EXTREMISMUS: VOM WORT ZUR TAT ….

Stephan Kramer plädiert für eine frühe Werteerziehung, um dem Übel des Extremismus im Ursprung entgegen zu treten.

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Stephan Kramer
Extremismus: Vom Wort zur Tat……

Die kommt ein Mensch dazu, andere, die ihm nichts angetan haben und die er nicht einmal persönlich kennt, im Namen einer Ideologie zu ermorden? Wie kommen rechtsextremistische Gangs dazu, Jagd auf Menschen zu machen, die nicht in ihr Weltbild passen oder einfach nur anders sind? Wie vollzieht sich die Entstehung eines selbsternannten „Untergrunds“, der die Demokratie und offene Gesellschaft mit Terrorakten bekämpft und den vielfachen Mord als ein durchaus legitimes, ja gebotenes Mittel zur Schaffung einer dystopischen, auf Hass und Gewalt beruhenden Staatsordnung betrachtet?

Kürzer formuliert: Wie sieht der Weg vom Wort zur Tat aus?

Um dieser Frage sinnvoll nachgehen zu können, müssen wir uns zuallererst bewusst machen, dass das Problem nicht erst dann beginnt, wenn kriminelle Gewalttäter versuchen, Wörter aus ihrem ideologi­schen Vokabular – den Begriff Wort-SCHATZ finde ich in diesem Zusammenhang unpassend – in die Tat umzusetzen. Es beginnt viel früher, drücken doch Worte und Wörter Gefühle und Gedanken, die Grundhaltung des Menschen zu seiner Umwelt aus. Und extremistische, menschenverachtende Worte und Wörter finden in unserer Gesellschaft erschreckend große Verbreitung. Hass und Hetze sind an der Tagesordnung und natürlich mitursächlich für hasskriminelle Taten.

Wir müssen daher zuerst der Frage nachgehen, woher ein Erstklässler „weiß“, dass „Jude“ ein Schimp­fort sei, ein Heranwachsender, dass „die Moslems“ für „uns Deutsche“ eine Gefahr darstellen. Woher kommt die dumpfe Überzeugung von Rechtsextremisten, dass all diejenigen – inklusiver „echter Deut­scher“ –, die gegen ihr abscheuliches Weltbild eintreten – vermeintlich legitime Ziele von Gewalt seien?

Und wenn ich von Erstklässlern spreche, ist das kein hypothetisches Sprachbild. In vielen Fällen werden die Grundlagen für extremistische Gesinnung bereits in der frühen Kindheit gelegt. Es würde sich si­cherlich lohnen, diesen Aspekt genauer empirisch zu erforschen. Wo hört der Drei- oder Vierjährige zum ersten Mal das Wort „Saujude“ – und viele andere? Von den Eltern? Dem Onkel und der Tante beim Familienpicknick? In der Kita? Nach dem Gottesdienst?

Natürlich trägt jeder Erwachsene später die Verantwortung für seine eigenen Taten, und es gibt nichts, das extremistische Gewalt rechtfertigen würde. Es wäre aber falsch zu verkennen, dass die Botschaften, die positiven wie die negativen, die unsere Kinder empfangen, die Werte und Unwerte unserer Gesell­schaft widerspiegeln. Niemand wird als Extremist geboren.

Junge Menschen beobachten auch aufmerksam das Verhalten Erwachsener. Wenn Eltern, Lehrer, Nach­barn und dergleichen über die eine oder andere Bevölkerungsgruppe schimpfen und niemand ihnen wi­derspricht, wird ihre Aussage in den Augen junger Menschen legitimiert. Wie lassen sich solche verheerenden Entwicklungen verhindern? Ganz zu verhindern sind sie wohl lei­der nicht. Respekt und Toleranz kann man nicht verordnen, die Akzeptanz des Anderen nicht dekre­tieren. Dennoch gibt es Wege, sich positiv einzubringen, um den Mitmenschen, auch den jungen, zu zei­gen, dass es auch anders geht.

Viele Menschen in Deutschland tun das, wofür ihnen Anerkennung gebührt. Sie engagieren sich im in­terkulturellen und interreligiösen Dialog, betätigen sich an Gedenkstätten oder helfen Flüchtlingen. Aber nicht nur sie: Wir können auch denjenigen nicht genug danken, die in ihrem eigenen Lebensbereich Ras­sisten, Fremdenhassern, Antisemiten und anderen Extremisten Widerstand entgegensetzen, deren Hass­tiraden nicht unwidersprochen lassen. Auch von ihnen lernen junge Menschen: und zwar Freundlichkeit, Zivilcourage und Empathie, also unersetzliche Mittel im Kampf gegen Menschenhass. Anerkennung ge­bührt auch bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die gerade jungen Menschen Toleranz, Akzeptanz und Einsatz gegen den Extremismus vorleben. Führen durch Vorbild heißt das Prinzip.

