Alois Glück plädiert für eine Stärkung der Hospizbewegung und der Begleitung des Kranken und seiner Angehörigen durch menschlicher Zuwendung sowie der Palliativmedizin.
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Alois Glück
Sterbehilfe, Sterbebegleitung und Palliativversorgung
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat bereits kurz nach seinem Amtsantritt angekündigt, sich für ein gesetzliches Verbot der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung einzusetzen. Damit hat er dankenswerterweise eine Debatte eröffnet, die inzwischen weit über das Verbot sogenannter Sterbehilfevereine hinausgeht. Die Debatte umfasst inzwischen auch, häufig ohne das eine vom anderen zu unterscheiden, die Legalisierung aktiver Sterbehilfe und des ärztlich assistierten Suizids. Im Deutschen Bundestag gibt es ein Einvernehmen, dass die schwierige Frage der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung im Laufe der Wahlperiode aus der Mitte des Parlaments mit fraktionsübergreifenden Gruppenanträgen geklärt werden soll.
In der notwendigen Auseinandersetzung um eine gesetzliche Regelung geht es um mehr als um das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Gesetzliche Regelungen prägen die gesellschaftlichen Maßstäbe, das gesellschaftliche Klima für und die Erwartungen an den Einzelnen. Wenn die Freiheit zur Selbsttötung zum höchsten Ausdruck der Selbstbestimmung hochstilisiert wird, die Hilfe dazu gesellschaftlich so selbstverständlich ist wie die Pflege, verändert dies unaufhaltsam die Situation schwerstkranker Menschen, aber auch die Situation vieler pflege- und hilfsbedürftiger Menschen, zumal, wenn die Krankheit und Pflegebedürftigkeit ein langer und oft auch aufwändiger Prozess ist.
Ich will diese Wirkung gesetzlicher Regelungen auf die Situation der Betroffenen mit Erfahrungen zu Beginn des Lebens verdeutlichen. In vielen Fällen haben sich die umfassenden Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft als sehr sinnvoll und mitunter lebensrettend erwiesen. Doch es ist auch eine Folge der immer weiter entwickelten Pränataldiagnostik, dass Eltern, die sich trotz einer entsprechenden Diagnose für die Geburt eines Kindes mit Behinderung entscheiden, regelmäßig mit der vorwurfsvollen Frage konfrontiert werden, ob dies denn hätte sein müssen. Das hätte man doch verhindern können und damit der Gesellschaft, den Eltern und dem Kind vieles ersparen können. Wer nicht nach diesen Maßstäben handeln will, wird in eine Rechtfertigungsposition gedrängt. Hier sind gesellschaftliche Folgen eingetreten, vor denen man nur warnen kann!
Und warum sollte dies bei den Pflegebedürftigen, bei den Schwerstkranken und bei chronisch kranken Menschen anders sein, zumal in einer alternden Gesellschaft, in der die Verteilungskämpfe im Gesundheitswesen zunehmen? Wenn in einem Beitrag in der FAZ („Mein Ende gehört mir“, von Ingrid Matthäus-Maier) in Verbindung mit der Palliativmedizin zu lesen ist: „Angesichts der demographischen Entwicklung wird es auch bei allen zu unterstützenden Anstrengungen keine ausreichenden flächendeckenden Angebote geben können“ – bedeutet dies dann etwa, die Unterstützung bei der Selbsttötung sei als Alternative zur notwendigen Kraftanstrengung beim flächendeckenden Ausbau der Hospizbegleitung und Palliativversorgung zu verstehen? Ist das nicht das Ende einer humanen Gesellschaft?
Wenn an einer Stelle als gesellschaftlich akzeptierte Norm das Leben in „lebenswert“ und „nicht lebenswert“, in zumutbar oder nicht zumutbar für den Einzelnen oder für die Gesellschaft eingeteilt wird, gibt es auf dieser Rutschbahn keinen Halt. Deshalb geht die Frage nach einer gesetzlichen Regelung der Suizidbeihilfe und der Sterbehilfe weit über die Selbstbestimmung des Einzelnen hinaus. Jenseits aller Bevormundung von Menschen geht es um zentrale gesellschaftliche Werte, um das gesellschaftliche Klima, um das Bild vom Menschen und die Einstellung zu Leid und Krankheit in einer Konsum- und Leistungsgesellschaft. Wir dürfen nicht nachlassen, mit Artikel 1 des Grundgesetzes zu betonen: Die Würde des Menschen ist unantastbar!
