CHRISTLICHE JUGENDARBEIT

Hansjörg Kopp beschreibt christliche Jugendarbeit als alltags-, lebens- und zukunftsrelevant und benennt Agilität, Flexibilität und Überkonfessionalität als wesentliche Herausforderungen.

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Hansjörg Kopp

Christliche Jugendarbeit – alltags-, lebens- und zukunftsrelevant

Der Winter 2020 mit dem zweiten Lockdown wirkt beschleunigend auf Abbrüche in der Kinder- und Jugendarbeit. So sehr es schmerzt, so viele dagegen leidenschaftlich mit hohem Engagement und eindrücklicher Kreativität ankämpfen: Die Corona-Pandemie hinterlässt auch in der Jugendarbeit tiefe Spuren. Die Prozesse der Verkleinerung der letzten Jahrzehnte werden mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter beschleunigt.

Und dennoch: Ein Abgesang auf die Jugendarbeit (im Folgenden immer zu verstehen als Kinder- und Jugendarbeit) kommt zu früh und wäre auch nicht zu verantworten. Denn sie ist und bleibt relevant: alltags-, lebens-, und zukunftsrelevant für jeden einzelnen. Deshalb lässt sich ihre Relevanz auch nicht in Zahlen begründen und darf nicht zuerst beantwortet werden aus Sicht von Institutionen, Kirchen, anderen Organisationen oder Parteien, sondern aus der Perspektive junger Menschen.

Jugendarbeit bleibt relevant

Warum ist Jugendarbeit so wichtig? Sie ermöglicht jungen Menschen Partizipation, eröffnet Räume zur Verantwortungsübernahme, verfügt über herausragende Gemeinschafts- und Integrationspotentiale. Sie ist notwendiger Bestandteil von Demokratiebildungsprozessen, die nötiger denn je sind. Besonders Kinder und Jugendliche brauchen die Gruppe der Gleichaltrigen, um sich selbst positionieren, Haltungen zu entwickeln und Orientierung finden zu können. Sie sind auf den erwachsenenfreien Kontaktraum angewiesen. Jugendarbeit hat mit ihren Angeboten und (non-formalen) Lernräumen über viele Jahrzehnte die Zivil-Gesellschaft stark geprägt und diese hat stark und vielfältig davon profitiert. Ja, jene evidenzbasierte Lernerfahrung hat neben der persönlich individuellen auch eine starke gesamtgesellschaftliche Relevanz. Jugendarbeit ist in diesem Sinne als Lernort ebenso systemrelevant wie die Schule mit ihrem (vorrangig) formalen Bildungsauftrag.

Jugendarbeit braucht Unterstützung

Weil sie unverzichtbar ist, gilt es, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen bzw. zu erhalten. Hier sind Zivilgesellschaft, Staat, christliche Kirchen usw. gefordert. Es geht um angemessene finanzielle und personale Ausstattung. Ziel muss hierbei immer eine nachhaltige strukturelle Förderung . Sogar die Bundesregierung mahnt die erforderliche Veränderung weg von einer vorrangingen Projektfinanzierung in ihrem 16. Kinder- und Jugendbericht an.
Und es geht um den unverzichtbaren Freiraum neben dem Lern- und Lebensort Schule. Für diesen kann und muss sich Jugendarbeit auch selbst engagieren, ist allein aber grundlegend überfordert. Hier ist Unterstützung durch die Politik unverzichtbar.

Das Besondere christlicher Jugendarbeit

Christliche Jugendarbeit unterscheidet sich in Wenigem, aber Existenziellem von sehr eindrücklichen, qualitativ, meist sehr hochwertigen Angeboten nichtchristlicher bzw. staatlicher Träger der Jugendarbeit. Sie ist gegründet in Gottes Liebe zu den Menschen. Die Gottebenbildlichkeit jedes Menschen als besondere Würde und die Missio Dei, Gottes Sendung zu den Menschen, bildet das Einzigartige, den Markenkern der christlichen Jugendarbeit aus. Christliche Jugendarbeit ereignet sich im Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes. Die befreiende und heilsame Kraft des Evangeliums ist die christliche Antwort auf Erfahrungen von Begrenzung, Angst oder Scham vieler Kinder und Jugendliche, weil sie gesellschaftlichen Erwartungen und Anforderungen in vielerlei Weise nicht genügen. Und sie will und kann Antwort geben auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Dieser besondere Auftrag christlicher Jugendarbeit war handlungsleitend bei der Gründung von Werken und Verbänden wie dem CVJM, EC, VCP, DPSG und vielen mehr. Die Methoden und Programme waren von Anfang an vielfältig, der Ursprungsauftrag derselbe.

Wofür Jugendarbeit nicht verantwortlich ist

Herausfordernder könnten die Zeiten kaum sein: Zurückgehende Mitgliederzahlen, der Verlust gesamtgesellschaftlicher Relevanz von Kirchen und die demografische Entwicklung seien hier exemplarisch genannt. Diese Entwicklungen gehen an der christlichen Jugendarbeit nicht spurlos vorüber. Vielmehr noch: Sie bestimmen die Rahmenbedingungen wesentlich mit. Augenscheinlich naheliegend ist deshalb der Reflex von Verantwortlichen in den Kirchen, dass Jugendarbeit eine Mitverantwortung trägt für den Erhalt der Organisation. Die Ergebnisse von „Freiburg 2060“ (Kirche im Umbruch, Projektion 2060) und die damit verbundenen Prognosen bilden die aktuellste Grundlage für diese Erwartung. Aber sie ist falsch.

