Dr. Ulrich Ruh
Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) ist kein kollektives Leitungs- und Entscheidungsorgan der katholischen Kirche in der Bundesrepublik, genauso wenig wie der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für die deutschen Protestanten. Dennoch sorgen Frühjahrs- oder Herbstvollversammlungen der Bischofskonferenz in der Regel für öffentliches Interesse, zumal in kirchlich und politisch-gesellschaftlich bewegten Zeiten. Die jüngste DBK-Vollversammlung, die Ende Februar in Augsburg tagte, positionierte sich gleich in zwei derzeit heftig ethisch und politisch umstrittenen Fragen: Sie verabschiedete eine Erklärung unter dem Titel „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“ sowie ein umfangreiches Friedenswort („Friede diesem Haus“), das sich mit der christlichen Friedensbotschaft unter den gegenwärtigen Bedingungen befasst.
Die Zeiten sind längst vorbei, in denen die deutschen Bischöfe ihren Gläubigen mehr oder weniger deutlich die Wahlentscheidung für die C-Parteien empfahlen. Jetzt statuieren sie, rechtsextreme Parteien und solche, die „am Rande dieser Ideologie wuchern“, könnten für Christinnen und Christen kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und seien auch nicht wählbar, wobei die „Alternative für Deutschland“ (AfD) ausdrücklich beim Namen genannt wird. Die Bischöfe weichen damit vom Grundsatz der parteipolitischen Neutralität ab, der sich in den letzten Jahrzehnten in der politischen Kultur der Bundesrepublik für die amtlichen Repräsentanten der katholischen Kirche eingebürgert hat.
Die klare Absage an einen „völkischen Nationalismus“ von Seiten der Bischöfe ist nicht nur aller Ehren wert, sondern drängt sich vom christlichen Grundgedanken der universellen Solidarität auch unausweichlich auf, genauso wie das im Glauben begründete Bekenntnis zur Menschenwürde als „Ausgangs- und Zielpunkt des christlichen Menschenbildes“. Demgegenüber ist ein Urteil darüber, ob und inwiefern die AfD in Programmatik und politischer Praxis eine wirkliche, ernsthafte Gefährdung für das demokratisch-rechtsstaatliche System in Deutschland darstellt, kirchlich und theologisch schwerer zu fällen. Hätten die Bischöfe nicht angesichts des massiv angewachsenen Antisemitismus hierzulande, der sich nicht zuletzt in der kulturell-akademischen Szene in einer undifferenzierten Kritik an Israel und einer genauso gestrickten Pro-Palästina-Position äußert, den Schwerpunkt auf die im Blick auf die Vergangenheit auch selbstkritische Abgrenzung gegenüber solchen Haltungen legen sollen, anstatt Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden und den Antisemitismus in ihrer Erklärung nur en passant zu erwähnen?
Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Nachrüstung der NATO mit ihren riesigen Friedensdemonstrationen veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz 1983 ihr Dokument „Gerechtigkeit schafft Frieden“. Es konnte sich im Kreis ähnlicher Friedensworte katholischer Bischöfe aus anderen Ländern ebenso sehen lassen wie im Vergleich mit dem damaligen Friedenswort der EKD. Das Dokument der deutschen Bischöfe bot nicht nur eine konzise Übersicht zur Entwicklung der Frage nach Krieg und Frieden in der Geschichte des Christentums. Es analysierte im Blick auf die aktuellen politischen und ethischen Herausforderungen auch das Problem der nuklearen Abschreckung aus christlicher Sicht und lieferte damit einem ernstzunehmenden Beitrag zur Urteilsbildung.
