INTEGRATIONSKURSE NEU GESTALTEN

Christina Albrecht-Eisel fordert eine Reform der staatlich finanzierten Integrationskurse, um die Integration von Geflüchteten effizienter zu unterstützen.

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Christina Albrecht-Eisel
Integrationskurse neu gestalten

Seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 sind nun bald 5 Jahre vergangen. Die Bilanz der Integration ist dabei auf den ersten Blick durchaus positiv: Über 300 000 Geflüchtete – gegenwärtig 35% – haben bereits den Zugang zum Arbeitsmarkt gefunden. 38.000 Flücht­linge machen derzeit eine Ausbildung.

Auf den zweiten Blick beinhaltet diese Erfolgsgeschichte aber zwei problematische Aspekte: Zum einen handelt es sich bei diesen Beschäftigungsverhältnissen oft lediglich um Anlerntätigkeiten bzw. Hilfsarbeiten oder Minijobs. Ferner ist der Anteil der Migranten, die über den Beginn einer Berufs­ausbildung hinaus die Chance auf eine berufliche Qualifizierung haben, vergleichsweise gering.

Dies erscheint angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland und der ernsthaften Suche insbesondere der jungen Geflüchteten nach beruflicher Qualifikation zunächst geradezu widersinnig. Dies gilt um umso mehr, wenn man bedenkt, dass der Großteil der Geflüchteten in ihren Heimatländern bereits in Handwerksberufen gearbeitet hat bzw. über mehrjährige berufliche Erfahrung verfügt.

Wo liegen die Gründe für diese Entwicklung und wie wäre Abhilfe zu schaffen? Dazu hilft ein Blick auf die Situation der durch das „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ (BAMF) getragenen Deutschkurse, deren Besuch für Migranten und Geflüchtete verpflichtend ist, insbesondere auf die allgemeinen Integrationskurse bzw. die Integrationskurse mit Alphabetisierung (sog. Alphakurse).

Der Anteil der Migranten und Geflüchteten, die an den im Jahr 2018 vom Bund mit rund 765 Millionen Euro geförderten Deutschkursen teilnahmen und bei der Abschlussprüfung DTZ A2/B1 (Deutschtest für Zuwanderer) das für die Aufnahme eines qualifizierten Arbeitsverhältnisses erforderliche sprachliche Mindestniveau B1 erreichten, liegt laut BAMF-Geschäftsstatistik 2018 insgesamt bei lediglich 52%. Davon entfallen auf die allgemeinen Integrationskurse mit 600 Unterrichtsstunden plus ggf. 300 sog. Wiederholerstunden 61,8 % der Teilnehmer.

In den Alphakursen mit vorgeschalteten 300 Stunden für die Alphabetisierung der Teilnehmer beträgt die B1-Quote sogar nur 16,3 %. Dies ist besonders problematisch, weil mittlerweile 22% aller neuen Kursteilnehmer Alphakurse besuchen; rund 40 % dieser Teilnehmer erreichen noch nicht einmal das Minimalniveau A2; diese Flüchtlinge sind dann auch für einfachste Jobs nur schwer ver­mittelbar.

Für den mangelnden Lernerfolg der Absolventen der BAMF-Sprachkurse sind neben Faktoren, die in der Person der Teilnehmer selbst begründet sind (wie zum Beispiel mangelnde Lernmotivation) auch strukturelle, inhaltliche und organisatorische Defizite verantwortlich.

Die vom BAMF zugelassene Gruppengröße von bis zu 25 Teilnehmern in den allgemeinen Integrations­kursen ist wesentlich zu hoch. Sie führt dazu, dass die Bildungsträger dahin tendieren, ihre Integrations­kurse aus ökonomischen Gründen maximal mit Teilnehmern füllen, denn sie erhalten für jeden Teilneh­mer einen Pauschalbetrag vom BAMF: Je höher die Teilnehmerzahl, desto besser rechnet es sich für sie.

Die Überfrachtung der Kurse mit Teilnehmern aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen mit oftmals völlig unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Teilnehmer macht es aber im Unterricht nahezu un­möglich, auf deren vielfältige grammatische und phonetische Probleme beim Spracherwerb im Deut­schen gezielt einzugehen. Die schwächeren Teilnehmer fallen dadurch zwangsläufig durchs Netz.

