ISLAMISMUS IM INTERNET

Behnam T. Said beschreibt wie sich Islamisten und  Jihadisten die Möglichkeiten des Internets zunutze machen.

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Behnam T. Said

Islamismus im Internet

Islamismus und neue Medien

Islamismus als soziale Bewegung, immer auch schon mit militanten Tendenzen, trat insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren in Syrien und Ägypten, aber auch in Jordanien und im Irak, auf. Nachdem viele Islamisten in ihren Ländern verfolgt wurden, gingen sie ins Exil, insbesondere an den Arabischen Golf, wo sie nicht nur Arbeit fanden sondern auch auf ein konservatives Milieu stießen, das vom saudi­schen Wahhabismus geprägt, in welchem sie schnell Akzeptanz fanden. Schon früh entdeckten Islamis­ten die Wirkungsmacht von Kultur in Verbindung mit Medien für sich. Sie dichteten und sangen revolu­tionär-islamische Lieder und verbreiteten diese über Kassetten an ihre Anhänger, so dass traditionelle Salafisten, wie etwa Nasir al-Din al-Albani, besorgt darüber waren, dass die Jugend vom Studium des Korans und der Sunna abgelenkt werden könnten, weil sie ihre Zeit mit dem Hören der Lieder und dem Lernen ihrer Texte verbrachten.

Über Kassetten wurden ab den 1970er und 1980er Jahren aber auch religiöse Predigten verbreitet, so dass die ersten religiösen Superstars, wie etwa Abd al-Hamid Kishk in Ägypten. In Saudi-Arabien zirku­lierten Kassetten mit flammenden Reden der so genannten „Shaikhs des islamischen Wiedererwachens“, die eine Rückbesinnung auf die Religion forderten und ab der Stationierung von US-Truppen in Sau­di-Arabien 1990 eine vernehmbare religiöse Opposition zum Königshaus bildeten.

Aus Afghanistan erreichten die Predigten Abdullah Azzams sowie erste Aufnahmen von den Schlacht­feldern, auf denen auch Usama Bin Ladin zu sehen war, ein weltweites Publikum, vom Golf über die Le­vante bis hin in die USA. Die Aufnahmen waren für viele junge Männer damals, etwa den späteren Gründer al-Qaidas im Irak Abu Mus´ab al-Zarqawi, ausschlaggebend für ihre Radikalisierung, und ihren Entschluss, sich am Jihad in Afghanistan zu beteiligen.

In den 1990er Jahren wurden dann Videos von den Kriegen in Bosnien und in Tschetschenien von jiha­distischen Gruppen verbreitet, um so Anhänger zu gewinnen und zu mobilisieren. Bin Ladin nutzte un­terdessen intensiv das neue Medium des Faxgerätes, um seine Botschaften an verschiedene Zeitungen zu bringen. Später, als er und seine Organisation bekannter wurden, würde er Videokassetten an ausgewähl­te Journalisten und Sender verteilen. An Mullah Omar, den Führer der Taliban damals, schrieb Bin La­din, über die Bedeutung des medialen Krieges, was 90% der Vorbereitungen für die tatsächliche Schlacht ausmachen könne.

Ende der 1990er Jahre entstanden dann die ersten jihadistischen Internetseiten, was sich zu Beginn der 2000er fortsetzen würde. Doch erst nach der Invasion des Iraks durch die USA im März 2003 erlebte das jihadistische Internet einen regelrechten Boom. Massenhaft fluteten nun Videos der Kämpfer aus dem Irak die globalen Bildschirme und riefen zur Unterstützung des Jihads auf.

Wichtige al-Qaida-Foren entstanden mit dem Web 2.0., welches die aktive Beteiligung der Nutzer er­möglichte, die damit nicht ausschließlich zum passiven Konsum gezwungen waren. Doch die adminis­trativen Rechte hatten die Betreiber der Seiten, wodurch eine gewisse Kontrolle möglich war. Dies wür­de sich mit dem Aufkommen von Facebook, Twitter und anderen sozialen Medien ändern. Hier war es nun jedem Sympathisanten möglich, seinen eigenen Medien-Jihad zu betreiben und auch die Hierarchien verflachten durch die sozialen Netzwerke, in denen Gleiche mit Gleichen kommunizierten. Auch dies war eine Bedingung dafür, dass die jungen Wilden in den Reihen der Jihadisten das Projekt des Islami­schen Staates im Irak und Syrien vorantreiben konnten.