Kinder und Jugendliche sind heute Kirche wie Menschen aller anderen Generationen auch und nicht erst die Kirche der Zukunft. Jesu Wirken selbst stellte sie von Beginn an in die Mitte und nicht an den Rand (Markus 10). Demzufolge haben sie das Recht, ihrem Alter gemäß ermutigt, unterstützt, befähigt zu werden.

Kirchen und freie Werke haben daher gemeinsam den Auftrag, Jugendarbeit zu stärken und zu fördern mit allen erdenklichen Möglichkeiten. Aber nicht des „Systemerhalts“ wegen, nicht um die Zukunft der Kirche zu sichern, sondern der Kinder und Jugendlichen wegen. Sie sind es wert!

Jugendarbeit beschleunigt Veränderung – wenn sie darf

Das Beispiel der „Fridays for Future“-Bewegung zeigt, wie stark die Energie junger Menschen wirken kann durch ihre Art der Problemfokussierung und –artikulation. Hinsichtlich der Auswirkungen des Klimawandels und der notwendigen gemeinsamen Intervention aller, wurde schnell eine größere Dynamik entfacht, als in zahllosen Expertengesprächen. Junge Menschen haben in ihrem Gestaltungs- und Veränderungswillen eine besondere, starke Kraft. Diese ist herausfordernd für etablierte Systeme von Kirche und Zivilgesellschaft, kann aber in besonderer Weise katalytisch wirken. Hierin liegt ein außergewöhnliches Potential für Kirchen, Organisationen und die Zivilgesellschaft. Erforderlich ist hierfür, dass jungen Menschen entsprechend Gestaltungsraum gegeben wird. Dies setzt Bereitschaft zu einem möglichen Verlust der Kontrolle bei Verantwortungsträgern voraus. Für die Kirchen im Speziellen gilt: Wenn sie gewillt sind, junge Menschen zu „beheimaten“ – dann ist dies nur durch Übertragung von Verantwortung und die grundlegende Bereitschaft zur Veränderung möglich.

Christliche Jugendarbeit muss sich selbst weiterentwickeln

Gleichwohl ist auch die christliche Jugendarbeit gefordert. Sie kann sich der Notwendigkeit nicht entziehen, in einer guten Balance zwischen Tradition und Innovation Zukunft zu gestalten. Das bedeutet, Angebote entsprechend den gesellschaftlichen Bedürfnissen und Ressourcen anzupassen und statt z.B. vorrangig teure Auslandsreisen zu organisieren, gilt es Ferienprogramme zu etablieren, die mehr Kindern und Jugendlichen Teilnahme und Teilhabe ermöglichen.

Der digitale Raum inklusive der damit verbundenen Social-Media-Aktivitäten wird das große Zukunftsfeld und prägt schon jetzt die Gegenwart. Auch hier wirkt die derzeitige globale Krise stark beschleunigend. Die Performance christlicher Jugendarbeit hat sich merklich verbessert, die Reichweite vergrößert. Die Kraft der Innovation ist sichtbar: „Gaming“ wird merklich positiver bewertet, E-Sports darf gedacht werden u. v. m. Die ersten Schritte sind gemacht, weitere müssen folgen. Und es gilt hier, bei in allem die Brücke zur intensiven Beziehungsarbeit zu schlagen, die für christliche Jugendarbeit konstitutiv ist. Bis heute gilt der Grundsatz: Beziehung hat Vorrang vor Programm.

Insgesamt hat dabei christliche Jugendarbeit auch den organisatorisch und strukturell verändernden Entwicklungen Rechnung zu tragen, dass bisher etablierte Netzwerke, Kirchengemeinden oder Verbände wie auch der CVJM oder der EC an Bindekraft verlieren und ein gemeinsames, überkonfessionelles Miteinander an Bedeutung gewinnt. Agilität, Flexibilität und Überkonfessionalität sind wesentliche Stichworte der christlichen Jugendarbeit der Zukunft.

Ein kirchliches „Wachsen gegen den Trend“ wird es nicht geben und doch besteht die Möglichkeit, der Gesamtentwicklung nicht nur tatenlos zuzusehen. Wer ihn in Ansätzen umkehren will, muss in die junge Generation investieren. Christliche Jugendarbeit selbst will ihren Beitrag leisten und Zukunft aktiv mitgestalten. Sie tut dies mit viel Leidenschaft, Engagement und auch dem Mut, Etabliertes und Vertrautes aufzugeben bzw. neu zu denken. Letztlich geht es dabei aber vor allem anderen immer um die Kinder und Jugendlichen selbst.

Hansjörg Kopp (1972) hat evang. Theologie in Tübingen und Marburg studiert und war Gemeindepfarrer in Gemeindepfarrer in Ulm und Jugendpfarrer in Esslingen. Seit 2017 ist er Generalsekretär des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) Deutschland.

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