POST-2015-AGENDA: FÜR EINE NEUE ÄRA

Michéle Roth plädiert in der Debatte um die Fortführung der Milleniumsziele für eine neue Ära der internationalen Zusammenarbeit.

Den folgenden Text können Sie hier ausdrucken.

Michéle Roth

Mit der Post-2015-Agenda in eine neue Ära der internatio­nalen Zusammenarbeit

Die Entwicklungszusammenarbeit steht immer wieder im Zentrum intensiver und kritischer Diskussionen. Hauptschauplatz der Debatte bilden derzeit die Verhandlungen um eine Post-2015-Entwicklungsagenda, die den Millennium-Entwicklungszielen (MDGs) nachfolgen soll. Mit den MDGs hatten sich die Staats- und Regierungschefs der Vereinten Nationen nicht nur auf quantifizierbare Ziele verständigt, sondern diese auch mit einer Zeitvorgabe verknüpft. Das erste und wichtigste Ziel lautet, den Anteil der absolut Armen an der Weltbevölkerung bis 2015 zu halbieren. In der Debatte um eine Nachfolgeagenda für die Zeit ab 2015 geht es nicht nur um Inhalte, Reichweite und Finanzierung künftiger (globaler) Entwicklungsziele, sondern auch um sich verändernde Machtverhältnisse, neue Akteurskonstellationen und dringend reformbedürftige Wege der Politikformulierung auf internationaler Ebene.

Als Folge des Aufbrechens der alten Nord-Süd-Dichotomie durch den Aufstieg einer erheblichen Zahl von Schwellenländern organisieren sich die Akteure auf der internationale Bühne neu. Sie bilden neue Allianzen und Netzwerke, greifen zugleich aber weiterhin auf herkömmliche Strukturen und Verhaltensweisen zurück, wenn dies am erfolgversprechendsten erscheint. Das gilt nicht nur für den exklusiven früheren Machtclub der G7/8, der mehr oder weniger durch die repräsentativere G20 ersetzt wurde. Desgleichen ist auch die G77 im Wandel begriffen. Ihre führenden Mitglieder haben sich neuen Clubs wie den G20 oder den BRICS angeschlossen. Auch die Gruppe der Middle Income Countries (MICs) sucht nach neuen Wegen gemeinsamer Interessendurchsetzung, wie zuletzt im Juni 2013 auf der ersten MICs High-level Conference in Costa Rica. Und selbst die verwundbarsten Staaten der Welt haben begonnen, sich zu organisieren; mit der Gründung der G7+ wollen sich die fragilen Staaten mehr Gehör verschaffen.

Aber nicht nur sich verändernde Machtverhältnisse erschweren gegenwärtig die internationale Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch enorme globale Herausforderungen wie der Klimawandel, die (In-)stabilität der Finanzmärkte, die latente Nahrungsmittelkrise und nicht zuletzt die wachsende Ungleichheit innerhalb von Staaten. Die meistens sogenannten Schwellenländer bleiben auf absehbare Zeit zugleich Entwicklungsland. Und in vielen vermeintlich reichen Industrieländern steigt der Anteil der (relativ gesehen) Armen kontinuierlich an. Klassische Modelle der Entwicklungszusammenarbeit und -finanzierung mit eindeutig definierbaren Gebern und Nehmern werden damit ebenso obsolet wie der jahrzehntealte Streit um ODA-Quoten.

Vor diesem Hintergrund scheint es nicht verwunderlich, dass seit Beginn des 21. Jahrhunderts herkömmliche Wege der Konsensfindung und Politikformulierung auf internationaler Ebene zunehmend scheitern. Die internationale Kooperation muss sich substanziell verändern – und zwar sowohl in ihrer Form, in ihrem Sprachgebrauch als auch in ihren Inhalten. Die Frage ist, ob die angelaufenen Verhandlungen für eine Post-2015-Entwicklungsagenda einen solchen Wandel von der klassischen Entwicklungszusammenarbeit hin zu einer gleichberechtigteren internationalen Zusammenarbeit für Entwicklung beschleunigen können. Die Debatte könnte zumindest wichtige Impulse bieten. Folgende Aspekte sind dabei von zentraler Bedeutung:

  1.  Die Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) wurden weithin als gebergetrieben wahrgenommen. Im Gegensatz dazu führen die Debatten für die Zeit nach 2015 derzeit weltweit die unterschiedlichsten Interessengruppen in einem offenen und fruchtbaren Dialog zusammen. Dieses Momentum gilt es zu wahren. Selbst unter der Einschränkung, dass das endgültige Übereinkommen aus praktischen Gründen selektiv formuliert und von einer kleinen Gruppe von Personen ausgehandelt werden wird, scheint es schwer vorstellbar, dass die vielen Stimmen der vorausgegangenen Diskussionen dabei ignoriert werden können.
  2. Es wäre ein großer Schritt nach vorn, wenn sich die Mitglieder der Vereinten Nationen auf nachhaltige Entwicklungsziele mit universaler Geltung einigen könnten. Auch wenn deren Befürworter derzeit in der Mehrheit zu sein scheinen, bleibt die Durchsetzung einer globalen Agenda (mit direkten Auswirkungen auch auf den Norden) eine große – vor allem mentale Herausforderung –, die eine vollständige Abkehr von traditionellen Denkmustern der bisherigen Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe verlangt. Selbst wenn in einer solchen Agenda, um überhaupt konsensfähig zu sein, manche Standards zunächst (zu) niedrig angesetzt werden, scheint dies der einzige Weg, dem weit verbreiteten Paternalismus in den internationalen Beziehungen entgegenzuwirken sowie Vertrauen und Glaubwürdigkeit für weitere gemeinsame globale Projekte aufzubauen.
  3. Eine solch universale Agenda würde einen globalen Referenzrahmen für nachhaltige Entwicklung definieren; sie müsste aber notwendigerweise ein hohes Maß an Flexibilität bei der Formulierung nationaler Ziele gewähren. Um dabei nicht eine weitere Absenkung von Standards zu riskieren, müssten gleichzeitig auf den verschiedenen politischen Ebenen starke Mechanismen zur Rechenschaftspflicht etabliert werden. Darüber hinaus sollte auch die Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von neuen (und alten) Partnern, Initiativen und Netzwerken unter dem Dach eines globalen Rahmenwerks Berücksichtigung finden – insbesondere im Hinblick auf die praktische Implementierung.
  4. Schließlich wird das System der Vereinten Nationen seine Rolle in der internationalen Zusammenarbeit für Entwicklung teilweise neu definieren müssen. So sollte es seine Funktion als offenes Diskussionsforum für globale Herausforderungen und Strategien zu ihrer Überwindung nach dem Grundsatz der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung stärken. Zugleich sollten die UN aber auch die notwendigen systemischen Veränderungen voranbringen, die zu einer Neubelebung von Global Governance führen. Neben der Reform der Finanzinstitutionen zählt dazu unter anderem auch die Umsetzung der Rechenschaftspflicht im Rahmen einer Post-2015-Agenda. Hier könnte das am 24. September 2013 etablierte High-level Political Forum on Sustainable Development der UN eine zentrale Rolle spielen.

Dr. Michèle Roth ist seit 1998 Mitarbeiterin der Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF), Bonn, seit 2005 ist sie die Geschäftsführerin der SEF und in dieser Eigenschaft u.a. Mitherausgeberin des Standardwerks „Globale Trends. Frieden – Entwicklung – Umwelt“. Seit 2004 ist sie zudem Mitglied im Vorstand des Global Policy Forum Europe.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert