Peter Harry Carstensen erläutert als Mit-Initiator die interreligiöse, parteiunabhängige Volksinitiative zur Aufnahme des Gottesbezugs in die Landesverfassung Schleswig-Holstein.
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Peter Harry Carstensen
Ein Gottesbezug steht auch für Toleranz und Vielfalt
Der schleswig-holsteinische Landtag hat im vergangenen Jahr eine überarbeitete Landesverfassung beschlossen, erstmals mit einer Präambel. Allerdings: Auf einen so genannten Gottesbezug hat das Parlament nach langen Diskussionen verzichtet, zur Enttäuschung vieler Bürgerinnen und Bürger. Sie hätten sich eine Formulierung, ähnlich wie im Grundgesetz („Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…“), gewünscht. Am 2. Dezember 2014 ist die überarbeitete Verfassung in Kraft getreten, ganz ohne das Wort Gott. Christen, Muslime und Juden hatten sich vergebens für einen Gottesbezug eingesetzt.
Dass es für eine solche Formel im Parlament keine Mehrheit gab, war Auslöser für die Gründung unserer interreligiösen, parteiunabhängigen Volksinitiative, die sich für eine Aufnahme eines solchen oder ähnlichen Gottesbezugs einsetzt. Zu den Initiatoren gehören Wissenschaftler, Ärzte und Künstler, Politiker und Vertreter der Religionen, der Medien sowie des Sports. Im ganzen Land gab es Veranstaltungen und Aktionen, und viele Menschen haben sich mit den wichtigen Fragen auseinandergesetzt: Auf welche Werte beziehen wir uns, wenn wir wichtige Entscheidungen treffen? Sollte Gott in der Verfassung vorkommen? Die evangelische Nordkirche und das Erzbistum Hamburg haben die Initiative mit der Kampagne „Für Gott in Schleswig-Holstein“ begleitet. Nach acht Wochen hatten wir bereits 17.000 Unterschriften gesammelt – eigentlich hätten wir ein Jahr lang Zeit, um 20.000 vorzulegen.
In den knapp 30 Jahren meiner politischen Tätigkeit habe ich viele Entscheidungen treffen müssen, die mir Ratgeber und andere Experten nicht abnehmen konnten. Wenn es beispielsweise um Sterbehilfe geht, um Stammzellenforschung oder auch um Auslandseinsätze unserer Bundeswehr, dann braucht es als Entscheidungsgrundlage zusätzlich einen eigenen Werterahmen.
Für eine Verfassung gilt dies allemal. Der Verfassungsrechtler Udo Di Fabio drückt es so aus: „Jedes Recht, das die verfassungsgebende Gewalt setzt, jede Staatsverfassung, die sich ein selbstbestimmtes Volk gibt, braucht eine sittliche Grundlage.“ Ein solcher Konsens sage auch aus, „dass der Mensch nicht allein durch seine Urteilskraft vor dem Irrtum bewahrt ist“. Die Präambel des Grundgesetzes bildet das ab, sei aber nicht allein theologisch zu verstehen, sondern als „eine Art Demutsformel“, sagt Di Fabio. Die Verantwortung vor Gott hat mir persönlich in meinem politischen Leben große Freiheit gegeben: die Freiheit, auch einmal gegen vorherrschende Meinungen, gegen die eigene Partei, gegen medialen Druck zu entscheiden. Freiheit, weil es einen höheren ethischen Grund gibt als allein die Verantwortung vor den Menschen.
Noch vor der parlamentarischen Sommerpause haben wir dem Landtagspräsidenten 42.000 Unterschriften übergeben, also weit mehr als die erforderliche Zahl. Nun wird sich das Parlament erneut mit der Frage eines Gottesbezugs befassen. Noch ist unklar, wie sich die Abgeordneten verhalten werden, benötigt wird immerhin eine Zweidrittelmehrheit. Von einzelnen Kritikern höre ich mitunter, dass eine Landesverfassung doch alle Bürgerinnen und Bürger mitnehmen sollte, sich die religiös Ungebundenen aber nicht mit einem Gottesbezug identifizieren könnten. Und es ist ja richtig, eine Verfassung soll Menschen nicht ausschließen. Die Aufnahme eines Gottesbezugs erreicht aber das Gegenteil: Gerade in den Zeiten der Ausgrenzung einzelner religiöser Gruppen kann die erklärte „Verantwortung vor Gott“ ein wichtiges Zeichen für alle sein: für Toleranz, für Vielfalt und für gemeinsame Werte. Und dafür, dass der Mensch sich seiner Grenzen bewusst sein sollte – Grenzen der Verfügbarkeit, seiner Macht sowie der Reichweite seiner Entscheidungen.
Es gibt mögliche Kompromisse, und ich hoffe sehr, dass sich der schleswig-holsteinische Landtag auf einen einigen kann. Andere Länder haben es vorgemacht, beispielsweise die Republik Polen im Jahr 1997. Dort heißt es: „… beschließen wir, (…) sowohl diejenigen, die an Gott als die Quelle der Wahrheit, Gerechtigkeit, des Guten und des Schönen glauben, als auch diejenigen, die (…) diese universellen Werte aus anderen Quellen ableiten, (…), im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott oder vor dem eigenen Gewissen, uns die Verfassung (…) zu geben …“ Hier kann niemand behaupten, es würden einzelne Gruppierungen ausgegrenzt – die Formulierung ist vielmehr ein gutes Beispiel für Toleranz.
Peter Harry Carstensen (1947) war für die CDU 1983 – 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages und anschließend (bis 2012) Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter. Peter Harry Carstensen gehört zu den Initiatoren einer überreligiösen Volksinitiative, die die Aufnahme eines Gottesbezugs in die schleswig-holsteinische Landesverfassung erreichen will.