Norbert Arnold unterstützt Verbote von organisierter Suizidbeihilfe und aktiver Sterbehilfe und fordert mehr Aufmerksamkeit für das gebrachte Gesetz zur Stärkung der Palliativmedizin.
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Norbert Arnold
Gesetzliche Regelung zur Suizidbeihilfe – Die Alternativen
Seit Anfang 2014 steht die Frage, in welcher Weise die Beihilfe zur Selbsttötung gesetzlich geregelt werden soll, auf der politischen Agenda. Vier interfraktionelle Anträge werden im Bundestag diskutiert. Sie decken ein weites Spektrum möglicher Regelungsalternativen ab – vom Verbot jeglicher Suizidbeihilfe bis zur weitgehenden Legalisierung.
Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD) u. a. haben einen Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht, der auf ein Verbot der „geschäftsmäßigen“ Suizidbeihilfe zielt. Sterbehilfeorganisationen und als Sterbehelfer aktive Einzelpersonen würden damit in Deutschland unter Strafe gestellt. Wird dagegen eine Suizidbeihilfe durch Angehörige oder andere nahestehende Menschen in einer „tragischen“ Ausnahmesituation geleistet, würde sie wie bisher straffrei bleiben.
Damit lassen die Antragsteller die grundsätzliche Straffreiheit der Suizidbeihilfe unangetastet und gewähren Freiräume für Selbstbestimmung im Sterben. Eine gesetzliche Überregulierung wird vermieden. Indem verhindert wird, dass Suizidbeihilfe zu einer „normalen Dienstleistung“ wird, gerät die palliativmedizinisch-hospizliche Versorgung stärker ins Zentrum. Eine wichtige Frage beantwortet dieser Gesetzesentwurf jedoch nicht mit der notwendigen Klarheit, nämlich die nach der ärztlichen Suizidbeihilfe: Im Einzelfall könnte ein Arzt wohl Beihilfe zur Selbsttötung leisten ohne strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Ärzten, die aufgrund ihrer fachlichen Spezialisierung (z. B. in der Onkologie) häufiger mit Suizidwünschen von Patienten konfrontiert werden, droht jedoch Strafe.
Genau bei diesem Punkt setzt der Gesetzesentwurf von Peter Hintze (CDU), Carola Reimann (SPD) u. a. an, dessen Anliegen es ist, die Situation der Ärzte eindeutig zu klären, indem im Bürgerlichen Gesetzbuch die ärztliche Suizidbeihilfe explizit erlaubt wird. In den Fällen, in denen sterbenskranke Menschen ihr Leiden nicht mehr ertragen können, etwa weil die palliativen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, sollen Ärzte die Möglichkeit haben, ihre Patienten beim Wunsch nach Selbsttötung zu helfen und zwar unter Beachtung folgender Regeln: Der Patient muss volljährig und einwilligungsfähig sein. Er leidet an einer unheilbaren und unumkehrbar zum Tode führenden Erkrankung. Sein Sterbewunsch ist ernsthaft und endgültig. Der beteiligte Arzt leistet eine mögliche Beihilfe freiwillig. Ein zweiter Arzt wird einbezogen. Und schließlich ist eine umfassende Beratung Voraussetzung. Durch diese Kriterien sollen Missbrauch und Fehlentwicklungen verhindert werden. Die Antragsteller gehen davon aus, dass durch die ausdrückliche gesetzliche Legalisierung der ärztlichen Suizidbeihilfe das Interesse an Sterbehilfeorganisationen schwindet. Es fehlt in diesem Antrag allerdings ein explizites Verbot der Sterbehilfeorganisationen.
Mit einem weiteren Gesetzesentwurf, der von Thomas Dörflinger, Patrick Sensburg (beide CDU) u. a., eingebracht wurde, wird ein grundsätzliches Verbot jeder Art von Suizidbeihilfe vorgeschlagen. Begründet wird es vor allem mit dem Hinweis auf den unbedingten Lebensschutz, der durch die mit der Suizidbeihilfe verbundenen Lebensunwerturteile in einer nicht akzeptablen Weise beeinträchtigt würde.
Am anderen Ende des Meinungsspektrums steht der Gesetzesentwurf von Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), Petra Sitte (Die Linke) u. a., die unter Einhaltung von Durchführungskriterien die Suizidbeihilfe generell legalisieren wollen, mit Ausnahme der gewerbsmäßigen (kommerziellen) Variante. Ansonsten steht nach dieser Position das Selbstbestimmungsrecht weiteren Verboten entgegen.
Für die Bundestagsabgeordnete wird es im November 2015 nicht leicht sein, eine Entscheidung zu treffen, die eine problemgerechte Lösung anbietet, ethisch legitimierbar ist und den unterschiedlichen Erwartungen der Menschen entspricht. Die Argumente sind ausgetauscht, Unsicherheit bleibt.
Was die Sterbehilfedebatte so überaus schwierig macht, sind nicht so sehr „objektive“ Gründe, sondern die „subjektiven“ Unsicherheiten der Menschen hinsichtlich ihres eigenen Sterbens: Kann mir im Sterben geholfen werden? Reicht die palliativmedizinische Hilfe aus? Oder brauche ich als letzten Ausweg nicht doch die Möglichkeit einer Beihilfe zur Selbsttötung?
Jeder kann sich darauf verlassen, dass die Palliativmedizin Leiden wirkungsvoll lindern kann. Niemand muss heute mehr einen qualvollen Tod erleiden. Ein „menschenwürdiges“ Sterben ist möglich – auch ohne Sterbehilfeorganisationen. Schmerzen und andere extrem belastende Symptome im Sterben können durch die moderne Medizin gelindert werden – und sei es durch die palliative Sedierung als letztes Mittel. Organisierte Suizidbeihilfe ist für ein menschenwürdiges Sterben nicht notwendig – sie dient allerdings vielen Menschen in ihrer Angst vor einem leidvollen Tod der Beruhigung.
Aus meiner Sicht tragen weder die organisierte Suizidbeihilfe noch die aktive Sterbehilfe zu einem guten Sterben bei – die Verbote sind angemessen. Die aktuelle gesellschaftliche Debatte über geeignete Rahmenbedingungen für ein menschenwürdiges Sterben ist wichtig, aber nicht ein Gesetz zur Suizidbeihilfe sollte eigentlich im Mittelpunkt stehen, sondern das auf den Weg gebrachte Gesetz zur Stärkung der Palliativmedizin.
Dr. Norbert Arnold (1958) studierte Biologie und Philosophie, war als Molekularbiologe in Gießen und Zürich tätig und leitet derzeit das Team Gesellschaftspolitik, HA Politik und Beratung, der Konrad-Adenauer-Stiftung. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Bioethik und Forschungspolitik.