Militärbischof Dr. Bernhard Felmberg
Im Berliner Olympia-Stadion haben wir eine schöne Kapelle. Wenn wir sie Gästen zeigen, kommt schon mal die Frage: „Wird hier für den Sieg von Hertha BSC gebetet?“ Natürlich nicht, kommt die spontane Antwort. Wir beten in den Andachten vor den Heimspielen für faire Spiele, Bewahrung vor Verletzungen und Unfällen, für fröhliche Fußballfeste. Obwohl …
Ganz ausschließen will ich nicht, dass der eine oder andere Fan sich so sehr mit seiner Mannschaft identifiziert, dass er gern Gott zum Bundesgenossen hätte. Aber mit ein bisschen Nachdenken kommen wir darauf, dass Gott schon deshalb nicht parteiisch sein kann, weil er von beiden Seiten angerufen wird. Er trägt weder das Trikot der einen noch die Hosen der anderen Mannschaft. Gott hat viele Kinder: Viele Fußballprofis sind fromme Menschen.
Zurzeit aber bewegen mich ganz andere, viel ernstere Fragen – leider: „Beten Sie für einen Sieg der Ukraine?“, hat mich neulich jemand gefragt. Darauf war ich noch nicht gekommen; aber die Frage bewegt mich seitdem: Darf man das? Dürfen Christen Partei ergreifen in diesem Krieg? Dürfen wir glauben, dass Gott Partei ergreift? Denn das ist für mich klar: Wenn ich als Christ Partei ergreifen darf (oder muss!), dann darf ich auch für sie beten. Ich bitte Gott um Frieden für die Ukraine. Um einen Frieden, der nicht mit Unfreiheit, Tyrannei oder Unterwerfung unter das Unrecht erkauft werden muss. Solchen Frieden wünsche ich auch den Menschen in Russland und überall auf der Welt. Aber ich gebe zu: Ich bin parteiisch. Ich bin überzeugt, dass dieser Krieg Unrecht ist und dass Menschen ihr Recht und ihre Freiheit verteidigen dürfen.
In den Kirchen hat eine Diskussion begonnen, ob die evangelische Friedensethik jetzt „nachgeschärft“ werden müsse. Die meisten erkennen inzwischen, wie naiv es war, lange Jahrzehnte selbstverständlich davon auszugehen, dass Europa von Freunden umzingelt ist und dass uns kein Krieg mehr drohen kann. Für so eine Möglichkeit schienen vielen auch die wirtschaftlichen Verbindungen zu eng. Jetzt wird sichtbar, dass alle Verbindungen die Katastrophe nicht verhindern konnten und manche gegenseitigen Abhängigkeiten das Problem sogar noch verschärfen. Das Vertrauen, dass niemand die Absicht hat, Gewalt anzuwenden und dass Menschen und Staaten ihre Probleme ausschließlich zivil lösen, ist verflogen.
In einer steilen Lernkurve haben Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen sich der neuen Situation gestellt. Dabei wurde schnell deutlich: Die Grundaussagen evangelischer Friedensethik sind nach wie vor einleuchtend. Das Konzept des gerechten Friedens mit seinen vier Dimensionen (Vermeidung von Gewaltanwendung, Förderung von Freiheit und kultureller Vielfalt sowie Abbau von Not) und die Haltung zur rechtserhaltenden Gewalt als ultima ratio, wie sie zum Beispiel in der Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche von 2007 formuliert sind, tragen noch. Was nicht mehr trägt, ist die selektive Wahrnehmung unserer friedensethischen Debatten der vergangenen Jahre. Da wurde der Wunsch für die Wirklichkeit genommen und Unbequemes allzu oft ausgeblendet. Da wurde Frieden ausgerufen, wo keiner war. Aus „Vorrang für Zivil“ wurde „Nur Zivil“. Plötzlich müssen wir aber über Waffen reden – und tun uns entsprechend schwer damit.
Als Seelsorger haben wir nicht die Aufgabe, Ratschläge zu Luftabwehr, Verteidigungsetat oder Munitionsbevorratung zu geben. Das können andere besser und ich wünsche mir von den Verantwortlichen Augenmaß und Entschlossenheit, dass sie alles tun, was zur Wiederherstellung von Frieden und Recht beiträgt und uns allen dauerhaft Sicherheit garantiert. Das kann nur in enger Abstimmung mit unseren Bündnispartnern geschehen.
Als Seelsorger haben wir aber die Aufgabe, denen beizustehen, die bereit sind, den Dienst der Verteidigung für uns alle zu übernehmen. Als Militärgeistliche bitten wir um Gottes Segen, um Trost und Begleitung für die Menschen, die uns anvertraut sind. Wir können nicht versprechen, dass die Bundeswehr nie am „scharfen Ende des Berufes“ ankommt, wir haben auch keine magischen Rituale oder Amulette im Angebot, die vor allem Bösen schützen. Aber wir wissen um einen Gott, der sieht und hört, der mitgeht und mitfühlt. Einen Gott, der parteiisch ist für die Opfer. Ihn bitten wir um Frieden, um echten Frieden. Für die Menschen in der Ukraine und in Russland – und für uns alle.
Dr. Bernhard Felmberg verantwortet als Militärbischof die Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr mit 112 Pfarrerinnen und Pfarrern. (Das Bild im Hintergrund zeigt die erwähnte Kapelle.)
Der Glaube, dass Gott parteiisch sei, eint alle Parteien dieser Welt.
Als Christ kann ich parteisch sein. Zu behaupten, dass Gott parteiisch sei, ist aus meiner Sicht Blasphemie. Wer will als Mensch wirklich wissen, was Gott wirklich ist. Es gibt glücklicherweise Dinge, die sich dem Bewusstsein des Menschen entziehen. Nicht umsonst sprechen die Juden den Namen Gottes nie aus, weil es sich um eine Kraft oder einer Macht handelt, die wir als Menschen nicht einordnen können. Ich möchte hinzufügen: Gott sei dank!