Die Nutzung moderner Medien ist also kein Phänomen der Moderne, sondern Islamisten und insbeson­dere Jihadisten haben schon immer eine große Affinität zu ihrer Nutzung aufgewiesen.

Die Nutzung des Internets heute und die Gegenmaßnahmen der Provider

Wenn über „das Internet“ gesprochen wird, so sollte klar sein, dass damit prinzipiell zwei Dimensionen gemeint sind: Die Verbreitung von Propaganda und der Konsum von dieser einerseits und die Kommu­nikation mit anderen Personen andererseits.

Was die Nutzung des Internets zu Zwecken der Propaganda angeht, so hat der „Islamische Staat“ (IS) in seinen Hochjahren 2013-2014 hier sicher neue Maßstäbe gesetzt. Keine andere jihadistische Gruppe hat­te je zuvor eine derart orchestrierte und umfassende Medienkampagne durchgeführt, wie der IS dies tat. Die hochwertigen Videos, Bilder und Zeitschriften wurden zwar zentral produziert, jedoch über diverse Kanäle des Internets dezentral verbreitet. Hierzu wurden sämtliche zur Verfügung stehenden soziale Netzwerke genutzt, zum einen von IS-Medieneinheiten selbst, aber auch von „freischaffenden“ Unter­stützern, die somit Teil eines IS-Schwarms im Internet wurden, welche Twitter, Facebook, AskFM, Youtube und viele andere Plattformen des Webs kaperten. Die thematische Breite der Veröffentlichun­gen des IS war dabei besonders beachtlich: Neben den Schilderungen des Kriegsgeschehens zeigte der IS blühende Landschaften aus seinen Gebieten, Alltagsszenen, die Normalität des Lebens dokumentie­ren sollten, brutale Hinrichtungen und Bestrafungen, die auf Bürger, Gegner und Spione abschreckend wirken sollten sowie Sitzungen mit Stammesältesten, was zur Akzeptanz des IS in den jeweiligen Gebie­ten beitragen sollte.

Vor der Ausrufung des so genannten Kalifats am 29. Juni 2014 konnte der IS seine Propaganda recht un­gestört und frei über die Web-Kanäle verbreiten. Dies änderte sich jedoch schon recht bald, nachdem die USA im September 2014 eine internationale anti-IS-Koalition ins Leben rief, die einerseits militärisch ausgerichtet war, andererseits aber auch versuchte, die Medienstrategie des IS zu stoppen. Anbieter der sozialen Medien wurden in die Pflicht genommen und schon ab 2015 ebbte die Flut der Veröffentlichun­gen und der dem IS zuzuordnenden Kanäle dramatisch ab.1 Bereits im Februar 2016 hatte Twitter bei­spielsweise mehr als 125.000 Accounts gesperrt.2 Im November 2017 war dann erstmals ein 24 stündi­ger Stopp jeglicher medialer Aktivitäten des IS zu verzeichnen.3

Erstmals in der Geschichte des Internets hatten verschiedene Anbieter gezielt Inhalte und Accounts, die einer bestimmten Gruppe zuzuordnen waren, gezielt und umfassend gesperrt und ihre Macht gegenüber den Nutzern bewiesen.

Radikalisierung über das Internet?

Immer wieder liest man, dass Personen sich über das Internet radikalisiert hätten. Was ist damit gemeint und wie oft kommt dieses Phänomen vor?

Wie bereits oben beschrieben, trugen Videos von Kampfschauplätzen, Ansprachen von Agitatoren und Magazine der Jihadisten schon ab den 1980er Jahren zur Radikalisierung von Personen bei. Das Internet heute ist insofern lediglich ein Träger für Propagandaprodukte, weshalb die Frage eigentlich korrekter­weise lauten müsste, inwiefern diese Art von Veröffentlichungen zur Radikalisierung beitragen. Mittels der Propaganda versuchen Jihadisten andere von ihren Ideen zu überzeugen. Dazu nutzen sie die Distri­butionsmöglichkeiten, die das Internet ihnen bietet.

