WIE GEWALT STOPPEN ?

Ulla Becker erinnert daran, dass nur mit Verzicht auf Gewalt Konflikte in respektvoller Offenheit unter der Wah­rung der eigenen Grenzen und der des Anderen  gelöst werden können.

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Ulla Becker

WIE Gewalt stoppen?

Bevor wir dieser Frage nachgehen, ist es wichtig darzulegen, was unter Gewalt zu verste­hen ist: „Gewalt liegt immer dann vor, wenn Menschen gezielt oder fahrlässig physisch oder psy­chisch geschädigt werden. Gewalt ist immer an den Missbrauch von Macht ge­knüpft. Dazu gehört auch der Bereich der strukturellen Gewalt, also Ordnungssysteme und öko­nomische Prinzipien, die materielle, soziale und ideelle menschliche Entwicklungen beein­trächtigen oder verhindern.“ (SOS-Rassismus-NRW) D.h. Gewalt richtet sich gegen die Selbstbestim­mung eines Menschen und verletzt die Un­versehrtheit von Körper, Geist und Seele.

Trotz dieser klaren Definition haben Menschen unterschiedliche Vorstellungen von Ge­walt, da jeder aufgrund eigener Erfahrungen weiß, was für ihn Gewalt ist. Eine Bemer­kung mag für den Einen, ohne entsprechende Vorerfahrung, akzeptabel sein, für den An­deren, aufgrund von Vorerfahrung, ist es eine schmerzliche Abwertung! Zu leugnen, dass Gewalt individuell emp­funden und bewertet werden kann – ist auch Gewalt.

Doch Gewaltanwendung ist u.U. in begrenztem Rahmen moralisch vertretbar: z.B. wenn eine Mutter ihr Kind verletzt um zu verhindern, dass es vom LKW überfahren wird. Das Gleiche gilt für Notwehr bzw. Nothilfe. Nicht umsonst hat der Staat das alleinige Gewalt­monopol – zum Schutz des Einzelnen bzw. der Gesellschaft. Nur demokratisch legitimier­te Gesetze und eine unabhängige, nur dem Grundgesetz verpflichtete Justiz verhindern Will­kür und Miss­brauch.

Den Fokus auf die Gewalt zu legen, der wir täglich begegnen, scheint mir hier angebracht.S­ie findet statt – u.a. im Büro, in Schule, in Bus und Bahn, beim Autofahren, in Fa­milie, in Nach­barschaft und im sonstigen sozialen Umfeld. Neben körperlicher Gewalt, die auch im privaten Rahmen unter Strafe steht, hat gewalthal­tiges Verhalten viele Facetten. Die „wenn…dann“ – Sätze z.B. dienen zum einen zur Machtdemonstrationen, um anderen den eigenen Willen auf­zuzwingen, z.B. „wenn DU das Studium abbrichst, dann kürze ich dir den Monatsscheck .“ An­dererseits können „wenn…dann“ – Sätze auch Ausdruck von Selbstschutz sein: „Wenn du nicht aufhörst zu saufen, dann verlasse ich dich.“ Wie so oft kommt es auch hier auf die Absicht an.

Auch das bewusste Ignorieren eines NEIN /STOPP, das Eindringen ohne zwingenden Grund in den Nahbereich eines Menschen ist Gewalt, als Straftat kaum nachweisbar, da sichtbare Indizi­en fehlen! Mobbing, Intrigen, „dissen“ in sozialen Netzwerken und Lügen gehören gleichfalls zur seelischen Gewalt – die dem Einzelnen und der Gesellschaft in Gänze schaden. Geistige In­doktrination – ob religiös oder politisch motiviert – Verwahrlo­sung und Über-/Unterforderung bzw. Überbehütung, unter denen Kinder in zunehmendem Maße leiden (Beobachtungen verschiedener Berufsgruppen) behindern Menschen in ihrer seelischen und geistigen Entwicklung- lt. Definition – eindeutig Gewalt!

Die Frage ist, können bzw. wollen wir aufgrund dieser Erkenntnis etwas daran ändern?

Gewalt stoppen ist nur dann möglich, wenn sich jeder bewusst macht, dass er mehr oder we­niger Gewalt an Körper, Geist und Seele erlebt hat. Diese Erfahrungen haben jeden von uns geprägt und steuern – (oft) unbewusst – außer Wahrnehmung und Einschätzung von Situatio­nen und Menschen unser Verhalten. Erst die Auseinandersetzung und Aussöhnung mit den seelischen Altlasten eröffnet die Chance, die innere Haltung sich selber und ande­ren gegen­über zu verändern und somit der Gewalt nachhaltig abzuschwören.

Denn Fakt ist, jedem Menschen ist ein Aggressionspotential als Energiequelle zu Eigen, damit er sein Leben aktiv gestalten und in bedrohlichen Situationen überleben kann. Rich­tet er diese Aggression in verletzender, zerstörerischer Art gegen andere ist dies Gewalt und erschwert bzw. verhindert ein friedfertiges Miteinander/Füreinander.

Fakt ist auch die Angst des Menschen vor allem Neuen, es stellt Bekanntes und Vertrautes in Frage und macht daher unsicher. Diese Angst zu überwinden erfordert die Bereitschaft sich offen und flexibel auf Unbekanntes einzulassen. Nur so kann Neues integriert werden. An­dernfalls klammert man sich an „die gute alte Zeit“ und belegt das Neue mit Vorurteil, Diskri­minierung und Fremdenfeindlichkeit.

Seit Menschengedenken lernen wir von anderen Kulturen, unser Dasein lebt von der Integratio­n kultureller Errungenschaften anderer. Nur müssen wir uns das immer wieder vor Augen halten, wenn wir aus Angst vor Identitätsverlust und Überfremdung Menschen an­derer Kulturkreise ausgrenzen, verteufeln oder niedermachen wollen. Wenn wir – als Ver­treter des westlichen „way of life“- anderen Völkern / Nationen unsere Werte und Errun­genschaften aufdrängen wollen, sollten wir uns, bei deren Widerstand, verständnisvoll an die eigenen Ängste erinnern…

Auf Gewalt verzichten heißt nicht passiv sein. In respektvoller Offenheit unter der Wah­rung der eigenen Grenzen und die des Anderen – inklusive des Rechts NEIN und STOPP zu sagen – ist es Menschen möglich Differenzen und Konflikte zuzulassen und einver­nehmlich zu lö­sen.

Jeder kann dazu beitragen, dass ein respektvolles Verhalten im eigenen Umfeld möglich wird. Das erfordert Mut und Entschlossenheit, wie bei Martin Luther, als er sich vor 500 Jahren ge­gen den Klerus stellte, in dem er u.a. den Ablasshandel als religiöse Knechtung und illegitime Bereicherung anprangerte. Gewaltlosigkeit verfügt über eine enorme mora­lische Kraft, wie das Erreichen der Unabhängigkeit Indiens durch Mahatma Gandhi 1948 zeigt, oder wie Mar­tin Luther King als Leitfigur des passiven Widerstandes der Bürger­rechtsbewegung in den 60er Jahren mit seiner Rede „I have a dream“ den Zuhörern auf dem Kapitol in Washington D.C. durch seinen unerschütterlichen Glauben an die Gleich­heit aller Menschen Halt und Per­spektive gab.

Fazit:– der Verzicht auf Gewalt ist ein Lichtpunkt in der Dunkelheit praktizierter Gewalt, je mehr Menschen sich dieser Haltung verpflichtet fühlen, desto heller wird es!

Ulla Becker (1948) ist ehem. Lehrerin und Lehrtrainerin der Gewalt Akademie Villigst. Dazu ge­hört auch didaktische Koordination, Mobbing- und Interventionstrainung und Training für Sozia­le Kom­petenzen und Konzept -und Projektarbeit im (Grund)Schulbe­reich.

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