Cvetelina Todorova sieht im transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP nicht nur eine Chance für Wohlstand und Beschäftigung, sondern auch die Möglichkeit, die politische und wirtschaftliche Gestaltungsfähigkeit Europas zu stärken und den Machtansprüchen neuer Wirtschaftskräfte adäquat zu begegnen.
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Cvetelina Todorova
TTIP: Aus Verantwortung und Überzeugung
Peter Thiel, der Mitbegründer vom Online-Bezahlsystem Paypal, eröffnet seinen kürzlich erschienen Bestseller „Zero to One“ mit einer spannenden Prognose: Der nächste Bill Gates (Microsoft) wird wahrscheinlich kein Operationssystem erfinden sowie der nächste Mark Zuckerberg (facebook) kein soziales Netzwerk, auch die nächsten Larry Page und Sergey Brin (Google) werden keine Suchmaschine entwickeln. Die neuen Businessiden, die die Welt verändern, werden anders sein, in diesem Augenblick noch unbekannt.
Im produktiven Wettlauf um Fortschritt, Wohlstand und mehr Lebensqualität kämpfen weltweit die besten Ideen und Wirtschaftssysteme um neue Lösungen für eine bessere Zukunft. Über das wo und wann der nächsten großen Erfindung lässt sich nicht entscheiden. Wir können jedoch Standards für den globalen Wettbewerb definieren, Anreize schaffen und mit unserer Wirtschaftsordnung anderen als Vorbild dienen. Die Gestaltung des Handelssystems der Zukunft gehört zweifelsohne dazu.
Zukunftsfähige Handelsregeln, hohe Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherstandards, eine wertegeleitete wirtschaftliche Zusammenarbeit – um nichts weniger geht es bei den so umstrittenen Verhandlungen über TTIP, deren Ziel eine vertiefte Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA ist.
Selten gab es so viel Unmut gegen Handelserleichterungen in einem Land, das maßgeblich vom Handel profitiert, wie heutzutage in Deutschland gegen TTIP. Die Fakten: Zahlreiche empirische Studien zeigen, dass mehr Handel mit neuen Impulsen für Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand einhergeht. Unsere Erfahrung als Exportnation bestätigt diese Ergebnisse. Gute Handelsbeziehungen helfen Arbeitsplätze zu sichern und neue Geschäftsinitiativen zu fördern. Wenn die Regeln offen gegenüber Drittstaaten ausgestaltet sind, entstehen positive Effekte sogar außerhalb des Wirkungsraums des Abkommens. Solche breit angelegten Vereinbarungen könnten auch den Verhandlungen im Rahmen der WTO (Welthandelsorganisation) frischen Wind verleihen.
Ziel der Verhandlungen ist zudem gegenseitige Anerkennung vergleichbarer Zulassungsvorschriften, die gleich hohes Sicherheitsniveau der Produkte gewährleisten. Während die Abschaffung von Zöllen hauptsächlich größeren Unternehmen zugute kommt, profitieren von wenigen nicht tarifären Einschränkungen wie beispielsweise doppelter Sicherheitsstandards vor allem kleine und mittlere Unternehmen.
Mehr transatlantischer Handel wird nicht nur wirtschaftliche Vorteile bringen. Ein erfolgreicher Abschluss dieser Verhandlungen wird viel mehr eine strategische Rolle spielen, die für Europa und unsere Rolle in der Welt besonders wichtig ist.
Die TTIP Verhandlungen stellen eine Plattform zur Definition gemeinsamer ordnungspolitischer Prinzipien dar – Prinzipien für einen regelbasierten und fairen Wettbewerb im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft, welche durch ein derart großes Abkommen weltweit an Bedeutung gewinnen würden. Die westlich geprägten Wirtschaftsordnung und Kultur haben dadurch die Chance, verbindliche ethische und wirtschaftliche Maßstäbe zu setzen und die ordnungspolitische Entwicklung auch in anderen Regionen positiv zu beeinflussen.
Das Festlegen transatlantischer Handelsstandards würde nicht nur Kosten minimieren. Der Haupteffekt ist viel stärker: Ein derartiges Abkommen würde als Blaupause für die Ausrichtung eines modernen Welthandelssystems dienen.
Deshalb wäre es falsch, TTIP als die Liberalisierung bloßer Handelsströme zu begreifen. Eine starke transatlantische Handelspartnerschaft zwischen der EU den USA wäre ein wichtiges geostrategisches Zeichen, insbesondere heute, vor dem Hintergrund einer einmal wieder in Unordnung geratenen Welt.
Wagen wir den Blick über den deutschen Tellerrand hinaus, so stellen wir fest: Die europäische Bevölkerung schrumpft, die Wachstumsraten der Wirtschaft bewegen sich zwischen null und niedrig, unser Gewicht und damit unser Handlungsspielraum in der Welt nehmen eher ab als zu. Es ist deshalb im Sinne unserer deutschen und europäischen Interessen, die politische und wirtschaftliche Gestaltungsfähigkeit Europas zu stärken und den Machtansprüchen neuer Wirtschaftskräfte adäquat zu begegnen. Allein wird weder Deutschland noch Europa eine vergleichbare Rolle auf der Weltbühne spielen wie bisher. Als freiheitliche Demokratie sind die USA auch in Zukunft ein zuverlässiger Freund und Partner mit dem wir gemeinsame Ziele und ein stabiles Wertegerüst teilen.
Dennoch macht das Abkommen vielen Angst. Die öffentliche Debatte ist fast ausschließlich von Skepsis und Sorgen geprägt. Von Ängsten made in Germany ist inzwischen die Rede. Dass die Kritik besonders engagiert gegen Freihandelsabkommen mit angelsächsischen Ländern (USA und Canada) geführt wird, wirft viele Fragen auf und verwundert. Parallel stattfindende Gespräche gleicher Stoßrichtung beispielsweise mit Japan oder Lateinamerika finden in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. Immer häufiger fällt stattdessen auf, dass sich professionelle Kampagnenorganisationen, allen voran Campact, mit antiamerikanischer Stimmungsmache profilieren und mit den Ängsten einer Bevölkerung spielen, die in ihrer Masse an einer echten Diskussion kaum teilnimmt. Aber auch hier gilt: Wer am lautesten schreit, hat nicht automatisch Recht.
Von einer hoch emotionalisierten TTIP Debatte wie unserer kann in anderen Ländern kaum die Rede sein. In den USA steht derzeit vielmehr die transpazifische wirtschaftliche Partnerschaft (TPP) im Vordergrund, die erst kürzlich beschlossen wurde. Aktuell strebt auch China eine asiatisch-pazifische Freihandelszone an. Die Bundeskanzlerin hat es Ende 2014 bei ihrem Besuch in Sydney auf den Punkt gebracht: „Die Welt wartet nicht auf uns“.
Europa darf nicht warten, sondern aus Überzeugung im Sinne der Prinzipien unserer Sozialen Marktwirtschaft (ver)handeln. Es ist unsere Pflicht, heute Verantwortung zu übernehmen, nach welchen Regeln das nächste Wirtschaftswunder stattfindet.
Cvetelina Todorova (1984) ist seit 2012 Koordinatorin für Grundsatzfragen Ordnungspolitik und Soziale Marktwirtschaft in der Abteilung Politik und Beratung in der Konrad-Adenauer-Stiftung. Davor war sie in verschiedenen Positionen für die Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg sowie für die Bundeszentrale für Politische Bildung in Berlin und München tätig.