KIRCHLICHE PRIVATSCHULEN SIND NICHT TEURER, SONDERN ANDERS

Martin Löwenstein SJ wendet sich gegen Klischees über kirchliche Privatschulen und plädiert für eine sachorientierte Analyse.

Den folgenden Text können Sie hier ausdrucken.

Martin Löwenstein SJ

Kirchliche Privatschulen sind nicht teurer, sondern anders

Wenn man in Deutschland das Wort „Privatschule“ in den Mund nimmt, denkt man an teure Schulen. Das hängt u.a. auch damit zusammen, dass „Privatschulen“ zusätzlich zu den je nach Ländern variierenden staatlichen Zuschüssen einen Eigenanteil für den Schulbetrieb erbringen müssen, den sie über Schulgeld hereinholen.

Zuletzt gab es zwei Aufreger, die das Thema der Privatschulen aus diesem Grunde neu und fundamental-kritisch auf die Tagesordnung setzten: Zum einen die Studie des Berliner Wissenschaftszentrum (WZB), die behauptete herausgefunden zu haben, dass staatliche Stellen grundgesetzwidrig zuließen, dass Privatschulen gegen das sogenannte Sonderungsverbot des Grundgesetzes verstoßen – mehr oder weniger schlicht auf Grund der Tatsache, dass sie Schulgeld erheben. Die WZB-Forscher zeigten auch ganz konkret mit dem Finger auf Schulen, die ihrer Meinung nach aus diesem Grund sofort geschlossen werden müssten. Dass sie dabei sogar Schulen nannten, bei denen nachweislich gar kein Schulgeld verlangt wird, fiel den Autoren der Studie gar nicht auf. Sie hatten Internatskosten mit Schulkosten verwechselt.

Ein zweiter Aufreger war die Meldung über Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), die ihre Kinder an eine „privaten Schule“ schickt. Die Rede war von einem „fatalen Zeichen“, die TAZ beschrieb sogar Schwesig als „Patin“ der Schule, so als ließe der Privatschule-Besuch von Politiker-Kindern auf mafiöse Strukturen und Netzwerke rückschließen. Die pauschale Verdächtigung „privater Schulen“ (das heißt von Schulen, die als staatliche anerkannte und kontrollierte Ersatzschulen einen öffentlich anerkannten Abschluss ermöglichen) ist jedenfalls ein Topos in der deutschsprachigen Bildungsdebatte.

Das Grundgesetz gewährleistet in §7,4 das Recht, private Schulen zu gründen. Dieses Recht fußt auf der Einsicht, dass es wünschenswert ist, wenn schulische Bildung von zivilgesellschaftlichen Trägern mitgetragen wird. So wird verhindert, dass sie reine Staatsangelegenheit ist. Es gibt gerade auf deutschem Boden genug negative Erfahrungen mit einem staatlichen Bildungsmonopol, das gesellschaftliche Teilhabe und Mitverantwortung als störend oder gar schädlich ansieht. Die Vielfalt der Bildungsangebote ist darüber hinaus ein wesentlicher Bestandteil für die Lebendigkeit und Innovationsfähigkeit des deutschen Bildungssystems.

In Aufreger-Debatten wurde einmal mehr das Klischee bemüht, private Schule würden soziale Eliten versammeln. Zum einen stimmt dies in dieser Allgemeinheit gerade auch für die kirchlichen Schulen nicht. Die Realisierung von Bildungsgerechtigkeit ist ihnen erkennbar ein zentrales Anliegen. Zum anderen: Wenn die soziale Sonderung an der sozialen Zusammensetzung der Schülerschaft festgemacht würde, müsste der Staat gegen sich selbst klagen, denn mit seinem Wohnortsprinzip fördert er ja auch die soziale Sonderung. Die behauptete Sonderung bei den Privatschulen kann sich im Übrigen auch nicht auf empirische Untersuchungen stützen. Es stimmt in dieser Vereinfachung nicht.

Schulen in freier Trägerschaft werden immer mal wieder aufgefordert, die soziale Zusammensetzung ihrer Schülerschaft zu veröffentlichen. Die Forderung setzt voraus, dass die Schulen soziale Daten bei der Anmeldung erheben. Das tun sie aber nicht, jedenfalls nicht die kirchlichen Schulen. Es würde zudem eine Stigmatisierung der Privatschulen bedeuten, wenn nur sie, aber nicht die staatlichen Schulen solche Daten erheben müssten. Maximal wäre es möglich, soziale Daten über Schüler und Schülerinnen zu erheben, die Stipendien erhalten – zumal an allen kirchlichen Schulen der Grundsatz gilt, dass der Schulbesuch nicht am Schulgeld scheitert. Dies wird aber bei den meisten Antragsverfahren gar nicht sonderlich gemacht, da dies wiederum mit einer erheblichen Ausweitung der Schulbürokratie verbunden wäre. Und die einzige Information, die wir hätten, nämlich die freiwilligen Spender für die Schule, geben wir an unserer Einrichtung noch nicht einmal intern als Information von der Verwaltung an die Pädagogen in der Schule, weil Geld keine Rolle spielen darf für pädagogische Entscheidungen.

Die Rede von den sozialen Eliteschulen hat auch einen rückwirkenden Charakter auf die Schüler und Schülerinnen selbst. Stigmatisierung kann aus positiven Intensionen entstehen: „Brennpunktschulen“ in Großstädten entstanden aus dem Wunsch, diese Schulen besser auszustatten. Aber was macht es mit jungen Menschen, wenn ihre Schule ständig als Brennpunktschule bezeichnet wird? Was macht es umgekehrt mit Schülern aus sozial schwachen Schichten, die an Privatschulen sind, wenn ihre Schule öffentlich als soziale Eliteschule abgestempelt wird? In der Debatte um das Thema der Bildungsgerechtigkeit werden im Übrigen moralisch hoch aufgeladene Debatten geführt, die ganze soziale Milieus stigmatisieren, z.B. die angeblich bildungsfernen, weil sozial schwachen Schichten. Es gibt reiche Familien, die bildungsfern sind und ihr dünkelhaftes Selbstverständnis mit Bildungsstatus verwechseln, und es gibt unendlich viele Familien, die finanziell kämpfen müssen und zugleich sehr gebildet und bildungsnah sind, auch an Schulen in freier Trägerschaft.

Der wissenschaftliche oder auch pseudowissenschaftliche Blick auf die Schulen hat in der Regel nicht im Blick, dass jeder Schüler und jede Schülerin ein Recht darauf hat, als eigene Person angesehen zu werden, ohne von sozialen, familiären oder gesellschaftlichen Klassifizierungen her definiert zu werden. Die Würde pädagogischen Handelns hängt daran, dass Lehrende und Erziehende jedem Kind und jedem Jungendlichen mit offenem, von Klischees unverstelltem Blick entgegentreten. Aufreger-Debatten helfen da nicht weiter.

Martin Löwenstein (1961) ist Jesuit  und leitet seit 2017 das Aloisiuskolleg in Bonn, zu dem ein Gymnasium und ein Internat für 95 Mädchen und Jungen gehören. Zuvor war er in der Citypastoral am Kleinen Michel in Hamburg und als Hochschulseelsorger an der Universität Frankfurt/Main tätig.  Seit 1999 publiziert er Predigten im Internet; seine Webseite verzeichnet über 1.000 Predigt-Texte und 300 Video-Mitschnitte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert