RECHTSPOPULISMUS UND CHRISTENTUM

Andreas Püttmann fordert von Christen ein klares Bekenntnis gegen ein Denken, das die gottgegebene Würde jedes Einzelnen durch das Pathos der „Volksgemeinschaft“  und christliche  Tugenden wie Demut und Gelassenheit durch selbstdistanzlose Wahrheitsgewissheit und Wut ersetzt.

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Andreas Püttmann

Rechtspopulismus und Christentum

Europa erlebt eine Zeitenwende. Die nach der katastrophalen Herrschaft des Nationalsozialismus und Faschismus nachhaltig diskreditierte nationalistisch-autoritäre Rechte ist im Verein mit naiven, im einseitigen Feindbild von der linken Gefahr gefangenen Konservativen dabei, die kulturelle Hegemonie von Sozialdemokraten und Liberalen zu beenden. Am besten gelingt ihr das in den Ländern Mittel- und Osteuropas, die keine lange liberal-demokratische Tradition haben und bis 1990 sozialistisch beherrscht wurden, sowie in Ländern, die rechtsautoritäre Herrschaft seit Generationen nicht kennen; am wenigsten anfällig sind jene Gesellschaften Südeuropas, die am längsten unter rechten Regimen litten; hier ist bisher der Linkspopulismus erfolgreicher.

Die den Rechtspopulismus inspirierende „Neue Rechte“ grenzt sich von der faschistischen „alten Rechten“ ab, gibt sich ein intellektuelles Image, sucht Verbindungen ins bürgerlich- und christlich-konservative sowie nationalliberale Spektrum und betreibt dessen Radikalisierung. Wissend, dass damit noch keine Mehrheit zu erreichen ist, werden neben wohlfeiler, maßloser Elitenschelte und Ressentimentpflege gegen vermeintliche innere und äußere Feinde – Islam, EU, USA – sozialpolitische Köder für die wenig gebildete, eigentlich eher nach links tendierende Unterschicht und untere Mittelschicht ausgelegt. So bricht man erfolgreich ins sozialdemokratische und noch linkere Wählerreservoir ein. Die ängstliche, trotzige oder aggressive Abgrenzung des „Eigenen“ vom Fremden, Andersartigen ist der Kitt zwischen den sozialen Schichten der Rechtspopulisten: „Letztendlich lässt sich alles auf einen Satz reduzieren: Die da oben sind für Immigration, und wir da unten müssen diese ertragen. Wir gegen die. Ein Klassenkampf, der längst klassenübergreifend funktioniert. Auf diesem Level verträgt sich das Großbürgertum glänzend mit dem Proletariat. Rassismus und Xenophobie schweißen die Milieus zusammen“ (David Schalko).

Geistesgeschichtlich steht die Neue Rechte, explizit an die „Konservative Revolution“ der Zwischenkriegszeit anknüpfend, gegen die Prinzipien der Aufklärung: gegen Pluralismus, Liberalismus und die Idee der Gleichheit aller Menschen, die den Menschenrechten zugrunde liegt. Sie verfolgt statt des „klassischen“, biologischen Rassismus das Konzept eines „Ethnopluralismus“ ethnisch oder kulturell homogener Nationalstaaten. Die wahre Demokratie werde nicht von gleichberechtigten Bürgern, sondern durch die solchermaßen geeinte „Volksgemeinschaft“ konstituiert. Dieses Konzept wirkt als „Scharnier“ zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus.

Gegen die egalitären und liberalen Postulate des Feminismus und gegen die angebliche „Homosexualisierung“ – ein in Osteuropa und der religiösen Rechten zentrales Thema –, setzt die Neue Rechte eine Dominanz „männlicher“ Werte und Tugenden. Die parlamentarische, liberal-rechtsstaatlich beschränkte Demokratie wird als verweichlicht und verweiblicht denunziert. Zur Stärkung der „nationalen Identität“ dient auch ein geschichtspolitischer Revisionismus, denn ein „Schuldkult“ unterminiere die Vitalität eines Volkes und seine nationale Selbstbehauptung. Die Entwicklung der Gesellschaft wird kulturpessimistisch als zunehmender Verfall – Dekadenz – beschrieben. Nur durch den Bezug auf organische Vorstellungen von Nation und Volk, auf die eigenen „Wurzeln“, könne ein Umschwung und eine neue Ära in einem gesunden „Volkskörper“ erreicht werden – ein faschistisches Ideologem, das an den konservativen Wertediskurs anknüpft, aber in seiner utopischen Pointe über diesen hinaus geht. Die Neue Rechte „hat die gleichen Feinde wie der Faschismus“, während „ihre Lösungsansätze, die Organisationsformen und ihr Diskurs sich deutlich unterscheiden“ (Roger Griffin). Hierbei ist allerdings schwer zu unterscheiden, was eine überzeugte, stabile und was bloß eine taktische, vorläufige Mäßigung ist. Zudem sind, wie Geschichte und Gegenwart autoritärer Herrschaft zeigen, immer Radikalisierungen möglich.

