MIGRATION IN MEXIKO: ZWEI SEITEN EINER MEDAILLE

Janina Grimm-Huber beschreibt die komplexe Situation von Mexiko als Transitland einer anhaltenden Migrationsbewegung aus Zentralamerika.

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Janina Grimm-Huber

Migration in Mexiko: zwei Seiten einer Medaille

Die Einwanderungsdebatte hat nicht nur einen zentralen Platz im politischen Geschehen Euro­pas und Deutschlands eingenommen. Wer über die letzten eineinhalb Jahre die Berichterstat­tung in den amerikanischen Medien aufmerksam mitverfolgt hat, weiß, dass auch dort das Thema Migration im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit steht.

Ausgelöst wurde die Diskussion in Nord- und Mittelamerika im Sommer 2014, als nämlich US-Grenzschützer insgesamt 70.000 Minderjährige ohne Begleitung von Erwachsenen – ein Großteil stammte aus El Salvador, Guatemala und Honduras – daran hinderten, die mexika­nisch-amerikanische Grenze illegal zu überqueren. Zutage traten dabei nicht nur die erhebli­chen Mängel der US-Zuwanderungspolitik. Der unerwartete hohe Anstieg der Kindermigrati­on lenkte auch verstärkt den Blick auf die Situation in den Ländern Zentralamerikas, den so­genannten Herkunftsländern. Anhaltende Armut und Gewalt seien die wesentlichen Problem­felder Mittelamerikas und Hauptursachen für die Emigration so vieler Menschen in den letz­ten Jahren.

Auch Mexiko entkam in diesen Monaten der humanitären Krise nicht dem kritischen Blick der Weltöffentlichkeit. Insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika übten viel Druck auf die mexikanische Regierung aus, mit dem Argument, Mexiko sei als Transitland für die prekäre Situation mitverantwortlich. Präsident Barack Obama bat seinen mexikanischen Kol­legen Enrique Peña Nieto entsprechend um Hilfe bei der Eindämmung des Migrantenstroms in Form einer stärkeren Grenzkontrolle an der Grenze zu Guatemala und Belize.

Migration in die USA 

Mexiko spielt ohne Frage eine zentrale Rolle für den Einwanderungszuwachs in den Verei­nigten Staaten von Amerika. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wanderten jährlich mehrere tausend Mexikaner in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, mit dem Ergebnis, dass heu­te insgesamt 11.5 Millionen in Mexiko Geborene ihren Lebensmittelpunkt in den USA haben.

Verschiedenste Pull- und Push-Faktoren haben zu diesem Ergebnis beigetragen. Die einge­hende Analyse der einzelnen Migrationswellen verdeutlicht, dass die Emigration hauptsäch­lich von wirtschaftlichen Motiven geprägt ist, aber auch immer stärker durch zunehmende Gewalt und Drogenkriminalität sowie den Wunsch nach Familienzusammenführung beeinflusst wird.

Weitere Anreize für die Einwanderung vieler Mexikaner in die USA bot die amerikanische Regierung selbst. Insbesondere als die Vereinigten Staaten unter Arbeitskräftemangel litten, stellte ihre Regierung offizielle Arbeitsgenehmigungen für mexikanische Gastarbeiter aus. Das „Bracero-Programm“ ist hierfür das beste Beispiel. Es handelte sich um ein formales bi­laterales Übereinkommen beider Staaten von 1942-1964, welches es vier bis fünf Millionen Mexikanern ermöglichte, auf legale Art und Weise auf US-Farmen zu arbeiten. Wie auch an­dere ähnliche Maßnahmen scheiterte das Bracero-Programm daran dass die „Gäste“ blieben und sich nichts als dauerhafter erwies als die temporär begrenzte Zuwanderung.

Dem Scheitern des Programms folgten verschiedene gesetzliche Neuerungen, welche aber starke Anreize für die rechtswidrige Erwerbstätigkeit in den USA schufen, und folglich auch der illegalen Einwanderung zuträglich waren. Somit machen die Mexikaner trotz einer leich­ten Rücklaufquote seit 2007 heute noch etwa die Hälfte (52%) aller illegalen Einwanderer in den Vereinigten Staaten aus. In absoluten Zahlen gesprochen, leben und arbeiten 5,9 Millio­nen von ihnen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung in den USA.[1]

Mexiko als Transitland

Mexiko ist aber nicht nur Ausgangspunkt für Emigranten aus dem Land selbst, sondern cha­rakterisiert sich ebenso als Haupttransitland für Zentralamerika. Wer aus Guatemala, Hondu­ras oder El Savador stammt und sein Glück in den USA versuchen möchte, beginnt seine Rei­se meistens an der tausend Kilometer langen Grenze zu Mexiko. Diese zu passieren ist im Vergleich zur Nordgrenze, die an Amerika grenzt, ein Kinderspiel. Was es so einfach macht, ist, dass große Teile der Grenze in zerklüftetem oder bewaldetem Gebiet in den ärmsten Re­gionen des Landes liegen und daher bis in jüngster Vergangenheit nur sporadisch von der me­xikanischen Bundespolizei und dem Bundesministerium für Migrationsangelegenheiten gesi­chert und kontrolliert wurden. Dem Innenministerium zufolge schaffen es daher jährlich 150.000 Menschen ohne Papiere über die mexikanische-guatemaltekische Grenze. Im ersten Quartal des US-Fiskaljahres 2014 nahm der amerikanische Bundesgrenzschutz 162.751 Men­schen aus Mittelamerika ohne Einreiseerlaubnis an der Grenze zu Mexiko fest.[2]

