PRIESTERSEIN HEUTE

Stefan Jürgens hält aus seiner Erfahrung als katholischer Priester angesichts des Priestermangels das Zölibat für schädlich, sieht eine Spaltung zwischen Bischöfen und Gemeinden und kritisiert die oft floskelhafte kirchliche Sprache.

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Stefan Jürgens

Priestersein heute

Priestersein ist ein Traumberuf. Das kann ich nach fast 25 Jahren immer noch sagen. Und zwar aus vol­ler Überzeugung. Ich kann nämlich voll und ganz nach meinem Gewissen handeln. Und genau das tun, was ich für richtig und für wichtig halte.

Ich bin 1994 zum Priester geweiht worden. Mittlerweile hat sich viel geändert in Gesellschaft und Kir­che. Deshalb ist es mir heute viel wichtiger, wer ich bin als Christ. Ich bin ein Christ, der eben auch ein Amt hat. Ich bin mehr Verkünder einer Botschaft als Vertreter einer Institution, mehr Christ in der Welt als Priester in der Kirche.

Am besten, ich fange mal ganz von vorne an: Ich habe meinen Glauben geerbt, habe in Familie und Ge­meinde mitgemacht, was andere vorgemacht haben. Das Interesse an Theologie und die Entscheidung für Jesus Christus kamen erst mit dem Studium. Die Theologie hat meinen Glauben kräftig geläutert. Obwohl sie nicht viel mehr zu bieten hat als Sprechversuche von einem großen Geheimnis. Von einem Geheimnis aber, das mir in Jesus Christus sehr nahegekommen ist. Seinetwegen wollte ich Priester wer­den und möchte es bleiben, solange ich lebe.

In den ersten Berufsjahren als Kaplan war alles ganz einfach: eine lebendige Gemeinde in Gestalt von sehr aktiven und selbstbewussten Christinnen und Christen. Ich fühlte mich getragen. Wenn das so ge­blieben wäre, dann wäre Priestersein ein Traumberuf ohne Wenn und Aber. Gottesdienst und Predigt, Seelsorge und Gespräch erfüllen mich bis heute mit innerer Zufriedenheit. Das alles mache ich sehr ger­ne.

Doch nach drei Jahren kam die erste Ernüchterung. Da habe ich gemerkt: Wenn du nicht für dich selber sorgst, tut es keiner. In Kirchenkreisen ist nämlich gar nicht so wichtig, wer etwas kann, sondern wer wen kennt. Das ist typisch für monarchische und autoritäre Systeme, also auch für das System Kirche. Damals schlich sich eine gewisse Resignation in die stärker werdende Routine ein. Ich wurde Jugend­seelsorger und dann Rektor einer Akademie und eines Exerzitienhauses. Nach einigen Jahren bot sich eine größere Pfarrstelle an, auf die ich mich spontan beworben habe. Dort war ich schnell zu Hause, es war traumhaft schön. Wenn auch nicht mehr alle zum Gottesdienst kamen, so gab es doch eine große Nähe zu fast allen. Und mit einem großen und kompetenten Seelsorgeteam ist man niemals allein.

Mittendrin die Enttäuschung: Traditionsabbruch, Gemeindefusion, Denkverbote. Alles in allem scheint mir: Wir sind als Kirche auf der Flucht vor der Postmoderne. Wir ziehen uns zusehends zurück und wer­den zur frommen Sekte. Statt das Amt für neue Zugangswege zu öffnen, ist ein neuer Klerikalismus entstanden, der offiziell gefördert wird. Die so genannte Amtskirche entfernt sich von den Menschen, ihre Vertreter sind ohne Zweifel fromm und freundlich, aber nicht fähig zum Dialog mit der modernen Welt.

Der Zölibat ist ein Thema ohne Ende. Für die Gemeinden ist er faktisch bedeutungslos, sie wünschen sich gute Seelsorgerinnen und Seelsorger, unabhängig von der Lebensform. Die Gründe für den Zölibat sind theologisch nicht mehr haltbar. Man kann ihn noch geistlich sehen: als Zeichen der Jesus-Nachfolge oder als Zeichen für die Liebe Gottes, die immer größer ist. Ich halte es für besser, den Zölibat freizu­stellen. Und noch mehr: Ich halte ihn für eine der strukturellen Sünden der Kirche. Und, um noch einen draufzusetzen: Ich glaube, dass die so genannte Amtskirche sich hier dem Wirken des Heiligen Geistes hartnäckig widersetzt. Warum ich hier so scharf werde? Weil auch der Priestermangel zu den Zeichen der Zeit gehört, durch die wir Gottes Willen erkennen sollen. Aber es geschieht nichts. Die Kirche wird sehenden Auges fromm vor die Wand gefahren. Und dabei wird der Zölibat nur von sehr wenigen als Charisma begriffen; die meisten nehmen ihn nur in Kauf, weil sie Interesse am Priesterberuf haben. Dennoch glaube ich nicht, dass der Zölibat in absehbarer Zeit freigestellt wird. Das liegt nicht nur an der weltkirchlichen Ungleichzeitigkeit. Es liegt auch am völlig überhöhten, sakralisierten Priesterbild. Der Priester ist ja eigentlich nur Verkünder des Wortes und Darsteller Jesu Christi in den sakramentalen Handlungen. Aber das Priesterbild vieler Katholiken ist immer noch aufgeladen mit archaischen Vorstel­lungen, es verleiht dem Amtsträger eine Macht, auf die man offenbar nicht verzichten möchte. Es ist viel Magie im Priesterbild, Klerikalismus eben. Der Missbrauchsskandal hat gezeigt, wie schädlich und schändlich diese Überhöhung des Amtes ist, und was für katastrophale Folgen sie haben kann.

