MENSCHLICHE FLÜCHTLINGSPOLITIK

Rudolf Seiters fordert, dass der Schutz des menschlichen Lebens muss immer wichtiger sein muss als der Grenzschutz.  Er befürwortet die Einführung legaler und sicherer Zugangsmöglichkeiten für Asylsuchende nach Deutschland und Europa. 

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Rudolf Seiters

Menschliche Flüchtlingspolitik 

Personen, die in ihrem Herkunftsland wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, ihrer Zugehö­rigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung Angst um ihr Leben oder ihre persönliche Freiheit haben müssen, haben ein Recht auf Asyl. Grundlagen für das Asylrecht sind unter anderem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, das von den Vereinten Nationen 1951 verabschiedete „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ (Genfer Flücht­lingskonvention), die Europäische Grundrechtecharta und – in Deutschland – unser Grundgesetz. We­sentliche Voraussetzungen für die Erlangung von Asyl sind der Zugang zu dem Land, in dem Asyl be­antragt werden kann, und der Zugang zu einem fairen Asylverfahren.

Richten wir den Blick auf Europa: Lampedusa, die kleine italienische Mittelmeerinsel weit draußen vor den Küsten Siziliens, ist zum Inbegriff der Debatte darüber geworden, was Staaten, die sich durch die Unterzeichnung internationaler und europäischer Abkommen dezidiert zum Flüchtlingsschutz ver­pflichtet haben, tun müssen, um dieser Verpflichtung gerecht zu werden.

Wie gelangt man als Flüchtling aus Afrika oder Asien nach Europa?

Die legale Einreise mit einem Visum steht Flüchtlingen in der Regel nicht offen. Flüchtlingen ist daher of nur eine illegale Einreise möglich. Viele bedienen sich dazu Schlepperorganisationen, die sie illegal über die Grenzen bringen, und zahlen dafür mit dem Vermögen ihrer Familien und oft mit ihrem Le­ben. Je dichter die Grenzen sind, umso gefährlicher und kostspieliger sind die Routen der Flüchtlinge. Welch verheerende Auswirkungen dies häufig hat, zeigen die Tragödien im Mittelmeer, wo inzwischen Tausende Menschen in seeuntauglichen Booten gekentert sind und ihr Leben verloren haben.

Wir sind als Nationale Gesellschaft der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung ange­treten, menschliches Leiden überall und jederzeit zu verhüten und zu lindern, der Würde des Men­schen Achtung zu verschaffen und dies ohne Unterschied von Nationalität, der ethnischen Zugehörig­keit, des Geschlechts, der Religion und der politischen Überzeugung1. Was heißt das für eine menschli­che Flüchtlingspolitik?

Menschenrechte dürfen weder auf hoher See noch an den Grenzen Europas außer Kraft gesetzt wer­den. Der Schutz des menschlichen Lebens muss immer wichtiger sein als der Grenzschutz. Die Ret­tung von in Seenot Geratenen muss nicht nur straffrei sein, die Verpflichtung dazu muss durchgesetzt werden. Auf hoher See und an der Grenze muss in besonderem Maße die Einhaltung des Non-Refoule­ment-Prinzips der Genfer Flüchtlingskonvention beachtet werden, welches es einem Staat ver­bietet, einen Flüchtling in ein Land zurückzuschicken, in dem sein Leben gefährdet sein könnte.

Das DRK befürwortet die Einführung legaler und sicherer Zugangsmöglichkeiten für Asylsuchende nach Deutschland und Europa und eine Neuerung des Systems, indem die individuellen Bedürfnisse der Schutzsuchenden angemessen berücksichtigt werden.

Was die Flüchtlingssituation generell anbetrifft, so unterstreichen wir als DRK nachdrücklich die Aus­sagen des Bundespräsidenten, als er sagte, natürlich können wir die schrecklichen Probleme nicht da­durch lösen, dass die europäischen Staaten einfach ihre Grenzen öffnen. Wohl aber müssen wir als eu­ropäische reiche Länder die finanziellen Hilfen vor Ort verstärken und gleichzeitig in einem europäi­schen Solidarpakt die Aufnahmebereitschaft für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge erhöhen. Da­bei ist eine gerechtere innereuropäische Verteilung nötig, die auch die persönliche Situation des einzel­nen Flüchtlings und seine Bedürfnisse besser berücksichtigt.

