Prof. i.R. Dr. Rainer Bucher, Bonn
I.
Anders als man auf den ersten Blick meinen möchte, steht es mit dem Papsttum seit längerem nicht besonders gut. Es zeigt sich etwa darin, dass die letzten drei Päpste eher gegen als mit der Kurie regierten.
Das hat einen guten Grund: Die neuzeitliche Organisationsidee des Papsttums ist in die Jahre gekommen. Diese Organisationsidee entwickelte sich seit der frühen Neuzeit in Gegenabhängigkeit zum Souveränitätsdenken des modernen Staates. Wie er begriff sich die katholische Kirche als souverän und aus sich heraus unabhängig, darin dem Staat ebenbürtig, durch ihr übernatürliches Gottesverhältnis ihm sogar überlegen.
Mit dieser Souveränitätsstrategie reagierte die katholische Kirche auf eine ganze Kaskade demütigender Reichweitenverluste: auf die erfolgreiche Etablierung konkurrierender christlicher Kirchen in der Reformation, auf die Entmachtung durch den modernen liberalen Staat in den bürgerlichen Revolutionen, auf das Aufkommen konkurrierender politischer Religionen im Kommunismus und in der völkischen Religiosität und schließlich auf die moderne Individualisierung des Religiösen im 20. Jahrhundert. Das Papsttum aber wurde zum Zentrum dieser Strategie.
Sie arbeitet mit Inklusion durch Exklusion, bedeutete sozialer wie heilsökonomischer Ausschluss der anderen und verdichtete die Kirche um ihr römisches Zentrum. Lange war diese Strategie ziemlich erfolgreich. Nur funktioniert sie immer weniger, vor allem, weil sich die Machtverhältnisse zwischen Individuum und religiösen Institutionen mittlerweile auch im katholischen Feld gedreht haben. Auch die katholische Kirche vergemeinschaftet sich seit einiger Zeit situativ und nicht mehr normativ.
Im gewissen Sinne hängt seither das Papsttum mit seiner neuzeitlichen Souveränitätsformatierung in der Luft und man kann die medial globalisierte Charismatik Johannes Pauls‘ II und den Gelehrtenhabitus Benedikts‘ XVI als Versuche verstehen, genau damit auf eine sehr persönliche, also gerade nicht amtliche Weise umzugehen. Und auch Papst Franziskus versuchte, die Kirche nicht auf der Basis der nach-tridentinischen Ekklesiologie, also des Prinzips von Über- und Unterordnung, zu regieren, sondern auf der Basis der Inhalte des Glaubens als praktischer Wahrheiten. Das machte Franziskus persönlich so überzeugend, institutionell aber blieb sein Pontifikat ziemlich folgenlos und die Kurie ihm fremd: Der „Synodale Prozess“ war bestenfalls ein kommunikativer Anfang und die Kurienreform blieb halbherzig.
II.
Der Papst ist der zentrale weltpolitische Player des Christentums. Die globalen religions-politischen Entwicklungen betreffen ihn unmittelbar. Drei zeichnen sich ab.
Zum einen ist da das prekäre Spannungsfeld zwischen einem universalistisch-inklusivistischen und einem exklusivistischem Selbstverständnis von Religion. Sind „die anderen“ die Verdammten oder die (auch) von Gott Geliebten? Wirken die Wahrheiten des Glaubens integrierend oder konfliktverschärfend? In praktisch allen Weltreligionen, auch im Christentum, entwickeln sich einerseits verstärkt exklusivistische, identitätsfixierte Gruppierungen, andererseits universalistisch-inklusivistische Interpretationen. Sie sind letztlich unvereinbar.
Zweitens zeigen sich in allen Religionen und in allen Weltgegenden massive Kulturkämpfe im Feld der „gender troubles“. Sie drohen nicht nur diese Religionen, sondern ganze Weltgegenden zu zerreißen. Alle großen Weltreligionen sind bekanntlich sowohl in ihren Symbolsystemen wie in ihrer sozialen Realität patriarchal strukturiert und geprägt. Die liberalen Gesellschaften begreifen aber seit kurzem die Gleichstellung der Geschlechter als normativ und viele Christinnen und Christen diese Gleichstellung gar als Konsequenz ihres Glaubens. Die Konflikte sind hier Legion.
