SOZIALE GERECHTIGKEIT UND KATHOLISCHE SOZIALLEHRE

Lars Schäfers und Gabriel Rolfes sehen Gerechtigkeit eng verknüpft  mit den Grundprinzipien der Subsidiarität und So­lidarität, die dem Fundament der Personalität gründen.

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Lars Schäfers / Gabriel Rolfes

Soziale Gerechtigkeit und Katholische Soziallehre

Prekäre Jobs, sinkende Renten und wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft sind drängende Pro­blemstellungen unserer Zeit, angesichts derer „mehr soziale Gerechtigkeit“ gefordert wird. Oft fehlt je­doch ein klarer Zugang zu dem Begriff. Wir plädieren für ein Verständnis von sozialer Gerechtigkeit, das sich an den Wertegrundlagen der Soziallehre der Katholischen Kirche orientiert.1

Gerechtigkeit, die auf Subsidiarität und Solidarität gründet

Gerechtigkeitsüberlegungen nehmen innerhalb der päpstlichen Sozialverkündigung vor allem im Hin­blick auf menschenwürdige Arbeit und gesellschaftliche Solidarität einen hohen Stellenwert ein. In ihrer Soziallehre entfaltet die Kirche die institutionelle Dimension der Gerechtigkeit als „das entscheidende Kriterium der Sittlichkeit im intersubjektiven und sozialen Bereich“2. Gerechtigkeit in der Gesellschaft bedeutet vor allem anderen, dass „jedem sein Recht zukommt, als Person anerkannt zu werden und ein menschenwürdiges Dasein zu führen“3.

In den Schriften, in denen die Päpste die Katholische Soziallehre entfaltet haben, wird selten von explizit sozialer Gerechtigkeit gesprochen. Dies tun hingegen die Kirchen in Deutschland in ihrem 1997 erschie­nen ersten gemeinsamen Sozialwort Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Hier wird der Be­griff der sozialen Gerechtigkeit explizit als „übergeordnetes Leitbild“4 der Sozialethik beider Kirchen er­klärt. Im zweiten Sozialwort von 2014 wurde das Verständnis sozialer Gerechtigkeit erweitert zur um­fassenden sozialen Inklusion und Partizipation aller Menschen in Deutschland.5 Sozial ungerecht ist es demnach, wenn „Ausgrenzungen von Menschengruppen aus sozialen Lebensbereichen und von Ämtern und gesellschaftlichen Positionen“6 geschieht.

Gerechtigkeit wird innerhalb der Soziallehre eng mit den Grundprinzipien der Subsidiarität und der So­lidarität verknüpft. Diese fußen auf dem Prinzip der Personalität, was das spezifisch christliche Men­schenbild meint, das dem kirchlich-sozialen Denken zugrunde liegt: Der Mensch als zur Freiheit befä­higt und ebenso zur Gemeinschaft mit anderen berufen. Die Freiheitsbefähigung des Menschen drückt sich im christlichen Gesellschaftsbild durch die Subsidiarität, die Hinordnung des Menschen auf Ge­meinschaft in der Solidarität aus. Beide sich einander ergänzenden Prinzipien sind daher auch bei der Frage nach sozialer Gerechtigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft maßgebend.

Lohngerechtigkeit: „Wer dem Arbeiter seinen Lohn nicht gibt, der ist ein Bluthund.“ (Sir, 34,22)

Soziale Gerechtigkeit kann nicht ohne Rolle und Wert der menschlichen Arbeit gesehen werden. Ein we­sentliches Element sozialer Gerechtigkeit ist in diesem Kontext die Lohngerechtigkeit. Diese ist aus kirchlicher Sicht so zentral, dass ein Vorenthalten des gerechten Lohns schon seit biblischen Zeiten zu den himmelschreienden Sünden7 gezählt wird. Das Entgeltniveau muss „mindestens so hoch sein, dass es bei Vollzeiterwerbstätigkeit einer Person für die Bedarfssicherung einer ganzen Familie ausreicht.“8 Die Frage nach gerechtem Lohn wurde von Papst Johannes Paul II. sogar als Schlüsselproblem der Sozial­ethik9 gewertet. Die gerechte Bezahlung ist demnach „Prüfstein für die Gerechtigkeit des gesamten so­zio-ökonomischen Systems und für sein rechtes Funktionieren.“10

