Stephan Eisel kommentiert die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Bundesvorsitzenden der CDU.
Den folgenden Text können Sie hier ausdrucken.
Stephan Eisel
„Für eine CDU, die nicht beliebig ist“
Zur Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Vorsitzenden der CDU
Politische Kampfkandidaturen, zumal solche mit Herzschlagfinale, hinterlassen immer emotionale Wunden – meist mehr bei den Anhängern der Bewerber als bei den Kandidaten selbst. Wer sich um politische Ämter bewirbt, ohne sich auf die Möglichkeit der Niederlage vorzubereiten, sollte nicht antreten. Aber je knapper die Entscheidung ist, desto mehr jubeln die Gewinner und umso enttäuschter sind die Verlierer. Um vor diesem Hintergrund das Gemeinsame wieder in den Vordergrund zu stellen, bedarf es der Demut der Gewinner und der Grossmut der Verlierer. Für diejenigen, die den Wettbewerb als Wähler, also Zuschauer verfolgen, entscheidet über Erfolg oder Misserfolg oft weniger der eigentliche Ausgang des Rennens, sondern eher der Umgang mit Sieg und Niederlage.
Bei der außerordentlich knappen Entscheidung über den Bundesvorsitz der CDU ist deshalb der Umgang mit dem Votum noch spannender und herausfordernder als ihr Zustandekommen. Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn haben sich nur in Nuancen inhaltlich unterschieden, aber deutlicher im Stil. Ihre Anhänger und die Medien haben wie kommunizierende Röhren in die Entscheidung viel mehr an politischer Richtungsentscheidung hineininterpretiert als die Kandidaten selbst Anlass dazu gaben.
Es ist auch mehr mediale Wahrnahme als reale Lage, dass Merz für die Vergangenheit, Kramp-Karrenbauer für die Gegenwart und Spahn für die Zukunft stehe. Merz hat ebenso häufig die Probleme in der Gegenwart und ihre Lösungen in der Zukunft beschrieben, wie sich Kramp-Karrenbauer auf die Wurzeln der CDU berufen hat. Und Spahn ist keineswegs die einzige personelle Zukunftsoption für die CDU im Jahr 2040.
Daß der Wettbewerb um den Parteivorsitz die Mitglieder der CDU so elektrisiert hat, hat seine tiefere Ursache darin, um wessen Nachfolge es ging: Angela Merkel war immer mehr Kanzlerin als Parteivorsitzende. Darin unterschied sie sich darin grundlegend von Konrad Adenauer oder Helmut Kohl und ähnelte mehr Ludwig Erhard oder Kurt-Georg Kiesinger. Adenauer hat mit anderen aus der Gründergeneration die CDU inhaltlich definiert, Kohl ist in ihr aufgewachsen und sah sie als seine Heimat, Merkel hat sich für die Partei als Wohnort entschieden. Das ergab sich bei allen drei zwangsläufig aus ihrer Biographie. Helmut Kohl erkämpfte sich die Ämter in der Partei und daraus folgend die Mandate im Staat, Angela Merkel stieg 1990 als Ministerin ein. Der eine wußte wie der Kleister für das Kleben von Plakaten angerührt werden musste, auf denen andere Kandidaten abgebildet waren, die andere stand von Anfang an selbst auf dem Stimmzettel.
Angela Merkel war als Kanzlerin während der Finanzkrise und als Parteivorsitzende während des Bekanntwerdens der Spendenaffäre immer zuerst Krisenmanagerin und weniger Gestalterin. Wie bei Helmut Schmidt ist ihre Biographie von exekutiver Verantwortung geprägt und weniger von parlamentarischer Initiative, während Kohl wie Brandt die eigene Partei als Reformer mit Aufbruch und Vision mitrissen.
