Thomas Rachel sieht im „C“ das entscheidende Identitätsmerkmal der Union und rät CDU und CSU, dieses Profil auch in Zukunft zu pflegen.
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Thomas Rachel
Die Union und das „C“
Das „C“ im Namen von CDU und CSU hat von Beginn der Parteiengründung an für Diskussionen und bisweilen auch für Kontroversen gesorgt. Die Auslegungs- bzw. Deutungsgeschichte dieses „C“ ist insofern immer auch von Missverständnissen und von teils unbewussten, teils bewussten Verzerrungen bzw. Fehlinterpretationen begleitet gewesen. Bleibende Relevanz hat das Nachdenken über die Bedeutung des „C“ im Parteinamen natürlich vor allem für die C-Parteien selbst, deren politisches Selbst- und Grundverständnis hier vollgültig zum Ausdruck kommt. Aber gerade auch angesichts immer wiederkehrender Versuche, diese praktische bzw. faktische Relevanz der Orientierungskraft des „C“ für die Union in Frage zu stellen oder sogar grundsätzlich zu bestreiten, ist eine klärende Richtigstellung auch heute noch ein Gebot der Stunde.
Bei der Gründung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDU) im Jahre 1945 beriefen sich die Väter und Mütter der Union ganz bewusst auf die „kulturgestaltenden sittlichen und geistigen Kräfte des Christentums“ als entscheidender „Kraftquelle“ zur Errichtung einer neuen „Ordnung in demokratischer Freiheit“. Das „C“ im neuen Parteinamen, das zum ersten Mal in der deutschen Geschichte Katholiken und Protestanten in die gemeinsame politische Verantwortung rief, bildete dabei die Ermöglichungsgrundlage und entscheidende Klammer für die Gründung der Union, in der sich nun die unterschiedlichsten liberalen, konservativen und sozialen Kräfte auf eine tragende, gemeinsame Wertgrundlage verständigten.
Wichtig hierbei ist vor allem: Das „C“ als gemeinsame Grundlage und Klammer der neuen Volkspartei drückte dabei von Anfang an den verantwortungsethischen Selbstanspruch engagierter und bekennender Christen aus beiden Konfessionen aus und war niemals als Ausdruck eines christlichen Alleinvertretungs-, Monopol- oder gar Absolutheitsanspruches gemeint. Bewusste Christenmenschen aus beiden Konfessionen sollten also zur aktiven und lebendigen Mitarbeit in der neuen freiheitlich-parlamentarischen Demokratie ermuntert und gewonnen werden. Denn die Berufung auf das „C“ war nach der nationalsozialistischen Gräuel- und Terrorherrschaft sowie den Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges vor allem eine gezielte und deutliche Absage an jede Form von politischem Totalitarismus und jede politische Ideologie.
Das „C“ ist also von Anfang an inklusiv-einladend und nicht exklusiv-abgrenzend zu verstehen. Es will als Basis einer wirklichen „Union“ versöhnen und zusammenführen, statt zu spalten und zu polarisieren. Es hat von daher schon im Kern eine grundlegend anti-ideologische und anti-totalitäre Ausrichtung. Allein das markiert übrigens schon einen überdeutlichen und ganz entscheidenden Unterschied zu anderen Parteien, insbesondere denen an den politischen Rändern, wie z.B. die AfD oder die Linkspartei: Auch hier versammeln und engagieren sich gewiss Christen, allerdings auf der Grundlage von mehr als fragwürdigen, weil ideologisch verzerrten und einseitigen Vorverständnissen des „Christlichen“. Das so verstandene, weltanschaulich gewissermaßen gefügig gemachte, funktionalisierte und abstrahierte „Christliche“ bildet dann keineswegs mehr die lebendige, kritische und selbstverpflichtende Grundlage der eigenen politischen Orientierung, ist somit auch nicht „Stachel im Fleisch“, wie es Richard von Weizsäcker einmal so treffend ausdrückte, sondern dient letztlich nur noch der Bestätigung der eigenen politischen Ausgangsideologie.
Das „C“ im Parteinamen von CDU und CSU signalisiert demgegenüber einen dezidiert praktisch-verantwortungsethischen und real-lebensweltlichen Anspruch an den eigenen politischen Auftrag, keinen bloß theoretischen oder gar abstrakt-gesinnungsethischen. Das „C“ als Grundlage der ethischen Vergewisserung und Selbstprüfung der Politik darf dementsprechend auch nicht in einem doktrinal-dogmatischen Sinne missverstanden werden. Daraus folgt für die politische Selbstverpflichtung auf das „C“ eine entscheidende Erkenntnis: Es gibt keine direkte und unmittelbare Möglichkeit der Umsetzung von christlichen Glaubensinhalten in die Tagespolitik. Ein „christliches Programm“, eine „christliche Partei“ oder eine „christliche Politik“ als solche kann es nicht geben, da diese wiederum selber unter Ideologieverdacht fielen. Das „C“ ist also eher mit der orientierenden Funktion eines Marsch-Kompasses vergleichbar (Helmut Thielicke). Auch wenn über Grund und Ziel des Weges Einigkeit herrschen sollte, muss um die genaue Marschroute und die damit verbundenen besten Mittel zur Erreichung des Zieles immer wieder gerungen werden.
Das „C“ ist von daher weder oberflächliches Feigenblatt noch fromme Hybris: Das Christliche Menschenbild, dem sich die Union gewissenhaft verschrieben und selbstverpflichtet hat, weiß bei aller Ernsthaftigkeit der Herausforderung zugleich immer auch sehr realistisch um die Endlichkeit, Vorläufigkeit und die Begrenztheit unserer menschlichen Natur.
Das „C“ kann man von daher mit Fug und Recht als den Schatz und das entscheidende Identitätsmerkmal der Union bezeichnen. CDU und CSU tun deshalb gut daran, dieses Profil auch in Zukunft zu pflegen, denn es lebt entscheidend davon, dass es auch in Zukunft eine hinreichende Zahl von bewussten und engagierten Christen in der Partei gibt, die die aus dem Glauben abgeleiteten christlichen Werteüberzeugungen und die mit dem Christlichen Menschenbild verbundenen Überzeugungen nicht nur verbal vertreten, sondern auch selbst eintreten und vorleben. CDU und CSU waren und sind dabei aber immer auch offen für Menschen mit anderen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen, die diese Grundlagen und Werte des Christlichen Menschenbildes ebenfalls bejahen. Auch sie sind selbstverständlich willkommen, in der Union eine politische Heimat zu finden, und zur verantwortlichen Mitarbeit eingeladen. Das „C“ bleibt insofern die klar verpflichtende Grundlage und Basis für alle Mitglieder in der Union.
Thomas Rachel (1962) ist seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU (EAK)und Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)