Franziskus prägte einen neuen Stil


Am Ostermontag ist Papst Franziskus gestorben. Wir würdigen ihm mit einem Doppelportrait: Im nachstehenden Text befasst sich Pater Klaus Mertes mit dem Papst, der einen neuen, für manche auch gewöhnungsbedürftigen Stil prägte. Am nächsten Wochenende betrachtet Ulrich Ruh Franziskus unter anderem im Lichte der neueren Papstgeschichte.


P. Klaus Mertes SJ

Papst Franziskus ist tot. Es ist noch zu früh, Abschließendes zu sagen. Aber es sind doch einige Aspekte seines Pontifikates, die schon jetzt hervorstechen und bedeutsam für die Zukunft bleiben.

Franziskus war der erste Papst aus Lateinamerika. Wie er in seiner kürzlich erschienenen Autobiographie (mit dem Titel „Hoffe“) noch einmal deutlich machte, prägten ihn nicht zuletzt zwei Grenzerfahrungen: Migration und Flucht einerseits, die Zeit der Militärdiktatur in Argentinien andererseits, letzteres die „schrecklichen Jahre“, die „auch für mich enorme Spannungen bereithielten“ (Hoffe, S.164). Diese Erfahrungen ebenso wie seine Herkunft aus dem globalen Süden prägten seine politische Sprache, etwa sein scharfes Urteil über eine „Wirtschaft, die tötet“, oder auch sein leidenschaftliches Eintreten für Menschen auf der Flucht.

Franziskus prägte einen neuen Stil. Schon in den ersten Tagen nach seiner Wahl wurde das sichtbar, als er am Gründonnerstag nicht mehr wie üblich – in Erinnerung daran, dass Jesus seinen Jüngern am Abend vor seiner Hinrichtung die Füße wusch – zwölf ausgewählten Männern aus einem goldenen Kännchen Wasser auf die Füße goss, sondern ins Gefängnis ging, um dort Gefangenen, darunter auch Frauen, die Füße zu waschen. Liturgie und Leben rückten bei Franziskus zusammen, um sich beiderseitig wieder etwas sagen zu können.

Franziskus hat viele Schreiben zum Teil mit überraschender Themenwahl verfasst. Vor allem die Enzyklika „Laudato si – über die Sorge für das gemeinsame Haus“ wird wohl nachhaltig weiterwirken. Sie verbindet die Frage nach der globalen Gerechtigkeit mit der Sorge um die Bewahrung der Schöpfung angesichts des Klimawandels, der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und des Verlusts der Artenvielfalt. Bei der Analyse der Situation folgt er den Aussagen der Mehrheit der Wissenschaftler, bei den Vorschlägen zum Schluss des Schreibens wird er sehr konkret und begibt sich damit nicht zuletzt auch in den Bereich des Fehlbaren. Ausführlich hebt er die herausragende Verantwortung des Menschen für die Sorge um den Planeten hervor und stellt sie dem Missverständnis des biblischen Anthropozentrismus entgegen, das im „technokratischen Paradigma“ der Moderne einen säkularen Höhe- und Kipppunkt erreicht hat.

Papst Franziskus hat Spielräume für die Pastoral eröffnet. Er tat dies, indem er bewusst Fragen offenließ, bei denen andere, nicht zuletzt einflussreiche Kardinäle, klare Ja-Nein-Entscheidungen forderten. Wer darf zur Kommunion zugelassen werden und wer nicht; wer darf gesegnet werden und wer nicht? – Indem Franziskus hier in Fußnoten und Nebenbemerkungen bei Grenzfragen Entscheidungsspielräume für die Seelsorge vor Ort offen ließ, gab er wichtige Impulse für die pastorale Praxis und für noch anstehende Lehrentwicklungen, die sich in einer erneuerten Praxis ergeben könnten. In diesem Sinne stand er in der Tradition der jesuitischen „Unterscheidung der Geister“, auf die er sich immer wieder bezog: Die „Logik der Herzens“ (Blaise Pascal) ist auch seine Logik.

Papst Franziskus war von der Vision einer synodalen Kirche beseelt. Synodalität begann für ihn mit Zuhören, gerade auch dann, wenn es weh tut. Auf der Weltsynode in Rom 2024 führte er Laien und Kleriker, Männer und Frauen aus den unterschiedlichen Kulturen der Welt zusammen, um sie aus ihrer jeweiligen kulturellen Blase herauszuführen in den Dialog. Er hielt an dem Auftrag des Evangeliums fest, dass in der Kirche „nicht mehr Juden und Griechen gibt“, nicht mehr Europäer und Afrikaner, nicht Asiaten und Amerikaner, sondern dass sie in der Kirche „eins“ sind (vgl. Gal 3,28). So schmerzlich kulturelle Gegensätze auch in der Kirche aufeinander prallen mögen, so sehr könnte es auch ein Dienst der Kirche für die ganze Welt sein, wenn es ihr gelänge, interkulturelle Transformationsprozesse voranzubringen, um die Spaltungen überwinden, nicht zuletzt diejenigen zwischen „männlich und weiblich“ (vgl. ebd.).

Und schließlich: Auch das Pontifikat von Franziskus war überschattet von den Verbrechen sexualisierter Gewalt an Kindern und Schutzbedürftigen durch kirchlichen Amtsträger und durch andere geistliche Führungspersonen – und durch deren mangelnde Aufarbeitung. Es war dies wohl jener Aspekt seiner Amtszeit, auf den er selbst am wenigsten vorbereitet war, als er das Amt antrat, und bei dem er am meisten zu lernen hatte, auch über die eigenen Fehler. Leidenschaftliche Anklage gegen den Klerikalismus, Strafverschärfungen, Veränderungen im Kirchenrecht, Auflösung von autoritären Gemeinschaften – ja. Aber es bleibt noch viel zu tun, nicht zuletzt bei der Reform der Verfahren im Sinne einer stärkeren innerkirchlichen Gewaltenteilung, die auch Rom einschließt.


 

Klaus Mertes
Foto: pro/Norbert Schäfer

P. Klaus Mertes SJ (1954) ist Superior der Jesuitenkommunität in Berlin-Charlottenburg. Er hat Slawistik und Klassische Philologie in Bonn studiert und ist 1977 in den Jesuitenorden eingetreten. Anschließend studierte er Philosophie und Katholische Theologie in München und Frankfurt a.M. und wurde 1986 zum Priester geweiht. Nach dem zweiten Staatsexamen für Katholische Religion und Latein war er Lehrer an der St.-Ansgar-Schule in Hamburg und am Canisius-Kolleg in Berlin, dessen Rektor er von 2000 bis 2011 war. Von 2011-2020 war er Direktor des internationalen Jesuitenkollegs in Sankt Blasien. Klaus Mertes ist Redakteur der Kulturzeitschrift STIMMEN DER ZEIT und gehört dem Kuratorium Stiftung 20. Juli 1944 an.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert