskau, von Paris bis Warschau entgegenbrachte, haben wir Deutsche viel zu verdanken.
Als in Osteuropa in den 80er-Jahren ein neuer Geist zu wehen begann, als von Polen aus die Freiheit errungen wurde, als mutige Menschen in Leipzig, Ostberlin und anderswo in der DDR eine friedliche Revolution machten, da war Helmut Kohl der richtige Mann zur richtigen Zeit. Er hatte festgehalten am Traum und am Ziel des vereinten Deutschlands, auch als andere schwankten. Er verstand in diesen glückhaften Wochen 1989 und 1990, dass das, was die Menschen auf den Straßen erstritten hatten, eine historische Chance war, die es zu nutzen galt. Man wird noch lange studieren und bewundern, wie entschlossen und geschickt Helmut Kohl und seine Mitstreiter damals die Gunst der Stunde nutzen, wie klug sie die Einheit im Einklang mit all unseren Nachbarn und Freunden aushandelten. Das war höchste Staatskunst im Dienste der Menschen und des Friedens. Helmut Kohl ist damit zu einem Glücksfall für uns Deutsche geworden.
Helmut Kohl hat auch meinen Lebensweg entscheidend verändert. Wie Millionen andere konnte ich aus dem Leben in der Diktatur der DDR in ein Leben der Freiheit gehen. Ich konnte von da an auch ohne Angst vor einem alles überwachenden Staat leben.
All das, was in den 27 Jahren von damals bis heute folgen sollte, wäre ohne Helmut Kohl niemals denkbar gewesen. Ich bin ganz persönlich dankbar, dass es ihn gegeben hat. Wir alle können dankbar für das sein, was Helmut Kohl in langen Jahren des Dienstes für uns Deutsche und unser Land getan hat. So wird er in unserer Erinnerung weiterleben als der große Europäer und als Kanzler der Einheit.
Ich verneige mich vor seinem Angedenken.“
Bundestagspräsident Norbert Lammert
„Mit Helmut Kohl trauern wir um eine Persönlichkeit von historischer Größe, einen deutschen Patrioten und den Ehrenbürger Europas. Tief verwurzelt in seiner politischen Familie, der Christlich Demokratischen Union, seiner Heimat stets eng verbunden, traditionsbewusst und zugleich mit großem Gestaltungswillen zur Modernisierung von Staat und Gesellschaft prägte Helmut Kohl über viele Jahrzehnte unser Land.
Für ihn, der um die identitätsstiftende Kraft der Geschichte wusste, stand außer Frage, dass die Geschicke der Deutschen immer auch die Europas sind. Er machte dies zur Richtschnur seines politischen Handelns und setzte für die europäische Einigung unverrückbare Maßstäbe. Seine außergewöhnliche Gabe, persönliche Freundschaften zu Staatschefs in aller Welt aufzubauen, schuf Vertrauen in die Verlässlichkeit deutscher Politik. Sie erst legte die Grundlage für den erfolgreichen Prozess zur Deutschen Einheit.
Als sich die von manchen längst abgeschriebene Chance ergab, ergriff Helmut Kohl mit dem sicheren Instinkt, der den großen Staatsmann auszeichnet, die Initiative und gestaltete als ,Kanzler der Einheit‘ die Wiedervereinigung unseres Landes.
Heute sind sich fast alle, auch frühere politische Widersacher, der historischen Bedeutung seines Wirkens bewusst. Helmut Kohl hat entscheidend zu den glücklichsten Zeiten beigetragen, die wir Deutschen je hatten. Wir werden ihm das nie vergessen. Sein Vermächtnis, ein weltweit geachtetes Deutschland in einem friedlich geeinten Europa, bleibt die Richtschnur unseres Handelns und ist Auftrag für alle künftigen Generationen.“
EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker
„Die Nachricht vom Tod des früheren Bundeskanzlers und meines engen Freundes Helmut Kohl hat mich tief getroffen. Er wird uns fehlen, denn er war Europa und mir persönlich ein echter Vertrauter und Verbündeter. Er hat mich persönlich auf allen europäischen Wegen geleitet und begleitet.
Helmut Kohl hat das europäische Haus mit Leben erfüllt − nicht nur, weil er Brücken nach Westen wie nach Osten gebaut hat, sondern auch, weil er niemals aufgehört hat, noch bessere Baupläne für die Zukunft Europas zu entwerfen. Er hat damit immer die historische Bedeutung gesehen − auch im perspektivischen Sinne des Wortes.
Ohne Helmut Kohl gäbe es den Euro nicht. Er hat von Anfang an erfasst, welche politische und wirtschaftliche Bedeutung, welchen unschätzbaren Wert und welche Strahlkraft eine einheitliche Währung für unseren Kontinent hat. Für ihn wie für seinen engsten Weggefährten François Mitterrand war Europa immer ein Friedensprojekt. Ungeachtet welches politische Thema der Altbundeskanzler angepackt hat: Er hat nie vergessen, dass das europäische Projekt diesen Kontinent nach den Weltkriegen gerettet hat. Für ihn war es also nicht nur eine Frage des Wohlstands, sondern auch und vor allem eine Berufung, gemeinsam Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen.
Als Helmut Kohl die Schlachtfelder von Verdun besuchte und in einer rührenden Geste seine Freundschaft zum französischen Präsidenten zeigte, war das für ihn keine Symbolpolitik, sondern Ausdruck seiner Mission. Er betonte daher auch in seiner Dankesrede für den Karlspreis, den er zusammen mit François Mitterrand erhalten hatte, dass die Gemeinsamkeit von Franzosen und Deutschen auch Voraussetzung, Grundlage und bleibender Antrieb für den europäischen Einigungsprozess sei.
Die deutsche Einheit, die ihm wie keinem anderen zu verdanken ist, hat er stets als Teil des europäischen Projekts verstanden. Das erklärt auch, warum er, wenn er die Wahl hatte zwischen nationalem Durchmarschieren oder europäischem Gleichklang, stets die europäische Karte gezogen hat. Dabei war er immer ganz besonders aufmerksam für die Befindlichkeiten und Interessen kleinerer Länder. Das alles entsprach seiner Grundhaltung, die auch meine ist, dass der Austausch und der politische Ausgleich, den einzigartigen Gewinn und besonderen Zauber Europas ausmachen. Dass Helmut Kohl diese Haltung auch dann vertreten hat, wenn es gerade nicht populär war, sollte uns ein Auftrag sein.
Helmut Kohl war ein großer Europäer und ein sehr guter Freund. Ersteres ist eine objektive Feststellung, letzteres sehr persönlich. Er war mein Förderer − ein lieber Mensch, der hineinhören konnte in das Leben anderer, der auch mal ohne parteipolitische Brille in die Welt schaute, der viel Humor hatte. Als Politiker vermochte er es, den Menschen Politik näher zu bringen, auch weil bei ihm Reden und politische Taten zusammenfanden. Ich bin stolz, ihn gekannt zu haben. Ich wünsche uns heute den gleichen Mut, Geduld und Entschlossenheit, um so unerschütterlich wie Helmut Kohl die europäischen Herausforderungen anzugehen. Uns verband und verbindet auf immer die gemeinsame Vision für Europa, unser beider Herzensangelegenheit. Mir ist es daher politischer wie persönlicher Wunsch, daran mitzuwirken, dass sein Traum von Europa in Erfüllung geht.
Nur drei Menschen, Jean Monnet, Jacques Delors und Helmut Kohl haben für ihre Verdienste für die europäische Zusammenarbeit die Ehrenbürgerschaft Europas erhalten. Ich denke, das spricht für sich und macht unseren Verlust heute umso größer – politisch wie menschlich. In Gedenken an Helmut Kohl habe ich deshalb die Europaflaggen vor den europäischen Institutionen auf Halbmast setzen lassen.
Meine Gedanken sind bei den Menschen in Deutschland und vor allem bei denen, die ihm nahe standen.“