Die Bundestagsabgeordneten Claudia Lücking-Michel, Michael Brand und Mchael Frieser haben ein Positionspapier zum Schutz der Würde am Ende des Lebens vorgelegt, das den besonderen Schutz der Menschenwürde in der letzten Phase des Lebens fordert.
Das folgende Papier können Sie hier ausdrucken
Claudia Lücking-Michel MdB
Michael Brand MdB
Michael Frieser MdB
Begleiten statt Beenden – Schutz der Würde am Ende des Lebens
Die Würde des Menschen ist unantastbar, vom Beginn bis zum Ende des Lebens. Entsprechend diesem in unserer Verfassung verankerten Grundsatz sind wir verpflichtet, jegliche Aufweichung des Schutzes der Menschenwürde zu verhindern. Gerade in der letzten Phase des menschlichen Lebens, die oft durch Krankheit, Leid und Schwäche gekennzeichnet ist, sind Menschen besonders schutzbedürftig. Für sie muss daher besonderer Schutz gelten. Für uns als Gesetzgeber ist es dabei nicht Aufgabe, Antworten auf die letzten Fragen der menschlichen Existenz zu geben. Wir tragen aber Verantwortung dafür, bestmögliche Voraussetzungen für menschenwürdiges Leben und Sterben zu schaffen.
SELBSTBESTIMMUNG UND SCHUTZ DES LEBENS
In Deutschland richtet sich die eigene Gestaltung auch des letzten Lebensabschnittes nach dem Selbstbestimmungsrecht. Daher wollen wir die geltenden Regelungen zur Straflosigkeit von Suizid wie auch der Beihilfe dazu grundsätzlich unberührt lassen. Eine Justierung ist zum Schutz des Lebens von Schwerstkranken und Sterbenden allerdings im Bereich der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung erforderlich.
Wir sprechen uns deshalb gegen Sterbehilfevereine und andere organisierte Formen der Förderung der Selbsttötung oder der Beihilfe zum Suizid aus. Wir wollen menschliches Begleiten der Sterbenden statt aktives Beenden des Lebens.
KEIN SONDER-STRAFRECHT FÜR ÄRZTE
Wir lehnen ebenso organisierte ärztliche Assistenz zum Suizid ab. Wir wollen keine gesetzlichen Sonderregelungen für Ärzte oder andere Gruppen in diesem Bereich, denn es kann im Strafrecht keine eigenen Regelungen für Ärzte geben.
Wir dürfen keine Türen öffnen, durch die geschwächte oder verzweifelte Menschen hindurch gehen, oder gar hindurch gedrängt werden könnten. Ein organisiertes Angebot ärztlicher Hilfe beim Suizid könnte Entscheidungen hin zum Suizid sehr befördern. Aus Forschung und Begleitung von Suizidwilligen ist hinreichend bekannt, dass ein Wunsch nach Suizid durch psychologische, medizinische und schlicht menschliche Hilfe abgeändert werden kann. Die allerwenigsten Menschen halten am Todeswunsch fest, wenn Ängste ernst genommen und konkrete Angebote zur aktiven Unterstützung gemacht werden.
Eine Verengung auf zumeist palliativ behandelbare extreme Ausnahmefälle verkennt die weit reichende Dimension eines möglichen Paradigmenwechsels. Statt ärztlich assistierten Suizid zu einer scheinbar „normalen“ Behandlungsoption zu machen, die im Ergebnis eine Öffnungsklausel für Töten auf Verlangen beinhaltet, setzen wir auf ethische Grundsätze ärztlicher Sterbebegleitung, die lindernde Hilfe und nicht das Herbeiführen des Todes zum Ziel hat.
Statt den Fokus auf die ärztliche Suizidassistenz zu verkürzen, muss eine menschliche Gesellschaft ihre Ressourcen mobilisieren, um Schutz von menschlicher Würde und Leben in einer Gesellschaft zu stärken, die in Zukunft noch weit mehr Hilfsangebote für Ältere und Schwächere organisieren muss.
Jeder Mensch hat das Recht, an einer helfenden Hand statt durch eine Hand zu sterben. Dies ist nicht nur zentraler Grundsatz für Ärzte, es ist auch Ausdruck einer menschlichen Gesellschaft und ihrem Respekt für das Leben.