Dass diese Entwicklung den US-Politikern zunehmend ein Dorn im Auge ist, ist kein Ge­heimnis. In der Hoffnung, das Problem in den Griff zu bekommen, erfolgten von Seiten der Vereinigten Staaten bereits erste Eingriffe in die mexikanische Migrationspolitik in Form von satten Finanzspritzen. Zugunsten einer effektiveren Grenzsicherung gingen im Rahmen der „Merida-Initiative“ um die 50 Millionen US-Dollar über den Verhandlungstisch.[3]

Seit der besagten Migrationskrise von 2014 stieg der Handlungsdruck für Mexiko noch wei­ter, mit der Konsequenz, dass die Regierung im Juni 2014 ein „Aktionsprogramm für die Süd­grenze“ (Programa de la Frontera Sur) verabschiedete.

Präsident Enrique Peña Nieto beteuerte, dass das Programm in erster Linie zum Schutz der Migranten auf der Durchreise diene. Ein näherer Blick auf die Geschehnisse und Entwicklun­gen der letzten Monate zeigt allerdings, dass der offizielle Regierungsdiskurs nicht kohärent mit der konkreten Umsetzung dieses Programms ist: Mexiko legt in der Praxis an­scheinend viel mehr Wert auf die signifikante Verstärkung des Grenzschutzes, Massendepor­tationen im Schnelldurchgang und auf stärkere Kontrollen der frequentiertesten Migrations­routen durch das Land. Medienberichten zufolge wird das mexikanische Institut für Migration bis zum Ende des Jahres 2015 173.000 Migranten aus Zentralamerika ausgewiesen haben. Das wären 60.000 deportierte Migranten mehr als die USA im selben Zeitraum verzeichnen wird.

Die Medien, Migrationsexperten und Menschenrechtsorganisationen kritisieren den harten Umgang, den die mexikanischen Behörden und Polizisten gegenüber den Zentralamerikanern an den Tag legen. Anstatt die Rechte dieser Migranten zu schützen werde vielmehr Jagd auf die undokumentierten unter ihnen gemacht und in Massen deportiert. Die aufgegriffenen Mi­granten kommen zeitweise in Auffanglagern unter, wo sie in gefängnisähnlichen Zuständen ihrer Abschiebung ausharren müssen. Dabei leiden sie zum Teil Hunger, erhalten in vielen Fällen keine angemessene medizinische Versorgung oder psychologische Erstbetreuung und sind der organisierten Kriminalität und dem korrupten Behörden- und Polizeiapparat Mexikos nach wie vor schutzlos ausgeliefert.

Ein weiterer kritischer Aspekt dieser neuen Abschiebepolitik ist der Umstand, dass die Behör­den keine Asylverfahren einleiten, die prüfen würden, ob jemand Anrecht auf Asyl oder einen temporären Aufenthalt in Mexiko hat. Damit wird das mexikanische Migrationsgesetz schlichtweg verletzt.

Mexiko ist nicht Quelle allen Übels

Dass Mexiko in seiner Rolle eines Durchgangslandes den Wanderungsstrom von Migranten in Richtung der Vereinigten Staaten eindämmen möchte, ist nachvollziehbar. Seine neuesten mi­grationspolitischen Maßnahmen mögen auch eine gewisse Abschreckungswirkung haben. Doch solange sich die Gewalt- und Armutssituation in den Herkunftsländern Zentralamerikas nicht signifikant verbessert, wird der Abwanderungsstrom nicht abreißen. Und solange der Wille oder die Not zu emigrieren besteht, werden immer auch Mittel und Wege gefunden werden, aus der Misere zu flüchten und in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu ge­langen.

Daher ist es an der Zeit, dass alle beteiligten Staaten der Region – also die USA, Mexiko und die Staaten Zentralamerikas – mit einer gemeinsamen Anstrengung versuchen sollten, das Problem an der Wurzel zu packen. Es ist ohne Zweifel eine höchst komplexe und langwierige Aufgabe, die sie sich stellen müssten. Doch es geht hier schließlich auch um viel, nämlich darum, Millionen von Menschen das Recht auf ein würdiges Leben in Freiheit, Sicherheit und Frieden zu gewähren, ganz gleich, ob sie sich in ihrem Heimatland, illegal im Ausland oder auf der Durchreise befinden.

Janina Grimm-Huber (1985) ist studierte Politikwissenschaftlerin und arbeitet nun seit vier Jahren für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Mexiko. Als Projektkoordinatorin betreut sie vor allem Pro­jekte im Bereich „Energie-, Klima- und Umweltpolitik“ und der politischen Bildung für junge Nachwuchsführungskräfte.“

[1]   Krogstad, Jens Manuel; Passel, Jeffrey S.: 5 facts about illegal immigration in the U.S., in: Pew Re­search Centre, entnommen aus: http://www.pewresearch.org/fact-tank/2015/07/24/5-facts-about-illegal-im­migration-in-the-u-s/, 30.09.2015.

[2]   Isacson, Adam: Mexico’s other Border. Security, Migration and the Humanitarian Crisis at the Line with Central America, entnommen aus: http://www.wola.org/files/mxgt/report/, am 01.10.2015.

[3]  Ibid.

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