WIDER DIE BANALISIERUNG DES KREUZES

Klaus Mertes SJ warnt angesichts der  Debatte um Kreuze im Eingangsbereich bayerischer Dienstgebäude davor, das Kreuz als Symbol kultureller Identität oder nur allgemeines religiöses Symbol zu banalisieren.Den folgenden Text können Sie hier lesen.

Klaus Mertes

Wider die Banalisierung des Kreuzes

Die bayerische Landesregierung hat am 26.Mai 2018 beschlossen, Kreuze in den Eingangsbereich der Dienstgebäude des Freistaats aufzuhängen. Der Beschluss erreichte, was er wollte: Eine Debatte, genauer: Die Zuspitzung einer spätestens seit 2015 stark anschwellenden kulturpolitischen Debatte in Deutschland. Da in Bayern Wahlen anstehen, ist das Echo in der bayrischen Bevölkerung von besonderem Interesse, vor allem für den federführenden Ministerpräsidenten: Anhänger der AfD (77 zu 19 %) und der CSU (71 zu 24 %) befürworteten den Beschluss mit klarer Mehrheit, Anhänger der Freien Wähler (56 zu 32 %) und der SPD mit knapper Mehrheit (53 zu 46 %), während Anhänger der FDP (29 zu 67 %) und der Grünen (26 zu 74 %) klar dagegen waren.1Zur Debatte um den Beschluss gehören auch die kirchlichen Reaktionen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz kritisierte den Beschluss; er löse „Spaltung, Unruhe, Gegeneinander“ aus. Wer das Kreuz „nur als kulturelles Symbol“ ansehe, habe es nicht verstanden.2 Mit dieser Äußerung wandte sich Kardinal Marx gegen die entsprechende Einschätzung von Ministerpräsident Söder. Der hatte eben dieses behauptet, um dem möglichen Vorwurf einer Verletzung des staatlichen Neutralitätsgebotes zuvorzukommen: Das Kreuz sei „nicht ein Zeichen einer Religion“, sondern stehe „für die geschichtlich-kulturelle Identität und Prägung Bayerns“. Wenig später ruderte er zurück: „Natürlich ist das Kreuz in erster Linie ein religiöses Symbol.“ Aber es bündele sich doch im Symbol des Kreuzes die Grundidee eines säkularen Staates.3Bemerkenswert ist angesichts dieser klaren Diskussionslage, dass die Debatte innerkirchlich eskalierte, und zwar durch Stimmen, die den Münchner Kardinal mit dem viel weiter gehenden Vorwurf überzogen, er sei gegen das Aufhängen von Kreuzen in staatlichen Gebäuden. Das lässt sich eigentlich bei aufmerksamem Lesen der entsprechenden Passagen nicht ernsthaft unterstellen; Eskalationstaktiken solcher Art kann man eher von krawalligen Shitstormern und monothematischen Trollen. Umso überraschender das Niveau, auf das sich der päpstliche Nuntius in Wien, Stephan Zurbriggen, bei einem Vortrag in der Hochschule Heiligenkreuz begab: „Als Nuntius, als Vertreter des Heiligen Vaters, bin ich schon traurig und beschämt, dass, wenn in einem Nachbarland Kreuze errichtet werden, ausgerechnet Bischöfe und Priester das kritisieren müssen.“ Das sei „eine Schande“, fuhr der Erzbischof fort, um sogleich zu einem weiteren Rundumschlag gegen „religiöse und politische Correctness“ auszuholen, derer sich Bischöfe, unter anderen auch Kardinal Marx, schuldig gemacht hätten, als sie im Oktober 2016 bei einer Pilgerreise ins Heilige Land am Jerusalemer Tempelberg als Geste der Zurückhaltung darauf verzichtet hatten, ein Brustkreuz zu tragen.4 In gemäßigterem Ton meldeten sich Bischof Rudolf Voderholzer und der evangelisch-lutherische Regionalbischof Hans-Martin Weiß zu Wort, beide von Regensburg, um den Beschluss des bayrischen Kabinetts zu unterstützen: Man begrüße es, „wenn das Kreuz im öffentlichen Raum präsent“ sei, zumal historisch und sachlich „in unserer bayrischen Heimat die christliche Religion das Fundament“ sei.

Anders sieht die Debatte aus, wenn man die innerkirchlichen Stimmungslagen verlässt und von außen auf das Thema blickt. Da fällt auf, dass das Kreuz wie selbstverständlich als religiöses Symbol neben andere „religiöse Symbole“ wie die Kippa oder das Kopftuch gestellt wird.5 „Religiöses Symbol“ meint dann: Kennzeichen für die Zugehörigkeit zu einer religiösen Konfession. Die Kippa ist allerdings selbst in diesem Sinne nur sekundär als „religiöses Symbol“ zu verstehen, eigentlich nur unter der Voraussetzung, dass das Judentum sich selbst religiös versteht. Doch selbstverständlich kann auch ein nicht-religiöser Jude die Kippa tragen, um damit seine Zugehörigkeit zum (oder als Nicht-Jude seine Solidarität mit dem) jüdischen Volk zu zeigen, auch wenn er oder sie es zugleich „nur“ als ein Volk neben anderen versteht. Und was das Kopftuch betrifft, so ist unter Muslimen umstritten, ob es als religiöses oder nur als kulturelles Symbol zu verstehen ist – je nachdem wie eng oder weit man den Zusammenhang von kultureller und religiöser Identität fasst. Was Kippa, Kopftuch „religiös“ oder „kulturell“ bedeuten, darf also offen bleiben.