Solange Angela Merkel mit ihrem Profil für Wahlerfolge stand, war die Partei damit zufrieden. Als die Erfolge aber Ausblieben, wuchs die Ungeduld. Der Einschnitt war hier die Bundestagswahl 2017 als die Union mit der Spitzenkandidatin Merkel 8,6 Prozent der Stimmen verlor. Kohls größter Verlust lag 1987 bei 4,5 Prozent und das führte 1989 zum (erfolglosen) parteiinternen Aufstand. Als er 1998 6,3 Prozent verlor, war seine Amtszeit zu Ende. Angesichts dessen hat Merkel aus dem Ergebnis von 2017 die richtige Konsequenz gezogen, bei der nächsten Wahl nicht mehr anzutreten und mit der Abgabe des Parteivorsitzes jetzt den Übergang einzuleiten. Das Verdient Respekt und hat ihr neue Stärke als Kanzlerin gegeben.
Aber Merkel hat damit auch die die in den letzten Jahren gewachsene Sehnsucht vieler Mitglieder und Anhänger der CDU nach einem klareren inhaltlichen Profil der Partei offengelegt: „Gegen uns kann nicht regiert werden“ ist etwas anderes als „Wir wollen regieren, um zu gestalten“. Letztlich war es die Frage „Macht wofür?“, die den Wettbewerb um den CDU-Vorsitz so spannend machte.
Dass Annegret Kramp-Karrenbauer bei 999 abgegebenen Stimmen mit nur 35 Stimmen gewonnen hat – also nur 18 Delegierte den Unterschied machten –, hat auch an vielen kleinen Faktoren gelegen. Ihre Rede beim Parteitag übertraf die Erwartungen, die von Friedrich Merz bleib dahinter zurück. Sie brachte langjährige Regierungserfahrung mit, Merz einige Jahre außerhalb des Spielfeldes. Umso mehr irritierten seine Bemerkungen über eine mangelnde Auseinandersetzung mit der AfD. Merz schadete auch, dass seine Anhänger unentschlossene Delegierte eher bedrängten, während diese sich von Kramp-Karrenbauer eher umworben sahen.
Aber die eigentliche Ursache des Erfolges von Annegret Kramp-Karrenbauer liegt tiefer. Die Delegierten sahen in ihr eher „eine von uns“, sie trauten ihr mehr. Mit ihrem Satz, „dass es bei Führung mehr auf die innere Stärke als auf die äußere Lautstärke ankommt“ traf sie deshalb den Nerv. Zugleich schätzen die CDU-Mitglieder an Friedrich Merz seine Diskussionsfreudigkeit und seinen Zuspitzungsmut. Letztlich kam im knappen Ausgang der Wunsch nach einer Doppelspitze zum Ausdruck.
Friedrich Merz sagte unmittelbar nach der Wahl: „Ich möchte insbesondere diejenigen, die mich gewählt haben und die mich in den letzten Wochen so tatkräftig unterstützt haben, bitten, jetzt ihre ganze Kraft und ihre ganze Unterstützung unserer neuen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer zu geben.“ Wer Merz tatsächlich um seiner selbst willen unterstützt hat und ihn nicht für sich instrumentalisieren wollte, muss diesem Appell nun folgen.
Annegret Kramp-Karrenbauer steht zugleich in der besonderen Pflicht, auf die zuzugehen, die die anderen Kandidaten unterstützt haben. Mit der Benennung den 33-jährigen Vorsitzenden der Jungen Union Paul Ziemak zum bisher jüngsten Generalsekretär der CDU hat sie hier einen sehr mutigen, auch risikobehafteten Schritt gewagt. Wichtiger noch ist, wie sie mit Friedrich Merz einen Weg der Einbindung und Nutzung seiner Talente findet, obwohl er nach der Niederlage um den Vorsitz nicht für andere Führungsämter kandidieren wollte.
