WARUM MENSCHENRECHTE ÜBERALL GELTEN SOLLTEN

Matthias Zimmer betont die Universalität der Men­schenrechte, über deren Verletzung man nicht geflissentlich hinwegsehen kann, wenn es ins eigene interessenpolitische oder außenpolitische Kalkül passt. 

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Matthias Zimmer

Warum Menschenrechte überall gelten sollten

Die Idee der unveräußerlichen Menschenrechte ist zwar in einem bestimmten Kulturraum, im Europa der Neuzeit bzw. im „Westen“, entstanden und entwickelt worden, ihre Ausrichtung ist jedoch von vornherein universell. Menschenrechte sollen für jeden einzelnen Menschen überall auf der Welt in der gleichen Weise und in gleichem Umfang gelten und eben nicht auf bestimmte soziale, kulturelle oder religiöse Zusammenhänge beschränkt sein. Die Universalität ist sozusagen konstitutiver Bestandteil je­ner Idee der Menschenrechte, wie sie sich im europäischen Humanismus, aus der Naturrechtphiloso­phie und der Lehre vom Gesellschaftsvertrag entwickelt hat. Sie hat ihren Weg in die Verfassungen zahlreicher Länder und ihren Niederschlag im Völkerrecht nur deshalb finden können, weil ihre Prinzi­pien eine hohe normative Überzeugungskraft besitzen. Jedenfalls ist die institutionelle Verankerung von Menschenrechten nicht das Resultat eines Siegeszuges der westlichen Denkweise und Kultur. Man kann das Bekenntnis zu den Menschenrechten zwar aus allgemeineren oder übergeordneten Prinzipien ableiten, beispielsweise aus dem Prinzip der Unantastbarkeit der Menschenwürde, und man kann diese wiederum in Zusammenhang bringen etwa mit dem christlichen Menschenbild. Aber eine solche Her­leitung ist weder die einzig denkbare noch die ausschließlich richtige, wenn es um den universellen Geltungsanspruch der Menschenrechte geht.

Eine der wesentlichen Ursachen für die weltweite Verbreitung und zunehmende Institutionalisierung der Menschenrechtsidee ist die historische Erfahrung von Unrecht. Ohne die unvorstellbar grausamen Verbrechen der Nationalsozialisten und des Stalinismus wäre es kaum zu der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen im Jahre 1948 und zu der weiteren Umsetzung einer globalen Menschenrechtsverfassung in Gestalt eines Regimes zum Schutz bzw. zur Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte bei den Vereinten Nationen gekommen. Trotz aller Vorbehalte, die insbesondere einige asiatische Länder gegen den Universalitätsanspruch der Menschenrechte nach wie vor geltend machen, ist es bei der Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993 gelungen, eine Erklärung und ein Aktionsprogramm zu verabschieden, das die Allgemeingültig­keit und Unteilbarkeit sowie den Bedingungs- und Sinnzusammenhang aller Menschenrechte aner­kennt und damit ein weiteres Zeugnis ablegt von der normativen Überzeugungskraft des Universali­tätsanspruchs der Menschenrechte. Durch ihre zunehmende Institutionalisierung ist die Menschen­rechtskonzeption zu einem Instrument all derer geworden, die sich – wo auch immer auf der Welt – gegen staatliche Willkür und Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen, Folter, Ein­schränkungen der Meinungs- und Religionsfreiheit und viele andere restriktive Maßnahmen zur Wehr setzen. Menschenrechtskonzepte sind insoweit die Folge von weltweiten Lernprozessen im Gefolge von Unrechtserfahrungen.

Die Kritiker einer angeblich westlich gefärbten, angeblich den egoistischen Einzelinteressen Vorschub leistenden Menschenrechtskonzeption argumentieren in der Regel defensiv. Sie setzen dem Universali­tätsanspruch der allgemeinen Menschenrechtsrechte kein Konzept mit ähnlicher Kohärenz und Über­zeugungskraft entgegen, sondern machen allenfalls das Recht einzelner Kulturräume, Völker, Stämme, Sprach- oder Religionsgemeinschaften auf Praktizierung ihrer kulturellen Besonderheiten geltend. Aus den daraus angeblich resultierenden kollektiven Pflichten und Bindungen wird dann die Rechtferti­gung für eine restriktive, im Zweifel zur Disposition des Staates stehende Menschenrechtskonzeption abgeleitet. In Wahrheit verbirgt sich hinter einer solchen Argumentationsweise nichts anderes als das machtpolitische Interesse von Diktatoren oder herrschender Schichten. Denn kulturelle Besonderheiten werden durch die allgemeinen Menschenrechte keineswegs in Frage gestellt. So haben insbesondere die demokratischen Bewegungen im sogenannten arabischen Frühling gezeigt, dass die Menschenrech­te sich nicht gegen den Islam richten, sondern lediglich einen rechtsstaatlich garantierten Freiheitsraum reklamieren, der Schutz vor staatlicher Willkür, aber auch vor einem totalitären Religionsverständnis bietet, das die Herrschaft über alle Lebensbereiche beansprucht.

Unsere Menschenrechtspolitik in Deutschland orientiert sich an dem Ziel, weltweit für die Verwirkli­chung und den Schutz der universellen und unteilbaren Menschenrechte einzutreten. Da wir die Men­schenwürde für unantastbar erachten, ist das weltweite Eintreten für die Menschenrechte eine Grund­maxime unserer gesamten Außenpolitik. Wir sind davon überzeugt, dass Menschenrechte gerade in Zeiten der Häufung weltweiter Krisen keinen Luxus darstellen, auf den man im Zweifel verzichten könnte, sondern eine wesentliche Voraussetzung für Frieden und Sicherheit in der Welt bilden. Men­schenrechtsverletzungen sind niemals ein Kavaliersdelikt, über das man geflissentlich hinwegsehen kann, wenn es ins eigene interessenpolitische oder außenpolitische Kalkül passt. Menschenrechtsver­letzungen sind Verbrechen und müssen daher beim Namen genannt und bekämpft werden. Unter kei­nen Umständen kann es eine Rechtfertigung für solche Verstöße geben – für den Organhandel in Chi­na ebenso wenig wie für die willkürlichen Verhaftungen in der Türkei oder die Bombardierung von Krankenhäusern in Syrien.

Der Erfolg unserer Menschenrechtspolitik hängt aber nicht nur von der Entschiedenheit unseres Be­kenntnisses und der Entschlossenheit unseres Handelns, sondern zuallererst von unserer eigenen Glaubwürdigkeit ab. Dies setzt voraus, dass wir ein unbedingtes und kein taktisches Verhältnis zur Wahrheit haben. Menschenrechtsverletzungen sind als solche zu benennen, sie sind nichts, was sich im Sinne vermeintlich „alternativer Fakten“ so oder so interpretieren ließe. Vor allem können wir welt­weit nur dann glaubwürdig als Verteidiger von Menschenrechten auftreten, wenn wir auch mit Blick auf die eigenen Gesellschaften sensibel für Beeinträchtigungen von Menschenrechten sind. Engagierte Menschenrechtspolitik nach außen findet ihre Entsprechung in der Bereitschaft, auch im Inneren ent­schieden gegen Tendenzen wie Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und andere Formen der Menschenfeindlichkeit vorzugehen und umgekehrt für die Rechte von Migranten, Asylsuchenden und Flüchtlingen einzutreten. Nur wenn wir hier konsequent und möglichst vorbildlich agieren, können wir auch weltweit glaubwürdig und erfolgreich als Anwälte der universalen Menschenrechte auftreten. Und schließlich hängt die Glaubwürdigkeit des Universalitätsanspruchs davon ab, wie konsequent wir unsere Außenpolitik mit Menschenrechtspolitik verbinden. Jedenfalls muss sich unsere Menschen­rechtspolitik gegen den Vorwurf wappnen, selektiv zu sein. Der Anspruch, für die Rechte jedes einzel­nen Menschen einzutreten, wird unglaubwürdig, wenn man die Menschenrechtssituation in verschiede­nen Ländern nach unterschiedlichen Maßstäben beurteilt und beispielsweise bestimmten Ländern, wie etwa wie China oder Iran, besonders kritisch gegenübertritt, während man über Menschenrechtsverstö­ße in anderen Ländern, wie etwa Saudi-Arabien, eher hinwegsieht. Nur durch konsistentes Handeln sind wir überzeugend, etwa wenn wir die zunehmenden Einschränkungen des Raumes für zivilgesell­schaftliches Engagement als das brandmarken, was es ist: eine im Gewande einer scheinbar rechts­staatlichen Regulierung daherkommende Beschneidung der Handlungsfreiheit von Menschen, die für ihre legitimen Rechte eintreten.

Matthias Zimmer (1961) ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und dort Mitglied der CDU/CSU-Fraktion. Seit Anfang 2017 ist er Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

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