Nach Umfrageergebnissen befürworten ca. 70 Prozent der Deutschen gesetzliche Regelungen zur aktiven Sterbehilfe wie in den Niederlanden und Belgien, also Regelungen, die weit über das hinausgehen, worum derzeit bei uns politisch gerungen wird. Diese Haltung vieler Bürgerinnen und Bürger man ernst nehmen und verstehen, warum sie sich so äußern. Es geht dabei um Ängste, nicht so sehr vor dem Tod, der für uns alle unausweichlich ist, sondern um Angst vor großen Schmerzen, vor Einsamkeit, Hilflosigkeit, vor den automatisierten Abläufen der Hochleistungsmedizin. Es geht um die Angst, dass der Patientenwille nicht ernst genommen wird, die Angst anderen zur Last zu fallen.
Aus dem christlichen Glauben heraus argumentieren wir zwar anders und benennen die Unverfügbarkeit des von Gott geschenkten Lebens als Maßstab. Aber welche Überzeugungskraft hat das in einer Gesellschaft, in der eine Mehrheit der Menschen keine ernsthafte persönliche Beziehung mehr zum christlichen Glauben oder jedenfalls nicht eine enge Bindung an die christlichen Kirchen hat? Ich schließe daraus, dass wir unsere Überzeugung so vermitteln müssen, dass deutlich wird: Es geht hier nicht um eine christliche Sondermoral. Diese Werthaltung ist generell für den Menschen, für seine Würde und seine Zukunft wichtig, unabhängig davon, ob der Einzelne eine entsprechende Bindung an Glauben oder Kirchen hat. Der Hinweis, es sei Tradition, es sei christlich, ist in der heutigen Zeit für die Mehrheitsbildung nicht mehr ausreichend.
Zugleich dürfen wir uns auch nicht von anderen in eine solche Minderheitenposition drängen lassen. Die Argumentation aus den Reihen der Sterbehilfebefürworter, zum Beispiel von den sich humanistisch nennenden Organisationen, zielt ja genau darauf. Uns wird als Christen abgesprochen und bestritten, dass wir Argumente vorbringen könnten, die auch für Nicht-Christen einsichtig sind. Das ist eine unredliche Verkürzung, denn es geht uns nicht um eine christliche Deutungshoheit, sondern um die umfassende Wahrung der Menschenwürde und das Wohl der Menschen während der ganzen Lebensspanne. Dafür einzutreten ist unser christlicher Auftrag.
Wir müssen eine überzeugende Antwort auf das Hauptmotiv der ca. 70 Prozent Befürworter einer Regelung wie in den Niederlanden geben. Das heißt eine überzeugende Antwort auf ihre Ängste! Die Angst kann man nicht einfach wegargumentieren. Die notwendige Antwort, die notwendige Hilfe ist der Weg der Hospizbewegung, ist die Begleitung des Kranken und seiner Angehörigen mit menschlicher Zuwendung und den heutigen Möglichkeiten der Palliativmedizin. Mit ihnen kann in vielen Fällen der Angst und der Situation, dass medizinische Heilung nicht mehr möglich ist, begegnet werden. Die bestmögliche Lebensqualität in dieser Situation und auf dieser Wegstrecke – das ist Aufgabe und Ziel von „Palliative Care“. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat mit der Erklärung „Leben bis zuletzt. Sterben in Würde“ die Aufgabe in der Kirche und in Gesellschaft und Politik beschrieben. Natürlich ist dies in besonderer Weise auch eine Selbstverpflichtung im Hinblick auf die internen Handlungsmöglichkeiten unserer Kirche.
Es wird für unsere Glaubwürdigkeit in der auf uns zukommenden Debatte über die organisierte Suizidbeihilfe, dem ärztlich assistierten Suizid bis hin zur Frage der Legalisierung von Sterbehilfe entscheidend sein, dass wir konstruktive Vorschläge einbringen, dass wir aus der Ecke einer reinen Verbotsdebatte herauskommen, und damit zugleich auch aus der Defensive herauskommen. Das gilt nicht nur für uns als ZdK, das gilt für die ganze Kirche und für alle politischen Kräfte, die diese Position teilen.
Alois Glück (1940) ist Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Von 1970 – 2008 war er Mitglied des Bayerischen Landtags und dort 1988-2003 Vorsitzender der CSU-Fraktion und 2003 – 2008 Präsident des Landtages. Er ist Mitherausgeber von kreuz-und-quer.de