Drittens aber: Religionen sind fundamental durch die Medien geprägt, mit und in denen sie arbeiten, organisieren sie doch nicht-triviale Kommunikation. Die Schrift etwa veränderte die religiöse Landschaft grundlegend, ihre Fähigkeit, kommunikativ die Todesgrenze zu überwinden, schuf die heutigen Weltreligionen, die monotheistischen begreifen sich sogar explizit nach ihrem zentralen Medium als Buchreligionen.
Aber wir leben nicht mehr auf der Guttenberg-Galaxie des geschriebenen und gedruckten Wortes, zumindest nicht mehr nur. Wir haben elektronische Medien, die nicht nur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft noch stärker ineinanderschieben, sondern als radikale Distanzvernichtungsmedien den Raum, zumindest den irdischen, nihilieren und globale Gleichzeitigkeit herstellen. Das führt nicht nur zur lokalen Entbettung des sozialen Lebens, sondern auch zur tendenziellen Entbettung des Religiösen aus seiner regionalen kulturellen Selbstverständlichkeit, ja überhaupt aus seiner regionalen Verortung.
Denkt man dies weiter, dann spricht einiges dafür, dass diese grundlegende mediale Konstitutionsveränderung von Religion auch zu grundlegenden materialen Entwicklungen auf dem Feld des Religiösen führen wird – das dann vielleicht gar nicht mehr so heißt. Es werden also nicht nur, wie schon gegenwärtig, die alten Buch-Religionen unter neue mediale und kapitalistische Nutzungsmuster geraten[1], sondern wahrscheinlich (KI-getriebene) Tech-Religionen emergieren, von denen wir heute noch gar keine Vorstellung haben.
III.
Ein zukünftiger Papst steht vor Herausforderungen, die größer nicht sein könnten. Er muss einer exklusivistisch identitären Interpretation des Christentums, wie sie global immer weiter um sich greift, wehren und weltweit für Menschenrechte und überhaupt für jene stehen, die im Spiel der Mächte unterzugehen drohen. Hier könnte er ein wirklicher Nachfolger von Papst Franziskus sein und wie er die Inhalte des Glaubens als praktische Wahrheiten begreifen.
Er müsste zudem die innerkatholische Geschlechterasymmetrie beenden, denn sie ist eine Quelle von Selbstwidersprüchlichkeiten geworden, die Glaubwürdigkeit unterminieren.
Er wird zudem realisieren müssen, dass Religionen im entwickelten KI- und Medienzeitalter dekonstruiert, also neu arrangiert und konstelliert werden – wohin immer das auch führt.
Und er muss das Papsttum, seine Kurie und überhaupt die Regierungsstruktur der Kirche organisatorisch und konzeptionell ins 21. Jahrhundert bringen, mit geregelten Partizipationsmöglichkeiten, gesicherten Grundrechten und gerechter Teilhabe aller. Anders wird eine globalisierte und pluralisierte Weltkirche nicht zu regieren sein.
Darum ist niemand zu beneiden. Ein zukünftiger Papst braucht wirklich Mut und Inspiration. Und wohl auch unsere Gebete.
[1] Vgl. dazu: Rainer Bucher, Christentum im Kapitalismus, 2. Aufl. Würzburg 2020. Siehe auch: https://kreuz-und-quer.de/2021/08/30/christentum-im-kapitalismus/

Prof .i.R. Dr. theol. Rainer Bucher war von 1991-1999 Referent bei der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk und von 2000-2022 Professor für Pastoraltheologie an der Universität Graz. Neuere Veröffentlichungen: Kirche im Kapitalismus, 2. Aufl. Würzburg 2020; Es ist nicht gleichgültig, an welchen Gott man glaubt, Würzburg 2022.
Homepage:
http://www.rainer-bucher.de
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