In der Tat bietet das Internet in seiner einzigartigen Kombination aus passivem Konsum und aktiver Teilnahme, etwa durch Chats, ein Umfeld für junge Menschen, das ihnen das vollständige Abtauchen in eine so genannte „Filterblase“ ermöglicht. Diese entstehen, weil dem User aufgrund von Algorithmen vorhergesagt oder nahegelegt wird, für welche Angebote und Themen er sich aufgrund vorherigen Ver­haltens noch interessieren könnte. So kommt es etwa, dass jemand, der auf ein jihadistisches Lied bei Youtube stößt, ähnliche Lieder und bald auch schon andere Videos als Vorschlag erhält. Er kann sich dann stundenlang durch diese Welt bewegen und es wird immer wieder etwas Neues zu sehen und zu hören sein. Diese algorithmische Funktion des Internets war es, die wirklich revolutionär und neu war.

Wer auf der Suche nach extremistischer Propaganda war, brauchte mit dem Aufkommen dieses Services der Online-Anbieter nun nicht mehr wie in früheren Zeiten konspirative Szenebücherläden, Lesezirkel oder Veranstaltungen aufzusuchen, sondern konnte sich im Wohn- oder Jugendzimmer selbst und am ei­genen Bedürfnis orientiert seine Produkte zusammenstellen. Es handelt sich also hierbei um eine aktive Vorgehensweise, was der These von der „Gehirnwäsche“ oder der „Rekrutierung“ widerspricht, denn Radikalisierte sind zumeist von sich aus auf der Suche, etwa nach ideologischen Schriften, aber auch nach konkreten Anleitungen, etwa für die Ausreise in ein Kampfgebiet oder zum Bau einer Bombe.

Das Internet hat lediglich das Auffinden erleichtert. Aber ebenso die Kommunikation mit Gleichgesinn­ten. Über Foren, Hashtags und Gruppen war es bislang recht einfach, mit ähnlich Denkenden in Kontakt zu kommen und über Szeneaktivitäten zu erfahren, etwa wann und wo ein Seminar stattfindet. In den 1990er Jahren benutzte die Rechtsextreme Szene hierfür noch das so genannte „Infotelefon“, Anrufbe­antworter über die entsprechende Ansagen transportiert wurden. Auch erleichtert das Internet den Grad der Geheimhaltung in der Kommunikation zu bestimmen, je nachdem, ob Informationen allgemein zu­gänglich oder nur einem geschlossenen Kreis vorbehalten sein sollen.

Es gibt aber nur erstaunlich wenige Fälle, in denen sich Personen ausschließlich über das Internet radika­lisieren. Auch wenn in Medien häufig hierüber berichtet wird, so stellt sich meistens später heraus, dass nicht ausschließlich virtuelle Kontakte sondern auch tatsächliche Kontakte in der offline-Welt vorhan­den waren und dass Personen in physisch existierende Netzwerke eingebunden waren, denn soziale Dy­namik scheint weiterhin ein wichtiges Element für die Radikalisierung zu bleiben.

Dr. Behnam T. Said (1982) studierte Islamwissenschaft, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie Poli­tikwissenschaft und promovierte 2014 mit einer Arbeit zum Thema „Hymnen des Jihads. Naschids im Kontext jihadistischer Mobilisierung“. Er ist Mitherausgeber des Sammelbands „Salafismus – Auf der Suche nach dem wahren Islam“ (Herder, 2014) sowie Autor von „IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden“ (C.H. Beck, 2014). Von 2008 bis 2018 hat er als wissenschaftlicher Referent beim Landesamt für Verfassungsschutz in Hamburg gearbeitet. Seit Februar 2018 leitet er für die Hamburger Justizbehörde die Referatsgruppe „Resozialisierung“, in die auch der Zuständigkeitsbereich für Extremismusprävention in Haftanstalten fällt.

 

  1. http://icsr.info/2017/03/icsr-insight-isis-propaganda-decline/</
  2. http://www.independent.co.uk/life-style/gadgets-and-tech/news/125000-isis-linked-accounts-suspended-by-twit­ter-a6857371.html</
  3. https://www.timesofisrael.com/in-unprecedented-hiatus-islamic-state-media-offline-for-a-day/“>https://www.timesofisrael.com/in-unprecedented-hiatus-islamic-state-media-offline-for-a-day/

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