MENSCHEN AUF DER FLUCHT

 Alois Glück fordert , dass in der Flüchtlingsfrage die EU-Länder mit Außengrenzen nicht alleine gelassen werden und gerade Christen denen klar entgegen treten, die Stimmung gegen Flüchtlinge machen.

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Alois Glück

Menschen auf der Flucht

Die Weltbevölkerung wird in zunehmender Geschwindigkeit eine Schicksalsgemeinschaft. Wir sind Teil dieser Schicksalsgemeinschaft, deren Entwicklungen und Konflikte uns früher oder später alle erreichen und herausfordern werden. Wir möchten gerne in der Perspektive der Exportnation bleiben, die von den Entwicklungen in der Welt gern profitiert, neben den Absatzmärkten auch weltweit die Urlaubsziele sucht, – und ansonsten von den Unannehm­lichkeiten dieser Welt möglichst nicht betroffen werden will. Jetzt zerplatzen diese Illusionen.

Die aktuell schmerzlichste und gleichzeitig größte Aufgabe dieser Entwicklung sind die wachsenden Flüchtlingsströme in der Welt, die auch uns immer mehr erreichen. Von mehr als 50 Millionen Flüchtlingen in der Welt wird berichtet. Sie werden aus politischen oder religi­ös-weltanschaulichen Gründen in ihrer Heimat verfolgt. Sie haben dort keine Aussicht auf ein gutes Leben oder auch nur auf das Überleben. In manchen Regionen der Welt gefährdet auch der Klimawandel ihre natürlichen Lebensgrundlagen. Die meisten von ihnen wollen in der Nähe ihrer Heimatregion bleiben und hoffen, eines Tages dorthin zurückkehren zu können. Andere dagegen versuchen, über die Türkei oder über das Mittelmeer nach Europa zu gelan­gen, um dort Asyl beantragen zu können.

Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Heraus­forderung der Flüchtlingsfrage – eine Auf­gabe für die Staatengemeinschaft, die größer und komplexer als die Bewältigung der weltwei­ten Finanzkrise ist. Wie gehen wir mit dieser Entwicklung um? Heute, morgen und übermor­gen? In unserem Land, in Europa und in weltweiter Solidarität?

Für die nach Europa flüchtenden Menschen braucht die Europäische Union dringend ein ein­heitliches und umfassendes Konzept, um deren katastrophaler Situation angemessen und ge­recht begegnen zu können – nur so können Leben gerettet werden. Die verheerenden Schiffs­unglücke der letzten Wochen müssen ein Weckruf für uns alle sein. Für die Staaten, für die Politik und für die Bürgerinnen und Bürger einer Europäischen Union, die sich als Wertege­meinschaft versteht.

Das ist gegenwärtig die größte menschliche und politische Herausforderung für uns alle als Bürgerinnen und Bürger, für die Politik, für die Kirchen. Aus unserem Menschenbild er­wächst die Verpflichtung, Verantwortung zu übernehmen und Leben zu retten. Rettungspro­gramme müssen dringend gestartet und ausgebaut werden, um Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu bewahren.

Die Europäische Union muss als Zukunftsstrategie mit höchster Dringlichkeit eine gemeinsa­me Afrikapolitik entwickeln. Im eigenen Interesse und aus Solidarität mit den Menschen. Die Bevölkerung Afrikas wird sich nach den Prognosen bis 2050 verdoppeln. Der Altersdurch­schnitt liegt bei ca. 25 Jahren. Diese Menschen suchen und brauchen eine Zukunftsperspekti­ve. Europa kann sich hier nicht durch einen Zaun oder eine Mauer abkapseln.

Wir müssen dazu beitragen, dass sich die Lebenschancen insbesondere der jungen Generation in den Herkunftsländern vieler Flüchtlinge aus Afrika entscheidend verbessern. Gerade die gut ausgebildeten und am ehesten mobilen Menschen unter ihnen brauchen eine Bleibeper­spektive, da sie unersetzbar sind für eine umfassende Entwicklung ihrer Staaten in Wirtschaft, Politik, Gesundheitswesen und Verwaltung.

Die größten Brutstätten des Terrorismus und der brutalsten Gewalt sind die Länder, in denen die Staatsgewalt zusammengebrochen ist. Das ist auch ein bitteres Erbe des „arabischen Früh­lings“. Das ist der Nährboden für den organisierten Menschenhandel, für rücksichtslose Schleuser, die den verzweifelten Menschen die riskante Überfahrt nach Europa verkaufen und im Zweifel deren Tod in Kauf nehmen. Dagegen muss die internationale Gemeinschaft ge­meinsam wirksam tätig werden!

Wir müssen in den Staaten Europas schließlich auch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Sie müssen fair auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden. Die Länder an den Außengrenzen der Europäi­schen Union, aber auch die Länder, die bereits überproportional viele Flüchtlinge aufnehmen, wie zum Beispiel Schweden, Österreich und Deutschland, dürfen mit den Problemen nicht al­leingelassen werden. In anderen Ländern Europas ist es bereits gang und gäbe, dass Ängste vor Flüchtlings- und Einwanderungsströmen geschürt werden und die Regierungen sich die­sem Druck beugen. Ängste dürfen nicht verdrängt werden, sie dürfen aber auch nicht kulti­viert und instrumentalisiert werden. Auch hier gilt: Angst ist ein wichtiger Signalgeber, aber die Angst darf uns nicht beherrschen und lähmen.

Hier sind Initiative und Führung notwendig. In Deutschland, in Europa und ebenso in unseren Kirchen. Die konkrete Aufgabe ist, die Willkommenskultur in unserem Land weiter zu pfle­gen. Eine insgesamt erfreuliche Entwicklung, die auch so benannt werden darf. In unserer Kirche gibt es bereits viele segensreiche Initiativen in Pfarrgemeinden, Verbänden und der Caritas, denen ich von Herzen für ihr Engagement danke. Wir dürfen hier nicht nachlassen, sondern werden in Zukunft noch mehr auf diesem Gebiet gefordert sein.

Denn ebenso konsequent müssen wir Position beziehen, und zwar Gegenposition und Wider­stand, gegenüber all denjenigen, die gegen Flüchtlinge, Asylsuchende, Menschen aus anderen Ländern, Kulturkreisen und Religionen Stimmung machen. Und es muss auch klar sein: Für Christen können Gruppierungen, die gegen diese Menschen Stimmung machen und Aktionen gegen sie planen, nie und nimmer ein politischer oder kirch­licher Partner sein – auch wenn sie noch so viele scheinbar christliche Werte propagieren und behaupten, diese zu verteidigen.

Alois Glück (1940) ist Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Von 1970 – 2008 war er Mit­glied des Bayerischen Landtags und dort 1988-2003 Vorsitzender der CSU-Fraktion und 2003 – 2008 Präsident des Landtages. Er ist Mitherausgeber von kreuz-und-quer.de

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