MASSIVER AUSBAU PALLIATIVER UND HOSPIZLICHER ANGEBOTE
Ein Schwerpunkt unserer Überlegungen ist daher die Verbesserung der Palliativ- und Hospizversorgung. Wir treten für einen massiven und raschen Ausbau der palliativmedizinischen und -pflegerischen Begleitung von Schwerstkranken und Sterbenden ein. Professionelle palliative und psychosoziale Begleitung können Schmerz und Ängste vor dem Sterbeprozess nehmen.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Aus diesen Grundsätzen leiten sich unsere Schlussfolgerungen ab:
Das Grundgesetz gebietet in Art. 1 Abs. 1 die unbedingte Achtung und den Schutz der Menschenwürde und in Art. 2 Abs. 2 den Schutz des Lebens eines jeden Menschen unabhängig von Alter, Gesundheit und geistigen Fähigkeiten. Das in Art. 2 Abs. 1 garantierte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit mit dem Recht auf Selbstbestimmung ist Ausfluss der Menschenwürde.
Am Lebensende trägt die Rechtsordnung diesem Recht auf Selbstbestimmung dadurch Rechnung, dass niemand gegen seinen Willen eine ärztliche Behandlungsmaßnahme hinnehmen muss und der Suizid nicht unter Strafe gestellt wird.
Die Rechtsordnung trägt auch Konfliktlagen von Angehörigen und Ärzten Rechnung, die mit schrecklichem Leid konfrontiert werden und sich im Einzelfall nicht anders zu helfen wussten, als dem Wunsch des Sterbenden nach Unterstützung bei der Selbsttötung nachzukommen, indem die Beihilfe zur Selbsttötung ebenfalls straffrei bleibt. Eine Überprüfung der Motive des Gehilfen im jeweiligen Fall ist nicht möglich und findet nicht statt.
Das allein wird dem Vertrauensverhältnis des leidenden Patienten zum behandelnden Arzt sowie zu Angehörigen und Freunden gerecht. Eine Einschränkung durch formalisierte Verfahren, gleichgültig, in welchem Rechtsgebiet sie geregelt sind, entspricht nicht einem humanen Umgang mit schwer leidenden Menschen.
Die Entscheidungsfreiheit ist Ausfluss der Menschenwürde, macht diese aber allein nicht aus und begrenzt sie nicht. Menschenwürde kommt allen Menschen zu, auch denjenigen die als Säugling noch nicht oder aufgrund Krankheit oder Alter nicht mehr entscheidungs- und/oder handlungsfähig sind. Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen.
Dieser umfassende Schutz der Menschenwürde und des Lebens verlangt zunächst eine gute palliative Versorgung in medizinischer und pflegerischer Hinsicht, Der Staat hat die gesetzgeberischen und finanziellen Voraussetzungen zu schaffen, um ein ausreichendes und flächendeckendes Angebot der allgemeinen und spezialisierten ambulanten und stationären Palliativ- und Hospizversorgung sicherzustellen. Diese sind auf der Basis einheitlicher Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen zu vergüten. Die ehrenamtliche Hospizarbeit gehört unverzichtbar zu einer würdigen Sterbebegleitung und ist ideell und materiell anzuerkennen und zu unterstützen.
Zum menschenwürdigen Sterben braucht es Linderung von Schmerzen, Atemnot, Übelkeit und sonstigen Beschwerden. Ärzte müssen die Möglichkeit haben, ohne Angst vor berufsrechtlichen oder gar strafrechtlichen Konsequenzen alle erforderlichen Medikamente einzusetzen und schwerkranken Patienten in der notwendigen Menge zu überlassen. Dazu sind die Voraussetzungen im Arzneimittelrecht und im Betäubungsmittelrecht zu schaffen, insbesondere auch für die Anwendung unter Überschreitung der Zulassungsgebiete und die Anwendung nicht zugelassener Mittel.
Der Verpflichtung zum Schutz des Lebens und der Menschenwürde gilt gerade auch für hilflose, pflegebedürftige Personen. Dem Gebot der Achtung und des Schutzes der Menschenwürde wohnt ein Aspekt der Solidarität inne, ohne den das Gebot gerade dann leer laufen würde, wenn es am dringendsten gebraucht wird, nämlich dann, wenn ein Mensch aufgrund schwerer Krankheit auf die Hilfe und Pflege durch andere angewiesen ist. Der Schutzauftrag der Verfassung verlangt sicherzustellen, dass auch aufgrund schwerer Krankheit oder Alters hilfsbedürftige Menschen den Wert ihres Lebens erkennen können und nicht etwa aus Sorge und Angst, andern lästig zu fallen, am Ende den Suizid anstreben.
