PAZIFIST: JA – OPFERLAMM: NEIN

Rupert Neudeck plädiert für gezielte, schnelle und zeitlich begrenzte Waffenlieferungen an die kurdische Peschmerga, um den Massenmord im Nordirak zu stoppen.

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Rupert Neudeck

Pazifist: JA, Opferlamm: Nein!

Zu der Frage der Waffen für die Kurden im Nord-Irak

Man kann Menschen, die einem Massenmord, einer Vertreibung oder einem Völkermord ausgesetzt sind, nur vor Ort schützen oder denen, die schützen, Waffen geben, gezielt, schnell und auf Zeit.

Man kann sich auch eine andere Alternative vorstellen, wie sie in Bosnien war: Entweder man schützt die Bosnier am Ort oder man nimmt sie alle oder einen großen Teil bei uns auf.

Unsere deutsche Debatte ist so wahnsinnig grundsätzlich. Mancher sieht eine historische Entschei­dung, da­bei agierten unsere Regierungsagenturen auf eine bürokratische Art, dass einem der Hut hochgeht. Da ist eine der bisher mächtigsten Verbrecherbanden der Welt, die schon zwei Staaten angeknabbert hat und jetzt auch noch Massenvertreibung, Massenkonversion und Massenmord or­ganisiert; und wir betreiben immer noch Faktenanalyse.

Das ist kein Moment für Ideologen. Auch ein Pazifist kann ein Ideologe sein, wenn er für die Rein­heit seiner Überzeugung und dafür, dass sein Hemd hell und weiß bleibt, zehn- bis hunderttausende Men­schen in den Mord gehen läßt. Right or wrong, my philosophy. Ganz egal. Den Pazifismus mit einer Weltpolizei und einer unter dem Kommando des UN-Generalsekretärs der UN stehenden Weltpolizei ha­ben wir ja noch nicht. Und wir können die Pazifistische Weltära nicht damit einläu­ten, dass wir den Kur­den in dieser unüberbietbar kla­ren Lage keine Waffen geben.

Risiko? Ja, natürlich ist das mit Risiken verbunden, wo leben denn die Frager oder MdBs, die Entscheidun­gen ohne Risiken haben wollen. Es gibt keine Welt ohne Risiken. Natürlich gibt es das Risik­o, dass die Kur­dische Selbstverwaltung in Erbil sich daran macht und nach Ende dieses Kapitels ISIS mit denselben Waffen die eigene Souveränität erkämpft. Es gibt doch keine Entscheidung ohne das. Und in der Abwägung der Werte müssen uns die armen Habenichtse in der nordirakischen Wüste, ganz gleich ob es verfolgte Muslime, Christen, Druisen, Jeziden sind, wert sein, dass wir für sie, die nur auf Risiko überleben, ein Risiko eingehen.

Es geht nicht um deutsche, sondern um europäische Waffen für die tatkräftigen Peschmerga, de­nen ich das vor über zwanzig Jahren noch nicht zugetraut hätte, dass sie unter einem Kommando so verant­wortlich sich schlagen für die Gruppen, die in Not sind. Aber ande­re Länder in Europa brauchen nicht so lange für die Faktenanalyse.

Ich bin in Sarajevo dafür gewesen, den Bewohnern der europäischen Stadt nicht meine Pazifismus-Reinheit aufzubürden, sondern sie von den militärischen Mördern auf den Igman und anderen Bergen um Sarajevo herum zu befreien. Das ging in der Welt der Jahre 1993-1995 nur mit Waffen. Jetzt brauchen wir nicht ein­mal mehr Soldaten, sondern nur noch Waf­fen.

Wir haben übrigens in den Medien die Serbische Soldateska nicht jeden Abend in den TV-Nach­richten vor­gestellt bekommen als die „radikal christlichen“ Serben von Milosevic und des Patriar­chen Gnaden. Wir nennen aber die ISIS-Kämpfer wie die Hamas wie die Hizbollah „radikal isla­misch“. Das ist total verkehrt. Das ist eine Verbrecherbande, die keinen Anspruch hat auf diesen großen schönen Titel „radi­kal islamisch“. Der Bi­schof von Mauretanien, der Deutsche Martin Happe, schrieb mir, dass der höchste Rat der Ulema in Maure­tanien nach der Entscheidung der Verbrecher von ISIS, die Christen und Jeziden zur kollektiven Konversion zu zwingen, eine Sonder­sitzung einberufen habe und diese Ge­walttat auf das schärfste mißbilligt hat.

Pazifist: JA, Opferlamm: NEIN – das sollte die Devise für viele von uns sein bei der Frage, ob man den Kur­den jetzt Waffen geben sollte. Nur: Wenn man es tun will, muss man es bald tun. Das Man­tra der Aussage, dass es da genug Waffen gebe, ist falsch. Sowohl in Syrien wie im Nordirak haben die, die ge­gen die Verbre­cher kämpfen, manchmal nicht mal die nötige Munition. Ich habe vor vier Wochen in Reyh­anli einen Kom­mandeur der FSA gesprochen, der gegen die ISIS im syrischen Rakka gekämpft hat, bis ihnen die Munition ausging. Dann ist er schnell nach Reyhanli/Türkei ge­kommen, in dem Glauben, die „Freunde Syriens“ wür­den ihn von den gemäßigten Rebellen in Syri­en mit Munition un­terstützen, aber er bekam sie nicht.

Diese Entscheidung für Waffen ist keine, die uns glücklich oder zufrieden macht. Eigentlich sollten wir eine UNO haben, die so stark und von uns gestärkt ist, dass der Weltsicherheitsrat sofort eine Resoluti­on macht und diese Menschen mit den Mitteln der Völkergemeinschaft schützt. Da es diese UNO als Funda­ment für meinen Pazifismus noch nicht gibt, müssen wir auf Risiko entscheiden. Und wenn wir schon nicht das Evan­gelium für uns verpflichtend sehen, dann vielleicht Immanuel Kant: Wir Men­schen sind aus krummem Hol­ze geschnitzt. Menschen, die zwischen Jerusalem und Jericho, zwischen Mossul und Dohuk, zwischen Zacho und Kirkuk auf der Flucht sind, müssen un­terstützt und sie müs­sen geschützt werden.

Mir fällt der Papst Franziskus zu dem Risiko ein: Papst Franziskus hat bei den Weltjugendtagen in Brasil­ien gesagt, in Aufforderung an die Christen, auf die Straße zu gehen: Es könne sein, dass dann ei­nem auf der Straße ein Unfall passiert. „Aber ich ziehe eine Kirche mit Unfallrisiko tausendmal einer kran­ken Kirche vor“. Und wir müssen uns auch schämen, denen jetzt nicht mit dem, was wir können, zu Hilfe zu kommen, die in extremer Existenznot sind.

Rupert Neudeck (1939) ist Journalist, Gründer des Cap Anamur / Deutsche Not-Ärzte e.V. und des Friedenskorps Grünhelme e.V.

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