Spätestens 2021, also in nur drei Jahren, steht die nächste Bundestagswahl an, die soweit jetzt vorhersehbar eine Premiere bringen wird: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wird dann nicht ein Amtsinhaber das Kanzleramt verteidigen, sondern es werden nur neue Kanzlerkandidaten um das Vertrauen der Wähler werben. Damit geht es bei der nächsten Wahl noch weniger um die Bewertung und Fortschreibung des Bisherigen. Es wird eine Wahl sein, die die Frage nach der Zukunft und damit den politischen Gestaltungsanspruch besonders in den Mittelpunkt rückt.
Solche Einschnitte gab es in der Geschichte der Bundesrepublik sowohl 1969 als auch 1982. 1969 begeisterte Willy Brandt mit seinen Ideen des Aufbruchs die Menschen, die des zwar erfolgreichen, aber üblichen Trotts überdrüssig waren. Als sich 1982 nach Ölkrise, terroristische Anschlägen und Streit um die Nachrüstung der Verwaltungs- und Krisenkanzler Helmut Schmidt verbraucht hatte, erhielt der Gestaltungskanzler Helmut Kohl seine Chance.
Unter Kohls Führung hatte die CDU mit den Generalsekretären Biedenkopf und Geißler die Jahre der Opposition genutzt: Aus einer intensiven Grundsatzprogramm-Debatte erwuchsen konkrete Reformprojekt wie Erziehungsgeld und -urlaub, Kinderzeiten im Rentenrecht, die Einführung von Katalysator und bleifreiem Benzin, das Meister-Bafög oder die Überwindung des staatlichen Rundfunkmonopols. Sie standen unter dem Narrativ einer Gesellschaft mit menschlichem Gesicht und einer geistig-moralischen Erneuerung durch neue Fixpunkte wie die Bewahrung der Schöpfung oder das erneuerte Bekenntnis zu deutschen Einheit und zur europäischen Einigung. Helmut Schmidt sagte einmal: „Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen.“ Helmut Kohls innerer Kompass ging über solchen Tagespragmatismus hinaus und folgte der Einsicht: Wer sein Ziel nicht kennt, der findet auch den Weg nicht.
Annegret Kramp-Karrenbauer bleibt nicht so viel Zeit wie damals Helmut Kohl, aber sie muss auch nicht Oppositionsführerin und Parteivorsitzende zugleich sein. Sie sollte auch kein Ministeramt übernehmen, sondern jetzt über den Tagespragmatismus und die solide Sacharbeit der Regierung hinaus Zukunftsprojekte entwickeln, die den Unterschied zur politischen Konkurrenz machen. Ihr Vorschlag einer allgemeinen Dienstpflicht steht für den Gestaltungsmut, um den es dabei geht.
Letztlich entscheidet sich der Erfolg der CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer und damit der CDU insgesamt daran, wie sie in den nächsten beiden Jahren die inhaltliche Kernaussage ihrer Bewerbungsrede konkretisiert: „Wir brauchen eine starke CDU, keine, die beliebig ist. Wir sind kein politischer Gemischtwarenladen, aus dem sich jeder das heraussucht, was er gerne hätte. Wir brauchen eine CDU, die unzweideutig auf ihrem Wertefundament steht. Wir brauchen eine CDU, die einen Kompass hat. Dieser Kompass für die CDU kann nur das C sein. Das C ist der Leitstern. Das C gibt uns das Menschenbild vor. Das dürfen wir nie und nimmer vernachlässigen.“
Dr. Stephan Eisel (1955) ist verantwortlicher Redakteur des Blogs für politisches Handeln aus christlicher Verantwortung kreuz-und -quer.de. Er war 1979/80 Bundesvorsitzender des Rings christlich-demokratischer Studenten, 1983 – 1992 zunächst als Redenschreiber und dann als stv. Leiter des Kanzlerbüros Mitarbeiter von Helmut Kohl, danach in verschiedenen Leitungsfunktionen in der Konrad-Adenauer-Stiftung, 1992 – 1998 Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Bonn, 2007 – 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und ist seit 2010 in der Konrad-Adenauer-Stiftung Projektleiter für „Internet und Demokratie“ sowie „Bürgerbeteiligung“.