WARUM RELIGIONSBESCHIMPFUNG BESTRAFT WERDEN SOLLTE

Christian Hillgruber sieht den Staat gerade in einer religiös und weltanschaulich fragmentierten Gesellschaft in  der Pflicht, zu verhindern,  dass Glaubensüberzeugungen öffentlich verächtlich gemacht werden und die Glaubensange­hörigen infolgedessen befürchten müssen, ihres verachteten Glaubens wegen auch selbst missachtet zu werden.
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Christian Hillgruber

 Warum Religionsbeschimpfung bestraft werden sollte

Die Wahrung des öffentlichen Friedens in einer religiös und weltanschaulich fragmentierten Gesellschaft als Staatsaufgabe

Nach § 166 des Strafgesetzbuchs stellt die Beschimpfung des Inhalts eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses bzw. einer Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsver­einigung, ihrer Einrichtungen und Gebräuche eine mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe zu ahndende Straftat dar, sofern sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Doch strafgerichtliche Verurteilungen nach dieser Strafbestimmung gibt es so gut wie keine. Dabei mangelt es an dererlei Beschimpfungen unterschiedlichster Bekenntnisse leider weiß Gott nicht. Es ist vielmehr die gegenwärtige, unbefriedigende Handhabung des § 166 StGB, die diesen Straftatbestand weitgehend zu praktischer Bedeutungs- und Wirkungslosigkeit ver­urteilt. Grund dafür sind zum eine überzogene Anforderungen an die tatbestandliche Be­schimpfung, zum anderen das zusätzliche einschränkende Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens. Beides führt dazu, dass selbst übelste Verunglimpfun­gen noch tole­riert werden.

Ein strafbewehrtes Verbot der Bekenntnisbeschimpfung fordert dem Einzelnen nicht mehr ab, als einen sich eigentlich schon aus Anstandsgründen geziemenden Verzicht auf die Verhöh­nung der identitätsprägenden religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung des anderen. Eine derart maßvolle wechselseitige Rücksichtnahmepflicht darf auch ein säkularer Staat um des öffentlichen Friedens willen allen seinen Bürgern abverlangen, ohne die Meinungsfreiheit ungebührlich einzuschränken. Wer das verächtlich macht und böswillig herabwürdigt, was anderen heilig ist, was für andere den Kern ihrer tiefsten Glaubensüberzeugung, die geglaubte und gelebte religiöse Wahrheit darstellt, stört den öffentlichen Frieden der staatlichen Ge­meinschaft.

Die Annahme einer Störung des öffentlichen Friedens setzt eine dazu geeignete Beschimp­fung eines religiösen Bekenntnisses oder der dieses Bekenntnis repräsentierenden Religions­gesellschaft voraus. Darunter fällt nicht jede abträgliche Äußerung; erforderlich ist vielmehr eine durch Form oder Inhalt besonders verletzende Äußerung der Missachtung, wobei das be­sonders Verletzende sowohl in der Rohheit des Ausdrucks als auch in dem unberechtigten Vorwurf eines schimpflichen Verhaltens oder Zustands liegen kann. Auch im heftig geführten religiös-weltanschaulichen Meinungskampf auf derartige Beschimpfungen zu verzichten, kann nicht ernstlich als ein die Meinungsfreiheit ungebührlich einschränkender Eingriff gewertet werden. Ansonsten müsste man auch das strafbewehrte Verbot der Beleidigung für eine Verletzung der Meinungsfreiheit erachten, weil diese vermeintlich das uneinschränkbare  Recht einschließt, einem anderen einmal „richtig“ die Meinung zu sagen, unter Einschluss auch von Invektiven. Das behauptet zu Recht niemand.

Wann eine Beschimpfung vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Aber gewisse Leitlinien las­sen sich aufstellen. Bekenntnisfeindliche Meinungen, deren grob herabsetzender Charakter sich schon aus der Form oder den Umständen ihrer Äußerung ergibt, wie die Verwendung von üblen Schimpfworten, erfüllen den Tatbestand einer Störung des öffentlichen Friedens ohne weiteres. Gleiches muss für die sexualisierte Darstellung religiöser Gehalte und kultischer Handlungen gelten; sie ist die anstößigste Form der Profanisierung des für einen Gläubigen Heiligen und daher regelmäßig Beschimpfung.

Dagegen verdient der inhaltliche Aussagege­halt einer religionskritischen Meinungsäußerung grundsätzlich den Schutz der Meinungsfrei­heit, es sei denn die sachliche Substanz der Kritik an einem Bekenntnis oder einer Bekennt­nisgemeinschaft tritt eindeutig hinter plumper Schmähung zurück. Bei Satire und Karikatur, denen Übertreibungen, Verzerrungen und Ver­fremdungen wesenseigen sind, erfordert ihre rechtliche Beurteilung die Entkleidung des in „Wort und Bild gewählten satirischen Gewan­des“. Aussagekern und Einkleidung sind sodann gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe grober Missachtung des zum Ge­genstand der Satire gemachten Bekenntnisses enthalten.

Die Umstände, die eine religionskritische oder gar -feindliche Meinungsäußerung zur Satire machen, können, je nach den Umständen, deren grob anstößigen Charakter ab­schwächen, ver­stärken oder gar erst begründen: Je stärker die Verfremdung des realen Ge­schehens, des Zu­stands oder einer Institution ist, die eine Satire zum Objekt ihrer beißenden Kritik macht, de­sto schwächer der Bezug zum betroffenen Bekenntnis und der Bekenntnisge­meinschaft und umso geringer der Angriff auf sie. Umgekehrt kann die schamlose Übertrei­bung in der Be­wertung eines kritikwürdigen Verhaltens einer Bekenntnisgemeinschaft ebenso wie eine For­malbeleidigung eine ansonsten gar nicht gegebene Beschimpfung allererst be­gründen. Gewiss kann im Einzelfall zweifelhaft sein, ob die Schwelle zur Beschimpfung schon überschritten ist. Doch solche Beurteilungsschwierigkeiten treten auch in anderen Kol­lisionslagen auf; sie sind einer ausdifferenzierten Rechtsordnung eigen, von ihr aber auch durchaus zu bewältigen.

Eine Friedensstörung tritt nicht erst mit dem Entstehen eines Klimas offener oder latenter Feindschaft, sondern schon mit der Beschimpfung selbst ein. Der Staat darf es nicht zulassen, dass Glaubensüberzeugungen öffentlich verächtlich gemacht werden und die Glaubensange­hörigen infolgedessen befürchten müssen, ihres verachteten Glaubens wegen auch selbst missachtet zu werden. Gerade ein Staat, der sich als Heimstatt aller Bürger ungeachtet ihrer glaubensmäßigen oder weltanschaulichen Ausrichtung versteht, ist aufgerufen, einer solchen Entwicklung, die seine eigene Existenzgrundlage in Frage stellt, ex ante entgegenzutreten.

Gott selbst braucht keinen strafrechtlichen Schutz, wohl aber das friedliche, respektvolle Zu­sammenleben in einem Staat, der gläubige und nichtgläubige Bürger vereint.

Prof. Dr. Christian Hillgruber (1963) lehrt seit 2002 Öffentliches Recht an der Rhei­nischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen im deutschen Staatsrecht, im Völker- und Europarecht sowie in der Rechts- und Staatsphilo­sophie. Zahlreiche Publikationen widmen sich dem Verhältnis von Staat und Religion.

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