Mit dem Anspruch, Not leidenden Menschen ein menschenwürdiges, gerechtes und freies Leben zu er­möglichen, haben sich die EU Mitgliedstaaten ein gemeinsames europäisches Asylsystem geschaffen. Das Ziel, Anerkennung, Aufnahmebedingungen und Asylverfahren für Flüchtlinge in allen Mitglied­staaten auf einem hohen Niveau einheitlich zu gestalten und mehr Solidarität zwischen den Mitglied­staaten zu erreichen, ist bisher jedoch noch nicht erreicht.

Die Zahl der Flüchtlinge, die in die Europäische Union einreist, stellt nur einen Bruchteil der gesamten Flüchtlinge weltweit dar. Der Hauptteil von ihnen bleibt in den Herkunftsregionen. In erster Linie sind es die Nachbarstaaten von Krisenregionen, oft sehr arme Länder, die dann in kurzer Zeit die Aufnahme von vielen tausend Flüchtlingen organisieren müssen und damit häufig strukturell überfordert sind.

Der Bürgerkrieg in Syrien hat bereits mehr als 2 Millionen Flüchtlinge hervorgebracht, die allermeis­ten von ihnen sind in die Anrainerstaaten geflüchtet. Mehr als eine Million allein in 2013. Angesichts dieser humanitären Flüchtlingskrise sind sämtliche Staaten außerhalb der Krisenregion, soweit sie die über die erforderlichen Kapazitäten verfügen, aufgerufen, vermehrt Flüchtlinge aus Syrien aufzuneh­men. Deutschland hat sich nun bereit erklärt, weitere 5000 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, denn wir können der Not und dem Leid dieser Menschen nicht tatenlos zusehen.

Die Neuansiedlung (Resettlement) von anerkannten Flüchtlingen aus solchen Staaten in Deutschland und anderswo stellt ein wirksames Instrument menschlicher Flüchtlingspolitik dar. Laut Koalitionsver­trag soll das bislang eher bescheidene deutsche Resettlementprogramm in den nächsten Jahren verste­tigt und deutlich ausgebaut werden2: ein Schritt in die richtige Richtung, dem auch die europäischen Staaten folgen sollten, die bislang kein solches Programm vereinbart haben.

Eine menschliche Flüchtlingspolitik wird gewährleisten, dass Flüchtlinge Europa sicher erreichen kön­nen, dass sie aufgenommen, statt abgefangen werden, und dass sie nicht im Zuständigkeitsgerangel zwischen den Staaten zerrieben werden. Zu einer verantwortlichen Politik gehören europaweit einheit­liche Standards auf hohem Niveau, menschenwürdige Lebensbedingungen und gleiche Chancen dar­auf, als Flüchtling anerkannt zu werden.

Es sollte dabei nicht vergessen werden, wie wichtig eine humane Aufnahme von Flüchtlingen für die spätere Integrationsfähigkeit in unsere Gesellschaft ist. Wer menschlich aufgenommen wird und sich willkommen fühlt, ist viel eher bereit, etwas zurückzugeben und danach zu streben, Teil der Gesell­schaft im Aufnahmeland zu werden, als jemand, der in erster Linie als potenzielle Bedrohung der Sicherheit angesehen wird.

Dr. Rudolf Seiters (1937) ist seit 2003 Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Davor war der Jurist über 30 Jahre lang Mitglied des Deutschen Bundestages und u.a. Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben sowie Vizepräsident des Deutschen Bundestages.  Als DRK-Präsi­dent ist der gebürtige Osnabrücker für die strategische Ausrichtung des Deutschen Roten Kreuzes verantwort­lich.

1 vgl. Grundsätze der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaft und DRK-Satzung, § 1

2 s. S. 109 Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD.18. Le­gislaturperiode. S. 109.

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