Davon legt auch die Entwicklung der im 2013 gegründeten AfD ab. Im Vergleich zu 2014 ist die Radikalisierung des AfD-Anhangs laut der Leipziger Mitte-Studien besonders in den Kategorien Chauvinismus (+19%), Befürwortung einer Diktatur (+10%) und Sozialdarwinismus (+6%) ersichtlich, und zwar ohne dass die Zustimmung zu diesen Haltungen in der Gesamtbevölkerung signifikant gewachsen wäre. Es scheint sich also gleichsam eine radikale Polit-Großsekte am rechten Rand der Gesellschaft gebildet zu haben, die anders als die anderen „tickt“ und den Namen „Alternative für Deutschland“ tatsächlich verdient: im Sinne eines radikalen Gegenentwurfs zu dem, was bislang als „Grundkonsens“ galt und heute rechts als „Mainstream“ verächtlich gemacht wird. Insofern fand eine regelrechte „Sezession“ von der herkömmlichen Bundesrepublik statt, deren bizarrster Ausdruck die sektiererische „Reichsbürger“-Bewegung ist.

Neurechte Ideologen und rechtspopulistische Demagogen treten gern als Vorkämpfer der durch „Politische Korrektheit“ geknebelten Meinungsfreiheit auf. Sie meinen damit aber, wie die Regierungen Polens und Ungarns zeigen, nur die eigene Meinungsfreiheit. An die Macht gelangt, betreiben sie nicht bloß eine inhaltlich andere Politik (Policy), sondern versuchen die Regeln der Politik (Polity) zu ihren Gunsten zu manipulieren. Typisch ist der Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz, speziell des Verfassungsgerichts, und die der öffentlich-rechtlichen Medien. Im Kern geht es um einen Kampf gegen die Freiheit im Namen der Freiheit, um eine Selbstermächtigung.

Nach Umfragen würden etwa je zwei Millionen Katholiken und Protestanten in Deutschland AfD wählen (11%), prozentual weniger als Konfessionslose (18%); bei Kirchennahen (Katholiken: 8%, Protestanten: 9%) sogar nur halb so wenige. Der „sensus fidelium“, die katholische Übersetzung von „Schwarmintelligenz“, weist also von den Rechtspopulisten weg. Schon begrifflich sollte der Kult des „Eigenen“ einen Christen zurückschrecken lassen, muss ein Jünger Jesu doch immer auch vom Anderen her denken. Empathie in Form von Einfühlung, Mitleid und Hilfsbereitschaft ist gleichsam die DNA des Christentums. Weitere schöne Früchte christlicher Frömmigkeit sind Demut und Gelassenheit. Den typischen Rechtspopulisten zeichnet das Gegenteil aus: selbstdistanzlose Wahrheitsgewissheit, Daueralarmismus, Übertreibung, Wut.

Ohne eine Fundamentalkonversion der AfD zur Menschenwürde als Dreh- und Angelpunkt der staatlichen Ordnung wird man in jeder vordergründig richtigen policy immer den Pferdefuß finden: Vermeintliche „Lebensschützer“ bringen plötzlich den Schießbefehl an der Grenze ins Gespräch oder sehen in Abtreibungen vor allem ein Demographie-Problem; Law-and-order-Vertreter lassen ihr Klientel leichtfertig mit dem Widerstandsrecht hantieren und verteidigen die Privatbewaffnung der Bürger und ein liberales Waffenrecht.

Christen können „unmöglich schweigen“ (Apg 4,20) zu einem wieder um sich greifenden Denken, das statt der gottgegebene Würde jeder einzelnen Person das Pathos der „Volksgemeinschaft“ oder das Kalkül des Wohlstandsegoismus ins Zentrum stellt. Indem sich die Kirche der rechten Re-Ideologisierung durch falsche Propheten „christlicher Kultur“ entgegenstellt, leistet sie nicht nur Wiedergutmachung für historische Sünden der Kumpanei mit faschistoiden Systemen, sondern kann sie auch ihr Menschenbild und ihre Sozialethik klarer herausarbeiten, deren Kern nach der Überzeugung Konrad Adenauers und Johannes Pauls II. die Freiheit ist. Die neuen politischen Fronten bieten die Chance, den traditionellen Soupçon bei Linken und Liberalen gegen eine im Zweifel immer rechts stehende Kirche weiter abzubauen und Religion nicht nur als schmückendes Beiwerk eines bürgerlichen Konservativismus erlebbar zu machen. Papst Franziskus hat für diese notwendige Klarstellung Meilensteine gesetzt, und es gereicht den deutschen Bischöfen zur Ehre, dass sie in den derzeitigen aufgeregten Debatten menschenrechtlich Kurs gehalten und eine Lanze für den humanitären Auftrag Europas gebrochen haben. Allerdings fehlt noch ein klares kirchliches Wort zur Verteidigung der liberalen Demokratie gegen das autoritäre Rollback, das in den orthodoxen und katholischen Kirchen Osteuropas viel Unterstützung findet. Der Rechtspopulismus muss und wird in den Kirchen zu einer Scheidung der Geister führen.

 

Dr. Andreas Püttmann (1964) ist Politikwissenschaftler und freier Publizist in Bonn. Zuvor war er Referent für Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung und Redakteur beim Rheinischen Merkur. 2014/15 wirkte er in der CDU-Zukunftskommission mit, seit 2015 im Vorstand der Gesellschaft Katholischer Publizisten.

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