Die eigentliche Kirchenspaltung verläuft nicht zwischen den Konfessionen, auch nicht zwischen Laien und Priestern. Sondern zwischen Gemeinden und Bischöfen. Der Grund dafür ist sehr einfach: Wer in der Kirche Karriere machen möchte, muss sich schon als Student anpassen, im System bleiben. Oder sich rechtzeitig eine passende Meinung zulegen. Er muss ohne Zweifel fromm und fleißig sein, darf aber nichts in Frage stellen. Deshalb haben wir in höheren Ämtern fast nur Konservative, die etwas aus der Zeit gefallen sind und auch so auftreten. Das System bleibt in sich geschlossen, es kommt zu keiner Re­form, weil es keine Reformer zulässt. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich keine Erneuerung mehr er­warte, es ist zu spät. Man muss seinen eigenen Stil finden, glaubwürdig und mit einer kräftigen Portion Humor.

Theologisch sind wir nicht viel weitergekommen. Überhaupt hat die Theologie zurzeit für die Pastoral nur wenig zu bieten. Die Bistümer fragen vermehrt bei Unternehmensberatern an, nicht mehr bei Theo­logen, da diese häufig als zu kritisch und nicht systemimmanent gelten. Die Volksfrömmigkeit hat nach wie vor naive und magische Züge; einen fragenden, kritischen und dennoch verbindlichen Glauben finde ich nur selten. Viel häufiger wird Religion an den Rändern des Lebens genutzt, zum Beispiel die Rituale bei Geburt, Heirat und Tod. Also Taufe, Trauung und Beerdigung. Das ist ein pastoraler Dienst, der wichtig bleibt, aber nur ganz selten nachhaltig wird.

Außerdem haben wir ein riesiges Sprachproblem. Die liturgische Sprache ist floskelhaft, Predigten sind flach und anbiedernd oder pathetisch und frömmelnd. Selten wird es konkret. Stattdessen frommes Gela­ber. Wer in der Liturgie mit anderen oder eigenen Worten betet, gilt als ungehorsam. Man könnte genau­so gut wieder auf Latein beten, dann versteht wenigstens keiner etwas. Heute verstehen nur wenige eini­ges.

Was ist meine Identität heute? Wer bin ich als Gemeindepfarrer, jetzt, in der Mitte meines Lebens? Viel­leicht Konkursverwalter? Manche sehen mich als Chef, als Dienstgeber vieler Angestellter. Das aber liegt allein an der Kirchensteuer, die vieles für sich hat, die aber auch dafür sorgt, dass wir ein riesiger Sozialkonzern geworden sind – auf ganz dünnen theologischen Beinchen.

In der öffentlichen Wahrnehmung bin ich häufig nur Repräsentant einer Institution, ich gehöre irgendwie zum gesellschaftlichen Leben dazu. Ich selbst aber fühle mich nach wie vor angesprochen von Jesus Christus, ich möchte mit ihm in der Welt leben, ihm in den Menschen begegnen und sie mit ihm bekannt machen. Kirche, das sind für mich die Menschen, die beten, wenn ich es nicht kann, und die glauben, während ich zweifle. Ich möchte Seelsorger sein in allen Lebenslagen, aber auch Theologe; denn nur der reflektierte Glaube wird auskunfts- und zukunftsfähig sein. Ich glaube, dass Gott schon bei den Men­schen ist, ich muss ihn da nicht erst hinbringen. Das entlastet.

Wichtig ist mir das regelmäßige Gebet, die Meditation. Und die Feier der Eucharistie. Daraus lebe ich, davon bin ich beseelt. Die Kirche wird kleiner werden und weniger Einfluss haben; sie wird mobiler werden mit weniger Immobilien. Sie wird glaubwürdiger, weil sie weniger Macht haben wird. Sie wird ansprechender sein, weil sie der frommen Worte überdrüssig ist. Priestersein heute geht nur um Jesu und der Menschen willen: dank, mit und manchmal auch trotz der Kirche.

Stefan Jürgens (1968) wurde 1994 zum Priester geweiht und ist seit 2016 Pfarrer der Kirchengemeinde Heilig Kreuz in Münster. Er war zunächst Kaplan und Jugendseelsorger, dann Geistlicher Rektor einer katholischen Akademie und Leiter eines Exerzitienhauses, anschließend zehn Jahre lang Pfarrer im ländlichen Raum, wo er durch sein offenes Wort und seinen Internet-Blog „Der Landpfarrer“ für Auf­merksamkeit sorgte. Vier Jahre lang war er Sprecher beim „Wort zum Sonntag“ in der ARD, bis heute ist er regelmäßig im WDR zu hören. Er selbst nennt sich gerne einen „Spielmann Gottes“, da er auch musiziert und vieles in der Kirche mit Humor sieht. Davon liest man auch in seinem neuen Blog „Kreuz­schnabel“.

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