Die Forderung nach einer konservativen Revolu­tion ist verfehlt

Theo Waigel analysiert in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung das bayerische Wahlergebnis und empfiehlt der CSU, den Menschen Angst zu nehmen und Zuversicht zu vermitteln. Wir dokumentieren den Text.

DOKUMENTATION
Gastbeitrag in der Süddeutsche Zeitung 19. Oktober 2018
(Theo Waigel (79) war von 1989 bis 1998 Bundesfinanzminister und von 1988 bis 1999 CSU-Vorsitzender. Seit 2009 ist er Ehrenvorsitzender. Sein Beitrag basiert auf einer Wortmeldung in den Führungsgremien der Partei.)

Den Gastbeitrag von Theo Waigel finden Sie in der Süddeutschen Zeitung hier.

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Theo Waigel

Die CSU muss den Menschen die Angst nehmen

Man könnte geneigt sein, befriedigt festzustellen, dass das Ergebnis der Landtagswahl über elf Prozent­punkte über den letzten Umfragen von CDU/CSU in Deutschland liege. Das wäre allerdings Galgenhu­mor, weil die gegenwärtigen 26 Prozent für die Union einen indiskutablen niedrigen Wert darstellen und die 37,2 Prozent für die CSU in Bayern bei den nächsten Wahlen wieder verbessert werden können und müssen. Wir müssen ehrlich zu uns selbst sein. Wir müssen uns die Frage stellen, wo liegen die Gründe für die­ses Ergebnis und wo liegen die Fehler, die gemacht wurden. Jeder muss sich die Frage stellen, was hat der CSU genützt und was hat ihr geschadet.

1976 habe ich in Kreuth gegen die Teilung gestimmt, was mir persönlich einige Jahre geschadet, aber insgesamt der CSU genützt hat. 1982 bis 1988 habe ich versucht, zwischen Strauß und Kohl zu vermit­teln, was der CSU sicher nicht geschadet hat. Nach 1988 haben wir gemeinsam das Erbe von Franz Josef Strauß gewahrt. 1993 habe ich persönliche Gemeinheiten weggesteckt und einen Beitrag zum Miteinan­der in der CSU geleistet. 1998 habe ich bei einem Bundestagswahl-Ergebnis von über 47 Prozent Ver­antwortung übernommen, Konsequenzen gezogen und den Stuhl des Parteivorsitzenden freigemacht.

Verantwortung und Konsequenzen sind erforderlich: inhaltlich, strategisch und personell.

Die Krise für die CSU hat vor vier Jahren begonnen. Wir haben bei der Europawahl nur 40 Prozent er­reicht und überproportional stärker verloren. Die Doppelstrategie mit Peter Gauweiler als Europa-Skep­tiker und Manfred Weber und Markus Ferber als Europa-Befürworter ist nicht aufgegangen. Auch bei der Bundestagswahl 2017 haben wir mit 38 Prozent nur noch um fünf Prozent mehr erreicht als CDU und CSU gemeinsam. Dazu hat die Anti-Merkel-Stimmung in der Partei und die Forderung maßgebli­cher CSU-Leute „Merkel muss weg“ beigetragen. Man kann in einer gemeinsamen Regierung mit einer gemeinsamen Kanzlerin nicht gleichzeitig drinnen und draußen sein.

Es ist eine große Schuld der FDP, dass eine Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP nicht zustande gekommen ist. Die Strategie des FDP-Vorsitzenden Lindner hat sich auch bei der bayerischen Landtags­wahl nicht wirklich ausgezahlt. Die große Koalition ist gegenwärtig eine Belastung für die Union und die SPD.

Die Wiederbelebung der Flüchtlingsdebatte hat uns nichts genützt. Wir haben die eigenen Erfolge im na­tionalen und europäischen Bereich kleingeredet. Das Krisenmanagement und die Begleitumstände dieser Diskussion haben viele abgestoßen.

Mag sein, dass der bisherige Präsident des Verfassungsschutzamtes, Herr Maaßen, ein vorzüglicher Be­amter ist. Die Aufgabe eines Geheimdienstchefs ist es allerdings, zu informieren und sonst sein Maul zu halten. Er hat nicht die Aufgabe, Interviews mit der Bild-Zeitung zu führen.

Es ist im Übrigen eine Fehleinschätzung zu glauben, der Zuzug von Menschen außerhalb Bayerns nach Bayern habe die CSU geschwächt. Wir haben einen solchen Zuzug auch in den Achtziger- , Neunziger­jahren und danach gehabt und waren in der Lage, diese Menschen zu integrieren und zu CSU-Wählern zu machen. Nachgelassen hat allerdings die Integrationsfähigkeit der CSU in diesem Bereich. Im Übri­gen kenne ich viele Mitbürger aus meinem persönlichen und beruflichen Umfeld, die in Bayern geboren sind und trotzdem diesmal erhebliche Vorbehalte gegenüber der CSU hatten. Die Wählerwanderung zu den Freien Wählern und zu den Grünen und die Gewinne bei bisherigen Nichtwählern zeigen, wie falsch diese These ist.

Im Übrigen gab es Rechtsaußenparteien auch früher. Die NPD hat uns mit 4,3 Prozent auf Bundesebene 1969 den Wahlsieg gekostet. Die Republikaner waren 1990 knapp daran, in den Landtag einzuziehen, und waren in manchen Stadträten und Kreistagen mit bis zu 20 Prozent vertreten. Es ist uns gelungen, sie zu isolieren und aus den Gremien hinauszukatapultieren. Der Großteil der Wähler, die wir verloren haben, will keine konservative Revolution. Insofern ist die Forderung nach einer konservativen Revolu­tion verfehlt und nimmt nur in missglückter Form Anleihe an einen Kampfbegriff gegen die Demokratie in der Weimarer Republik. Man sollte auch wissen, dass ein Vertreter dieser Theorie, nämlich Armin Mohler, später bei Republikaner-Chef Franz Schönhuber gelandet ist.

Bayern hat immer Fremde integriert. Nachgelassen hat aber die Integrationskraft der CSU

Wir haben Verluste in Milieus zu beklagen, die für uns ganz wichtig sind. Das betrifft die Kirchen und die Religionen. Wir sind in der Katholischen Akademie und in der Evangelischen Akademie kaum noch vertreten. Das C ist auch in unserer säkularen Zeit die überwölbende und einigende Idee der Christlich Sozialen Union. Sie entstammt einer Primär-Idee und unterscheidet sich vom Sozialismus, dem Libera­lismus und dem Ökologismus, die eine Sekundäridee verkörpern. Weit über 50 Prozent der Bürger re­agieren auf den Begriff „christlich“ mit spontaner Sympathie. Dagegen sehen über 50 Prozent den Be­griff „konservativ“ eher negativ und nur ein Viertel mit Sympathie.

Wir sollten uns auch mit Fragen der politischen Philosophie wieder stärker beschäftigen. Der Grundthe­se von Carl Schmitt, dass Politik dem Freund- Feind-Bild entspreche, kann ich nicht folgen. Unser Ziel muss ein vernünftiges Miteinander und das Gemeinwohl für alle sein. Wir sollten auch im Umgang mit Intellektuellen, Künstlern, Theaterleuten und Kulturschaffenden die richtigen Konsequenzen ziehen. Nur das Gespräch, der Dialog und Begegnungen bringen uns voran.

Die Menschen brauchen Halt in einer unübersichtlichen Welt

Auch im Bereich von Umwelt und Naturschutz sind wir nicht mehr so vertreten wie in den letzten Jahr­zehnten. Die Diskussionen und Entscheidungen um das Riedberger Horn und die Veränderung des Al­penplans haben uns geschadet. Wenn man durch die Gegend fährt und überzogene Straßenbaumaßnah­men und Kreisel inmitten einer ebenen Fläche sieht, erkennt man, dass dem Flächenfraß in der Tat Ein­halt geboten werden muss.

Was sind unsere Themen für die Zukunft? 1. Nachhaltigkeit und Investitionen. 2. Europa als Projekt der Jugend, dem Franz Josef Strauß schon in den Fünfzigerjahren die überragende Bedeutung für die CSU zugemessen hat. 3. Heimat in einer globalen Welt. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, den Menschen Angst zu nehmen und Zuversicht zu vermitteln. Die Menschen brauchen Halt in einer unübersichtlichen Welt. Dazu bedarf es der Institutionen, kultureller Wurzeln, des Brauchtums und der Nachbarschaft, der Sinngebung und Religion, der Muttersprache und des Dialekts. Wenn wir das berücksichtigen, wird die CSU eine erfolgreiche Zukunft haben.

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