Glücklicherweise gibt es in unserem Land viele demokratische Kräfte politischer, sozialer oder religiö­ser Natur, die sich für Freiheit und Demokratie einsetzen. Es wäre wichtig, wenn sich noch mehr Men­schen, Organisationen und Einrichtungen ihnen anschlössen – und auch nach innen prüften, ob sie genug gegen Ressentiments und Vorurteile tun. Natürlich sind auch im Schulwesen größere, umfassendere und andauernde Bemühungen zur Abwehr des Extremismus nötig. Dort geht es nicht nur um Wissensver­mittlung, sondern auch Werterziehung und für alles ist nicht genug Zeit und gibt es nicht genug qualifi­zierte Lehrkräfte. Das Problem ist seit Jahren bekannt und wird beklagt, gehandelt hat die verantwortli­che Politik aber bisher nicht.

Ich betone die Möglichkeiten, dem Extremismus bereits in seiner Entstehungsphase entgegenzutreten, weil die Erziehung zur Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe, die übrigens in allen Religionen eine Rol­le spielt, eine durch nichts zu ersetzende Maßnahme zur Bekämpfung des Radikalismus ist. Gerade als Verfassungsschützer weiß ich nämlich sehr gut, wie schwer die Eindämmung des einmal entfalteten Ex­tremismus, egal aus welcher politischen oder religiösen Richtung, ist.

Diese Feststellung bedeutet selbstverständlich nicht, dass der Staat bei der Bekämpfung gegen unsere Mitbürger und unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung handelnder Extremisten nachlassen darf. Ganz im Gegenteil: Die Behörden sind gehalten, mit allen Mitteln des Rechtsstaats Straftaten zu vereiteln, und wenn das nicht gelingt, sie aufzuklären und zu ahnden. Mit allen rechtsstaatlichen Mitteln und aller Kraft, die mancherorts leider zu vermissen ist. Extremisten übrigens haben dabei nichts in den Reihen des öffentlichen Dienstes zu suchen.

Mit den umfangreichen technologischen Möglichkeiten, die Extremisten zur Verbreitung ihrer Propa­ganda und zur Vorbereitung und Durchführung von Gewalttaten im digitalen Zeitalter weltweit zur Ver­fügung stehen, ist die Herausforderung, mit den Gefährdern und Tätern schrittzuhalten, für die Sicher­heitsbehörden weitergewachsen. Wir sind daher gehalten, mit dem technologischen Arsenal der Demo­kratiefeinde schrittzuhalten: eine nicht immer leichte, bei entsprechendem Willen aber zu lösende Auf­gabe. Und mehr Sicherheit heißt auch nicht zwangsläufig weniger Freiheit. Wer dies behauptet macht es sich zu einfach und verkennt, dass es ohne Sicherheit keine Freiheit gibt!

Allerdings sind Polizei und Verfassungsschutz nur die letzte Abwehrlinie. Wir sind dazu da, um extre­mistische Brandherde aufzuspüren und den Brandstiftern den Weg von der Gesinnung zur Straftat zu versperren. Dabei ist in unserer Rechtsordnung nicht erst Gewalt, sondern auch die Verbreitung krimi­nell-extremistischer Ideologien verboten. In unserem freiheitich-demokratischen Staat müssen sich Bür­gersinn, Politik, Präventivmaßnahmen und bei Bedarf die Ahndung von Straftaten ergänzen. Zusammen­arbeit heißt das Gebot der Stunde und nicht die Spaltung von Zivilgesellschaft und Behörden. Die frei­heitlich-demokratische Grundordnung kann nur dann wirksam verteidigt werden, wenn die Gesellschaft als Ganzes sie schätzt und schützt.

Stephan J. Kramer (1968) ist seit Dezember 2015 Präsident des Verfassungsschutzamtes in Thüringen. Zuvor war er 2004-2014 Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, sowie u.a. Leiter des Berliner Büros des Euro­pean Jewish Congress das politische jüdische Leben in Deutschland und Direktor für das American Jewish Comitee in Brüssel. Ignatz Bubis hatte ihn 1998 zu seinem persönlichen Referenten gemacht. Nach seinem Jura- und Volkswirt­schaftsstudium in Marburg, Frankfurt a. M. und Bonn hatte er seine berufliche Tätigkeit als Mitarbeiter in Abgeordneten­büros des Deutschen Bundestages, u. a. beim langjährigen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Dr. Hans Stercken, begonnen.

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