Beim Vergleich zwischen „Gerechtigkeit schafft Frieden“ und dem neuen bischöflichen Friedenswort fallen Defizite des letzteren auf: Es ist nicht nur arg lang geraten (Wer wird sich eine Verlautbarung von 170 Seiten antun?), sondern leidet auch inhaltlich unter dem Bemühen, möglichst viele Aspekte des Gesamtthemas anzusprechen, sei es das Sicherheitsrisiko Klimakrise oder das Stichwort Migration und Urbanisierung („Mehr Konflikte durch mehr Mobilität?“). Die Ausführungen zu Handlungsfeldern des kirchlichen Friedensengagement geraten zur Aneinanderreihung verschiedenster Initiativen und Ansätze, geleitet von der Sorge, ja nichts zu übersehen. Der Teil „Wege der Gewaltüberwindung“ wirkt angesichts der aktuellen Situation eines Kriegs in Europa fast wie aus der Zeit gefallen und setzt sich zu wenig mit der dadurch in Deutschland entstandenen Diskussion um Rüstung und Verteidigungsfähigkeit auseinander. Mit diesem insgesamt überladenen und gleichzeitig zum Teil wenig präzisen Friedenswort haben die deutschen Bischöfe eine Chance vertan, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Weniger wäre hier vermutlich mehr gewesen.
Innerkirchlich stand die Augsburger Vollversammlung vor allem im Zeichen des Hin und Her um den deutschen synodalen Weg im Kontext der gesamtkirchlichen Bemühungen um neue Formen der Synodalität, für die vor allem die Bischofssynode zum Thema „Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung“ steht. Ihr zweiter Teil wird im Oktober dieses Jahres in Rom abgehalten. Kurz vor ihrer Vollversammlung wurden die deutschen Bischöfe mit einem amtlichen Brief aus dem Vatikan konfrontiert, der die geplante Abstimmung über die Satzung des Synodalen Ausschusses verhinderte. Dieser Ausschuss soll in einen Synodalen Rat aus Bischöfen und Laienvertretern münden, in dem künftig grundlegende Fragen für die Kirche in Deutschland gemeinsam besprochen werden sollen.
Für die deutschen Bischöfe ist in dieser Situation ein schwieriger Spagat angesagt. Das wurde im Bericht ihres Vorsitzenden, Bischof Georg Bätzing von Limburg, über die Ergebnisse der Vollversammlung deutlich. Die Mehrheit im deutschen Episkopat steht grundsätzlich hinter dem Weg zu einen Synodalen Rat auf nationaler Ebene. Gleichzeitig möchte man in der Gemeinschaft der Universalkirche und mit dem Papst bleiben, trotz unterschiedlicher Sichtwesen im Blick auf die Weiterentwicklung katholischer Synodalität. Es gehe darum, so Bischof Bätzing, „alle Stränge des Handelns und ringend um und für eine synodale Kirche in guter Weise miteinander zu verbinden“. Die römische Weltsynode und der Synodale Weg in Deutschland gingen in dieselbe Richtung, so der Limburger Bischof.
Ob es in Deutschland überhaupt zu dem geplanten Synodalen Rat kommt, steht in den Sternen. Das gilt auch für die Dynamik des weltkirchlichen synodalen Prozesses. Hier wird man auf jeden Fall die abschließende Bischofssynode im Oktober abwarten müssen. Aber unabhängig von den notwendigen kirchenrechtlichen Klärungen im Zusammenhang mit einem möglichen Synodalen Rat und von der weiteren Entwicklung des Pontifikats von Papst Franziskus hat die katholische Kirche in Deutschland für die nächsten Jahre ein prall gefülltes Aufgabenheft. Sie muss sich – Bischöfe wie Laienvertreter – nicht zuletzt um einen neuen, glaubwürdigen Stil des öffentlichen Sprechens bemühen, der ihre theologische und sozialethische Kompetenz mit einer genauen und sensiblen Wahrnehmung der Öffentlichkeit und ihrer Mechanismen verbindet. Das Stichwort von der öffentlichen Theologie entstammt der protestantischen Diskussion. Es sollte aber auch auf katholischer Seite mehr zu denken geben.
Dr. Ulrich Ruh (1950) ist Honorarprofessor an der Universität Freiburg im Breisgau und war 1991 – 2014 Chefredakteur der „Herder Korrespondenz“. Er studierte Katholische Theologie und Germanistik in Freiburg und Tübingen und legte 1974 das Staatsexamen für das Höhere Lehramt ab. Danach war er bis 1979 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät Freiburg (Prof. Karl Lehmann) am Lehrstuhl für Dogmatik und Ökumenische Theologie. 1979 wurde er in Freiburg mit einer Arbeit über Begriff und Problem der Säkularisierung zum Dr. theol. promoviert und trat im gleichen Jahr in die Redaktion der „Herder Korrespondenz” ein.