Problematisch ist auch die oft mangelhafte Qualifikation der Lehrkräfte. Deren Qualifizierung durch das BAMF umfasst nur wenige Wochen und schließt ohne Kontrolle der Lehrbefähigung etwa in Form einer Lehrprobe ab. Die Fortbildungen sind unprofessionell und inhaltlich wenig an der konkreten Situation der Integrationskurse ausgerichtet: So wird dort beispielsweise eine Sandkiste im Kursraum zum spiele­rischen Nachmalen von Buchstaben oder das gemeinsame Suppe-Kochen unter Verwendung von Buch­stabennudeln empfohlen. Würde man dies umsetzen, würde es die massive Ablehnung der Teilnehmer provozieren, weil sie sich infantilisiert fühlen. Schon Bastelspiele in Gruppenarbeit mit Klebstoff und Schere zum Erlernen von Wortfeldern werden von den Teilnehmern oftmals mit der Bitte abgelehnt, kei­ne „Kindergartenatmosphäre“ zu schaffen. Außerdem lassen straffes Kursprogramm und enger Zeitrah­men der Kurse hinsichtlich der DTZ-Prüfung ohnehin keine Zeit für Spielchen wie das sich gegenseitige Bekleben mit Zahlen zum Erlernen der Grundrechenarten.

Didaktische Hinweise zur Vermittlung von Kultur und interreligiösem Leben in Deutschland werden den Lehrkräften in den Qualifizierungsseminaren nicht gegeben. Zwar wird ihnen im Rahmen interkulturel­ler Kompetenz geraten, sich über muslimische Feiertage zu informieren. Didaktische Hinweise zur Er­klärung deutscher Feiertagen und Gebräuchen, deren Kenntnis im mündlichen Teil der Sprachprüfung DTZ von den Teilnehmern der Sprachkurse aber verlangt wird, werden aber nicht gege­ben.

Die genannten Defizite der Integrationskurse haben gravierende Folgen: Der Anteil derjenigen Absol­venten, die allen Mängeln der Kurse zum Trotz die DTZ-Prüfung mit dem Niveau B1 abschließen und dann das Niveau B2 in Angriff nehmen, ist gering. Das Niveau B2 ist aber die Voraussetzung für die Aufnahme einer Ausbildung. Anderenfalls ist ein Scheitern in der Berufsschule vorprogrammiert.

Viele Arbeitgeber greifen mittlerweile bei der Suche nach Auszubildenden zur Selbsthilfe: Das Vorlie­gen eines DTZ-Zertifikats spielt für sie keine  Rolle mehr. Die Bewerber werden vielmehr hinsichtlich ihrer tatsächlichen Sprachkompetenz unmittelbar im Bewerbungsgespräch selbst bewertet. In größeren Firmen organisiert der Arbeitgeber ggf. selbst  einen effektiven  berufsbezogenen Deutschunterricht. Fehlende Lernmotivation wird sanktioniert. Sie führt unweigerlich letztlich zur Kündigung.

In den BAMF-Integrationskursen werden hingegen die im Zusammenwirken mit den Jobcentern vorge­sehenen Sanktionsmöglichkeiten so gut wie nie eingesetzt. Die Teilnehmer unterschreiben zwar einen sog. Integrationsvertrag, in dem sie sich zur einer regelgerechten Mitarbeit im Kurs verpflichten. Wirk­same Sanktionen bei mangelnder Mitarbeit im Kurs etwa in Form zeitlich befristeter Kürzungen von So­zialleistungen erfolgen aber fast nie. Erfolgen derartige Sanktionen seitens des Jobcenter gegen einen lernunwilligen Teilnehmer doch einmal, so wirkt sich dieser „Warnschuss“ sehr positiv auch auf den Kurs insgesamt aus: Die Arbeitshaltung aller Teilnehmer verbessert sich schlagartig.

Eine solche frühzeitige Sanktionierung bei mangelndem Leistungswillen läge sehr im Interesse der Be­troffenen, denn bei vielen wäre dann ein Erreichen des Kursziels DTZ-B1 noch möglich. Die sich an­dernfalls verbreitende Grundhaltung, mangelnde eigene Lernbereitschaft bleibe folgenlos, hat gravierende Folgen: Erlangen Teilnehmer nach Ausschöpfung ihres Stundenkontingents nur das DTZ-Zertifikat A2, verlieren sie nicht nur ihre Chancen auf einen qualifizierten Job. Sie müssen die fehlenden Sprachkenntnisse dann buchstäblich teuer bezahlen.

Sie erhalten nämlich nach der DTZ-Prüfung einen Brief ihres Trägers, in dem dieser ihnen zu ihrem „Erfolg“ A2, gratuliert und gleichzeitig ankündigt, sie könnten – falls gewünscht – weitere Deutschkurse zur Erreichung des Niveaus B1 besuchen – allerdings nun auf eigene Kosten bei 340 Euro pro Kurs! Erst jetzt und damit viel zu spät realisieren die Betroffenen, dass sie nun von der finanziellen Förderung durch das BAMF ausgeschlossen sind. Vom BAMF bzw. den Jobcentern finanzierte B2-Sprachkurse stehen nämlich nur den B1-Absolventen offen. Die inzwischen Abgehängten bleiben chan­cenlos.

