Prof. Dr. Ulrike Kostka
Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für alle wird gerade wieder mal intensiv diskutiert. Es gibt dazu zahlreiche Veranstaltungen und Positionen. Gleichzeitig werden im Entwurf für den neuen Bundeshaushalt die Mittel für Freiwilligendienste drastisch gekürzt. Das ist ein fatales Signal für alle Freiwilligen, die Träger, Einsatzorte und letztendlich für die ganze Gesellschaft. Auf der einen Seite sollen möglicher Weise alle verpflichtet werden, auf der anderen Seite wird die bewährte Struktur der Freiwilligendienste an vielen Orten zerschlagen. Was ist hier das politische Signal? Freiwilligendienste werden zum Sparmodell der Koalition und auf der anderen Seite debattiert man über ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr.
Das ist kontraproduktiv und ist letztendlich auch eine Infragestellung von zivilgesellschaftlichem Engagement. Denn die Freiwilligen sind ein großer Schatz unserer Gesellschaft, sie leisten wichtige Dienste im Bereich des Sozialen, der Kultur und der Ökologie oder im Freiwilligendienst im Ausland. Davon brauchen wir nicht weniger, sondern mehr! Mit den drastischen Kürzungen wird das Signal gesendet, ihr seid nicht so wichtig. Das können auch keine Ehrenamtsfeste oder Besuche von Politiker*innen an Einsatzorten ausgleichen. Freiwillige machen wichtige Erfahrungen, tragen zum Gelingen von gesellschaftlichen Miteinander bei und kommen in Kontakt mit verschiedensten Berufen im Sozialen und im Gesundheitswesen. Es ist ein Beitrag für mehr Demokratie und Solidarität.
Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr wäre staatlich vorgeschrieben und ist kein Freiwilligendienst. Das ist etwas anderes. Sicherlich kann man darüber diskutieren. Aber Freiwilligendienste zu diesem Zeitpunkt zu gefährden ist die völlig falsche Richtung. Denn wir brauchen mehr Zivilgesellschaft, mehr Einsatz für Demokratie und mehr Begegnung mit dem Sozialen. Freiwilligendienste brauchen das Gegenteil einer solchen Politik. Sie brauchen eine bessere Förderung, mehr Unterstützung für Wohnraum für Freiwillige und intensivere Begleitung. Freiwilligendienste müssen für jeden möglich sein und nicht vom Geldbeutel abhängen.
Deshalb fordern wir als Caritas, dass die Kürzungen zurückgenommen werden und Freiwilligendienste besser unterstützt werden. Insgesamt brauchen wir mehr Mittel für Ehrenamtskoordination und freiwilliges Engagement in unserer Gesellschaft und nicht weniger. Wir erleben zur Zeit, dass in vielen sozialen Arbeitsfeldern – insbesondere im Bereich der Freiwilligen, im Flüchtlings- und Migrationsbereich gekürzt wird. Und gleichzeitig besteht die Erwartung, dass alle bei der nächsten Krise wieder bereit stehen. Das funktioniert so nicht. Wer Strukturen wie etwa bei den Freiwilligendiensten oder im Flüchtlingsbereich kaputt macht, handelt sozialpolitisch unlogisch und nicht nachhaltig. Und die Bereitschaft und Möglichkeit der Wohlfahrtsverbände, der Träger, Fachkräfte und Freiwilligen immer wieder einspringen, wenn die Politik ruft, nimmt ab. Wir brauchen angesichts der wachsenden gesellschaftlichen Herausforderungen und Krisen nicht weniger Zivilgesellschaft, sondern mehr! Investitionen in die Zivilgesellschaft sind Investitionen in die Tragfähigkeit und Belastungsfähigkeit unserer Gesellschaft!
Prof. Dr. Ulrike Kostka, Diözesancaritasdirektorin Erzbistum Berlin und außerordentliche Professorin für Moraltheologie/Universität Münster.