Wertekompass für eine moderne christlich-demokratische Politik

Diese Vision von sozialer Gerechtigkeit steht damit in deutlichem Kontrast zum in Deutschland seit der Jahrtausendwende angewachsenen Niedriglohnsektor, in dem oftmals auch ein Vollzeiterwerb nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts ausreicht. Christlich-demokratische Politik darf hierbei nicht die Fehler der Sozialdemokratie wiederholen und den Ausbau eines der größten Niedriglohnsektoren Europas als Errungenschaft verstehen wollen. Die durch allgemeine Transferleistungen „aufgestockte“ Beschäfti­gungsform im Niedriglohnbereich darf im Sinne des personalen Wertes und der Würde menschlicher Arbeit, wie die Katholische Soziallehre sie betont, in keiner Form Normalität sein.

So sollte christlich-demokratische Politik bei der Erkenntnis bleiben, dass es nicht auf alle Fragen der Sozialpolitik marktliche Antworten gibt, die mit den Werten einer sozialen Wirtschaftsordnung verein­bar sind. Sie muss weiterhin vor einer etwaigen ökonomischen Verwertungslogik zuerst den Menschen als Person sowie Wert und Würde seiner Arbeit sehen.

Eine solche Politik darf ferner auch in möglicherweise ökonomisch oder politisch schwierigen Zeiten ihre klare Peilung entlang des ‚C‘ nicht verlieren und sollte stattdessen im Bekenntnis zu den Maximen der Katholischen Soziallehre Lösungsvorschläge für sozial- und gesellschaftspolitische Herausforderun­gen des 21. Jahrhunderts formulieren.

 

Lars Schäfers (1988), Mag. theol., ist Journalist und Sozialethiker, stellvertretender Chefredakteur des Online-Magazins firstlife und Wissenschaftlich Beschäftigter am Moraltheologischen Seminar der Bon­ner Katholisch-Theologischen Fakultät.

Gabriel Rolfes (1989) ist Doktorand und Wissenschaftlich Beschäftigter in der Abteilung für Neuere und Neueste Geschichte am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn.

1 Dieser Beitrag basiert auf einer Abhandlung zur Rolle von Sozialer Gerechtigkeit in der Katholischen Soziallehre und in der Bundesrepublik Deutschland, welche zuerst in der Schriftenreihe der Stiftung Christlich-Soziale Politik (Stiftung CSP) ge­duckt wurde: Rolfes, Gabriel/Schäfers, Lars: Soziale Gerechtigkeit in der Katholischen Soziallehre und in der Bundesrepu­blik Deutschland (Königswinterer Notizen Nr. 20) Königswinter 2017, online abrufbar unter http://www.azk-csp.de/uploads/media/Kw_Notizen_20_Web.pdf.
2 Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden: Kompendium der Soziallehre der Kirche, Freiburg im Breisgau 2006, Nr. 201.
3 Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland/Deutsche Bischofskonferenz: Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtig­keit, Hannover/Bonn 1997, S. 45.
4 Ebd., S. 46.
5 Vgl. Rat der EKD/Deutsche Bischofskonferenz; Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft, Hannover/Bonn 2014, S. 21.
6 Ebd.

7 Vgl. Dtn 24, 14-15; Jak 5,4. Vgl. auch Katechismus der Katholischen Kirche. Neuübersetzung aufgrund der Editio Typica Latina. Korrigierter Nachdruck der Ausgabe von 2003, München 2005, Nr. 1867.
8 Hahn, Judith: Rechtliche Einheit als Gerechtigkeit. Kirchenrechtsethische Annäherungen an die Novellierung der Grund­ordnung des kirchlichen Dienstes, in: Fisch, Andras u.a. (Hgg.): Arbeit – ein Schlüssel zu sozialer Gerechtigkeit (Forum So­zialethik Bd. 11), Münster 2012, S. 201-222, hier S. 203.
9 Johannes Paul II., Laborem Exercens, 19. Abgerufen unter: http://w2.vatican.va/content/john-paul-ii/de/encyclicals/docu­ments/hf_jp-ii_enc_14091981_laborem-exercens.html (Zugriffsdatum: 18.11.2017).
10 Ebd.

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