Auch die sprachliche Förderung in den Alphabetisierungskursen ist defizitär. Ein gravierendes Problem stellen hier die sog. Einstufungstests dar. Sie werden vom BAMF finanziert und von den Trägern durch­geführt. Dieses Verfahren soll sicherstellen, dass die Teilnehmer in einem für sie geeigneten Kurs unter­gebracht werden. Diese Einstufung ist aber oft sachlich ungerechtfertigt und berücksichtigt die vorhan­denen Bildungsvoraussetzungen nicht.

So wird meist lediglich überprüft, ob ein Teilnehmer das lateinische Alphabet beherrscht, nicht aber, ob er in seiner Muttersprache – etwa im arabischen Alphabet – vollständig alphabetisiert ist und eventuell über eine gute Schulbildung oder sogar über ein Studium verfügt. Solche Teilnehmer müssten in Kursen für Zweitschrifterwerber untergebracht werden, keinesfalls aber in einem Alphabetisierungskurs. Die Al­phakurse würden durch diese Differenzierung der Teilnehmer entlastet. Es wäre dann möglich, sich dort der effektiven Förderung illiterater Teilnehmer zu widmen. Gegenwärtig ist die Belegschaft der Alpha­kurse meist so inhomogen, dass dem dann sehr unterschiedlichen Bildungsstand der Teilnehmer unmög­lich gerecht zu werden ist.

Im jetzigen System sitzt der lediglich auf das lateinische Alphabet zu transkribierende Ingenieur z. B. aus Syrien neben einem Teilnehmer aus einem anderen Kulturkreis, der in seinem Heimatland nie eine Schule besuchen konnte! Das für ihn beruflich so wichtige B1-Niveau wird dieser falsch eingestufte leis­tungsstarke Teilnehmer in dem für ihn ungeeigneten Alphakurs aber per se nicht erreichen  können: Für Alphakurse ist vom BAMF als allgemeines Kursziel lediglich das Niveau A2 vorgesehen, das hinsicht­lich der erworbenen Deutschkenntnisse bestenfalls die Aufnahme einer Tätigkeit als Reinigungskraft oder Küchenhilfe zulässt.

Wehren kann sich ein leistungsstarker Teilnehmer gegen seine falsche Einstufung zumeist nicht, denn viele Träger sind aus ökonomischen Gründen daran interessiert, die Teilnehmer in den zweijährigen Al­phakursen zu halten. Unser irakischer Ingenieur bleibt also wahrscheinlich alle 12 Module in seinem Al­phakurs „gefangen“. Sowohl das Niveau B1 als auch die davon abhängige anschließende berufsvorberei­tende  B2-Förderung durch die Jobcenter und das BAMF ihm so so verwehrt: Doppelt Pech gehabt…

Das Niveau B1 ist in Alphakursen seitens des BAMF als generelles Kursziel realistischerweise erst gar nicht vorgesehen. Es wäre mit den lediglich vorgesehenen 1200 Stunden ohnehin nicht möglich. Das sind nur 300 Stunden mehr als für reguläre Integrationskurse mit 900 Stunden. Als Analphabet aber in nur 300 Stunden (3 Module à 100 Stunden a 8 jeweils Wochen) , – noch dazu nicht in der eigenen Muttersprache – so lesen und schreiben zu lernen, dass man dem Curriculum B1 folgen kann, ist nahezu unmöglich. Für Alphakurse müsste der Stundenumfang also deutlich erhöht werden, um das Kursziel B1 erreichbar zu machen. Bislang fließen aber nur 10% aller Fördermittel für Geflüchtete in die sprachliche Förderung. Dieser für die Integration so wichtige Anteil müsste also deutlich erhöht wer­den. Dies ist insbesondere deswegen wichtig, weil den Menschen, die das Niveau B1 nicht erreichen, auch der Abschluss der gesellschaftlichen Integration in Deutschland durch den zukünfti­gen Erwerb eines deutschen Passes verwehrt bleibt. Eine unabdingbare Voraussetzung für eine Nieder­lassungserlaubnis bzw. die deutsche Staatsbürgerschaft ist nämlich der Nachweis von Sprachkenntnissen auf dem Niveau B1. So bleibt dieser Personengruppe eine langfristige politische Teil­habe in ihrer neuen Heimat Deutschland dauerhaft verwehrt. Dies ist nicht vereinbar mit den Prinzipien unserer Demokratie.

Christina Albrecht-Eisel (1958) ist freiberufliche Diplom-Übersetzerin für Türkisch und Indonesisch und seit vielen Jahren als Lehrerin mit den einschlägigen Qualifikationen in Sprach- und Integrations­kursen tätig. Außerdem gibt sie seit fast dreißig Jahren im Auftrag des Auswärtigen Amtes deutschen Diplomaten Türkisch-Unterricht.

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