Deshalb muss verhindert werden, dass der Suizid und das Angebot zur Unterstützung dabei zu einer „normalen“ Option unter vielen werden und so schleichend eine Werteverschiebung stattfindet. Eine als normal oder üblich angebotene Beihilfe zum Suizid durch Einzelpersonen oder durch Vereine oder durch geschäftsmäßig Tätige beinhaltet gerade diese Werteverschiebung. Ob der Anbietende in Gewinnerzielungsabsicht handelt oder nicht ist für den Grundrechtsschutz ohne Bedeutung.
Eine Regelung im Strafgesetzbuch ist zu ihrer Verhinderung erforderlich, weil nur so das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe durchgesetzt werden kann. Sie soll sicherstellen, dass tatsächlich nur diejenigen erfasst werden, die die Sterbehilfe zum Gegenstand eines regelmäßigen Angebots an Suizidwillige machen.
Bei einem Verbot nur der geschäftsmäßigen Suizid-Beihilfe scheiden Angehörige von vornherein aus, weil die Wiederholungsabsicht schon für einen zweiten Fall nicht bestehen wird. Auch behandelnde Ärzte, die im Einzelfall einem Patienten ein Medikament zum Suizid zur Verfügung stellen, geraten nicht in die Gefahr der Strafverfolgung, wenn sie es nicht zum regelmäßigen Gegenstand ihres „Behandlungs“-angebots machen. Ein Werbeverbot für das Angebot von Sterbehilfeleistungen sollte dieses ergänzen. Dabei muss die Beratung der Betroffenen weiter möglich bleiben
Die Schmerz- und Beschwerdelinderung auch unter Inkaufnahme eines früheren Versterbens liegt ebenfalls völlig außerhalb des Anwendungsbereiches einer solchen strafrechtlichen Norm, denn strafbar soll nur die Handlung sein, die in der gesteigerten Vorsatzform der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, geschieht.
Andere wirksame Maßnahmen, das Ziel der Verhinderung einer schleichenden Entwertung des Lebens- und Menschenwürdeschutzes in diesen Fällen zu erreichen, stehen nicht zur Verfügung:
Eine Regelung im BGB ist untauglich. Die Rechtslage unterscheidet sich von der dort geregelten Patientenverfügung grundlegend. Durch die Patientenverfügung bzw. die Ermittlung des mutmaßlichen Willens mit dem Betreuer wird eine Behandlung überhaupt erst zulässig, weil andernfalls das Handeln des Arztes, der gegen den Willen des Patienten eine Behandlung vornimmt, als Körperverletzung strafbar wäre. Ein formalisiertes Verfahren kann nur dazu dienen, ein ansonsten verbotenes Verhalten unter bestimmten Voraussetzungen zu erlauben. Die Beihilfe zum Suizid müsste also erst allgemein verboten werden, um sie unter bestimmten Umständen in einem formalisierten Verfahren dann doch straffrei zu stellen. Unter dem Gesichtspunkt des Selbstbestimmungsrechts ist das nicht zu wünschen.
Das ärztliche Standesrecht stellt keinen ausreichenden Schutz dar, denn es könnte ohnehin nur Ärzte betreffen, nicht sonstige Personen, die an der Beschaffung von tödlichen Mitteln mitwirken.
Auch handelt es sich bei dem ärztlichen Standesrecht nicht um staatliche Gesetze, sondern um Regeln, die sich die ärztlichen Standesorganisationen selbst geben. In diesem Kernbereich des Grundrechtsschutzes ist eine staatliche Regelung erforderlich.
Das Gewerberecht ist ungeeignet, denn es könnte nur Handeln mit Gewinnabsicht betreffen. Für den Grundrechtsschutz ist diese aber irrelevant.
Das Vereinsrecht ist ungeeignet, denn es bietet wegen der grundgesetzlichen Garantie der Vereinigungsfreiheit keine Möglichkeit zum Vereinsverbot, wenn nicht der Verein gegen ein Strafgesetz verstößt, setzt also seinerseits eine Strafnorm voraus.