Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich gegenüber den katholischen Bistumszeitungen klar zur Unverfügbarkeit menschlichen Lebens bekannt, auf die Ambivalenz der Präimplantationsdiagnostik hingwiesen und wünscht sich mehr als nur das Verbot gewerblicher Beihilfe zum Suizid.
Das Interview führten Andreas Kaiser und Ulrich Waschki. Es erscheint vollständig am 5. Mai u.a. in der Osnabrücker Bistumszeitung „Kirchenbote“.
Wir zitieren auszugsweise vorab:
Ein Thema, das viele Christen umtreibt, ist der Lebensschutz. Die Pränataldiagnostik wird in vielen Ländern bereits zur Selektion menschlichen Lebens missbraucht. Der Mensch greift immer häufiger in die Schöpfung ein. Ist die Entwicklung noch aufzuhalten?
Merkel: „Deutschland geht mit diesen Fragen bewusst sehr vorsichtig um. Wir haben im Vergleich mit an- deren Ländern ein äußerst strenges Embryonenschutzgesetz. Ich möchte aber auch nicht verhehlen, dass es bei der pränatalen Diagnostik zu Konflikten kommen kann – etwa zwischen dem Anspruch, zu heilen, Leid zu lindern einerseits und dem Schutz des Lebens andererseits. Neue medizinische Möglichkeiten dürfen nie dazu führen, dass Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft nicht mehr akzeptiert werden. Wir haben nicht zu definieren, welches Leben erstrebenswert ist. Das wäre ein gefährlicher Weg.“
Aber der Druck ist doch schon da. Eltern behinderter Kinder bekommen gesagt: „Das muss doch heute nicht mehr sein.“
Merkel: „Das weiß ich, weil ich auch mit solchen Eltern spreche. Und es empört mich; genau dieser Haltung müssen wir Einhalt gebieten. Dafür setze ich mich politisch ein. Mehrheiten dafür zu finden, scheint schwierig.“
Die Kompromisse der Vergangenheit waren aus katholischer Sicht enttäuschend.
Merkel: „Es stimmt, es ist schwer, für manche Positionen Mehrheiten zu finden. Wir erleben das gerade beim Ringen um eine Regelung der Beihilfe zum Suizid.“
… das Gesetz liegt auf Eis.
Merkel: „Ja, weil das Gesetz, für das sich eine Mehrheit fände, aus unserer Sicht nicht ausreicht. Das ist ein Dilemma: Weil die Beihilfe zum Suizid bisher überhaupt nicht geregelt ist, müssen wir entscheiden, ob wir einer aus unserer Sicht nicht ausreichenden Regelung zustimmen oder jetzt gar nichts ändern und weiter für eine zufriedenstellende Lösung werben.“
Einig sind Sie sich ja mit der FDP, die gewerbliche Beihilfe zum Suizid, also das Geldverdienen mit der Selbsttötung zu verbieten. Keine Mehrheit gibt es hingegen für ein generelles Verbot organisierter Suizidhilfe. Sollen wir diese Lücke akzeptieren oder im Moment auf eine Regelung verzichten?
Merkel. „CDU/CSU und FDP haben sich in der Koalitionsvereinbarung vorgenommen, die gewerbliche Suizidbeihilfe zu verbieten. Für Regelungen darüber hinaus, die ich mir wünsche, sehe ich zurzeit noch keine Mehrheit. Wir sollten uns deshalb die Zeit nehmen, da- für doch noch eine Mehrheit zu finden, denn auch bei anderen Fragen des Lebensschutzes hat es sich gelohnt, dass wir uns Zeit genommen haben. So konnten wir etwa bei der Spätabtreibung 2009 doch noch eine Beratungspflicht beschließen.“