Doch gerade beim Kreuz verhält es sich anders. Christlich wird man nie sagen können, das Kreuz sei „bloß“ ein kulturelles Symbol. Das Kreuz als religiöses Symbol steht für den christlichen Glauben eben nicht auf derselben Ebene wie Kippa und Kopftuch. Vielmehr steht das Kreuz – noch besser: der Gekreuzigte – in seiner Bedeutung für das Selbstverständnis des Christentums auf derselben Ebene wie Tora und Koran in deren jeweiliger Bedeutung für Judentum und Islam: Der Gekreuzigte, die vom Volk Gottes gelebte Tora, der rezitierte Koran – sie sind aus der Perspektive der jeweiligen Religionen das Schlüsselmedium der Begegnung zwischen Gott und Welt. Deswegen ist der Missbrauch, auch der scheinbar „fromme“ Missbrauch des Kreuzes besonders folgenreich für die innere Substanz dessen, was im Namen des Christentums gelebt wird.

Wer sich dem Kreuz nähert, jedenfalls dem Kreuz, das auf Golgota aufgerichtet wurde, der nähert sich nicht allgemeinen Werten im „vorpolitischen Raum“ oder „Grundideen“ für den säkularen Staat, sondern dem Gekreuzigten. Das bedeutet nicht, dass man christliche Prägung solcher Räume und Grundideen nicht auch schätzen dürfte. Doch der Gekreuzigte ist zunächst einmal ein Stein des Anstoßes: „Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkünden Christus als den Gekreuzigten, für Juden ein Ärgernis, für Heiden ein Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Weisheit.“ (1 Kor 1,22f) Man hat ihn mit Sicherheit nicht verstanden, wenn man denkt, dieser Anstoß habe nur „damals“ bestanden, heute aber bestehe er nicht, da man ja inzwischen kulturell christianisiert sei – wobei auch da die Geister zu unterscheiden sind: Der Anstoß, der vom Gekreuzigten ausgeht, ist nicht derselbe Anstoß wie der, zu dem die bayrische Landesregierung durch ihren Beschluss „ausgerechnet bei Bischöfen und Priestern“ Anlass gibt. Die Vereinnahmung des Kreuzes hatte schon immer eine rabiate Außenseite, gegen die sich zu Recht – Gott sei Dank – Stimmen aus den Kirchen erheben. Nicht jeder, der das Kreuz demonstrativ vor sich herträgt, um anderen zu zeigen, „wo es hier bei uns lang geht“, steht schon in der Nachfolge des geschmähten Christus, wenn er deswegen Gegenwind bekommt.

Das Symbol des Kreuzes kann auf zweierlei Weisen banalisiert werden: Als Symbol für die kulturelle Identität „unserer“ (bayerischen, deutschen, polnischen oder russischen) Heimat, oder als „religiöses“ Symbol für Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession. Beide Banalisierungen sind nur das schwächliche Echo anderer Versuche, das empörende „Ärgernis“ (1 Kor 1,22) des Kreuzes abzuschwächen oder gar zu beseitigen. Diese Versuche begleiten das Christentum seit seinen Anfängen. Letztlich geht es immer darum, über die Dekonstruktion der Kreuzestheologie dem Christentum seinen tiefsten Ernst zu nehmen, das heißt, es im besten Fall auf eine Botschaft zu reduzieren, die auch dann wahr wäre, wenn Jesus nicht am Kreuz, sondern nach einem erfüllten Leben als alter Mann im Bett gestorben wäre. Die Banalisierung des Kreuzes lenkt ab von der eigentlich entscheidenden Auseinandersetzung, um die es geht: Zwischen denjenigen, die das Kreuz ernst nehmen und sich deswegen vom Christentum abwenden, und denjenigen, die das Kreuz ernst nehmen und sich deswegen zum auferstandenen Gekreuzigten bekennen. Er ist der heiße Kern des christlichen Glaubens.

Klaus Mertes SJ (1954) ist Kollegsdirektor am Kolleg St. Blasien. Er hat Slawisitik und Klass. Philolo­gie in Bonn studiert und 1977 in den Jesuitenorden eingetreten. Anschließend studierte er Philos­phie und kath. Theolo­gie in München und Frankfurt a. M. und wurde 1986 zum Priester geweiht. Nach dem 2. Staatsexamen für Kath. Religion und Latein war er Lehrer an der St. Ansgar-Schule in Hamburg und am Canisius-Kolleg in Berlin, des­sen er Rektor er 2000-2011 war. Klaus Mertes ist Redakteur der Jesuiten-Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ , war Mitglied im Zentral­komitee der dt. Katholiken und ist im Kura­torium Stiftung 20. Juli 1944

1 Infratest dimap im Auftrag des Bayrischen Rundfunks, 2.5.2018
2 Vgl. SZ, 29.4.2018
3 Vgl. FAZ, 2.5.2018
4 Heiligenkreuz, 2.5.2018, zitiert nach katholisch.de
5 Vgl. pars pro toto PHOENIX-Runde am 3.5.2018

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