Die Welt verstrickt in eine Spirale der Gewalt

Norbert Rönn

Wir leben in einer Welt im Aufruhr – spätestens seit Wladimir Putin am 24. Februar 2022 den verbrecherischen Befehl zum Angriff auf die Ukraine gegeben hat. Bachmut, Mariupol und jetzt Awdijiwka, an der Front im Osten versinken in verlustreichen Schlachten seither immer mehr Städte und Dörfer in Schutt und Asche. Raketen- und Drohnenangriffe töten im ganzen Land zahllose Menschen, darunter sind viele Zivilisten.

Ortswechsel: Seit Monaten tobt nach einem abscheulichen Terrorangriff der Hamas auf israelische Siedlungen ein fürchterlicher Krieg auch im Nahen Osten, mit noch nicht absehbaren Folgen. Und von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbeachtet leiden in vielen weiteren Regionen der Welt Menschen unter kriegerischen Auseinandersetzungen – wie in Äthiopien, im Jemen, in Syrien oder im Sudan. Mehr als zwanzig Kriege und bewaffnete Konflikte weltweit listen Friedensforscher auf.

Gleichzeitigkeit von Kriegen und Krisen

Die Welt scheint verstrickt in eine hoffnungslose Spirale zunehmender Gewalteskalation. Problematisch ist aber nicht nur die Zahl an Konflikten, sondern auch deren Gleichzeitigkeit. Langfristige Krisen und Herausforderungen wie der Klimawandel, die globale Ernährungssicherheit, Migration oder Energiesicherheit rücken dabei in den Hintergrund.

Nach dem Ende des Kalten Krieges keimte vor allem in Europa die Hoffnung auf, dass sich eine internationale Friedensordnung herstellen ließe mit anerkannten Rechtsnormen und einer Friedensdividende, die einer globalen Entwicklung hätte zugute kommen können. Der Traum ist schon länger zerplatzt, mit dem Krieg in der Ukraine wird er immer mehr zum Alptraum. Die Erkenntnis setzt sich durch, dass der Angriff Russlands nicht nur auf das Nachbarland zielt, sondern auch auf die freiheitliche und demokratische Lebensform des Westens insgesamt. Dass Europa und die Nato bisher geschlossen auf der Seite der angegriffenen Ukraine stehen, hat Putin sicher überrascht, ihn aber nicht von seinen Plänen abgebracht.

Ukraine militärisch unter Druck

Zwei Jahre nach Beginn der russischen Invasion gerät die Ukraine militärisch zunehmend unter Druck. Auch die größte Opferbereitschaft der Soldaten und der außerordentliche Mut der vielen Freiwilligen kann den Mangel an militärischem Gerät und an Munition nicht ausgleichen. Präsident Selenskyj fordert von den internationalen Partnern fast verzweifelt Waffen und Munition. Ohne die schnelle Lieferung auch von weitreichenden Waffen wie dem Taurus-System werde der Blutzoll noch höher. Zu Recht erinnert Selenskyj daran, dass die Ukraine auch für Europa kämpft und die freie Welt insgesamt. Die Ukraine benötigt wirksame und schnelle militärische Unterstützung.

Bischöfe: Wort des Nachdenkens in bedrängter Zeit

In diese Situation hinein veröffentlichten die deutschen Bischöfe im Rahmen ihrer diesjährigen Frühjahrsvollversammlung am 21. Februar in Augsburg ein neues Friedenswort (anknüpfend an ein Grundsatzpapier aus dem Jahr 2000). „Friede diesem Haus“ ist das 175 Seiten starke Papier überschrieben. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat das Thema ebenfalls „auf dem Schirm“ und will bis 2025 im Rahmen einer breit angelegten „Friedenswerkstatt“ die protestantische Friedensethik weiterentwickeln. Dass es angesichts der aktuellen, existentiellen Fragen um Krieg und Frieden kein gemeinsames Wort der Kirchen gibt, ist zu bedauern. Ein solches Dokument wäre sicherlich ein sehr viel deutlicheres und glaubwürdigeres Zeichen.

Die deutschen Bischöfe sehen in ihrem Friedenswort keinen Lehrtext mit Unfehlbarkeitsanspruch, „sondern ein Wort des Nachdenkens in bedrängter Zeit“. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, bekennt offen, dass man sich der Spannungen zwischen dem christlichen Ideal der Gewaltfreiheit und der Einsicht in realpolitische Notwendigkeiten bewusst ist. Zu diesen „realpolitischen Notwendigkeiten“ gehört für die Bischöfe die militärische Unterstützung der Ukraine durch den Westen und die gegenwärtige Debatte um die Aufrüstung der Bundeswehr. Mit dieser Einordnung: „Und doch mahnen wir an, dass militärische Abschreckung nach unserem Verständnis keinen Frieden garantieren kann.“

Auch wenn die Bischöfe „Rüstungsanstrengungen gegenwärtig als unverzichtbares Element einer verantwortlichen Politik“ ansehen, nennen sie es perspektivisch „Irrsinn“, angesichts der gewaltigen Probleme, die sich vor der Menschheit auftürmen, „Unmengen von finanziellen und intellektuellen Ressourcen zu verschleudern, anstatt alle Kräfte darauf zu konzentrieren, gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft zu meistern“. In großer Deutlichkeit fordern die Bischöfe von der Bundesregierung einen Prozess zum Ausstieg aus der Abschreckung mit nuklearen Mitteln.

Zwischen Gewaltverbot und Gewaltlegitimation

In ihrem Friedenswort betonen die Bischöfe, dass sich ein christlich motivierter Pazifismus mit seinem umfassenden Gewaltverbot und die Gewaltlegitimation mit der Absicht, Gewalt zu beherrschen und zu minimieren, nicht widersprechen. „Bei aller Unterschiedlichkeit eint diese beiden Traditionsstränge doch das gemeinsame Ziel: Gewalt soll überwunden werden“, so die Bischöfe.

Das bischöfliche Friedenswort wird sicherlich keine breite politische oder gesellschaftliche Debatte auslösen, aber es gibt den wichtigen Hinweis, im Krieg den Frieden mitzudenken, damit am Ende nicht nur unüberwindbarer Hass bleibt. Ist das nur eine Illusion, ein frommer Wunsch? Ein Beispiel: Noch während des Zweiten Weltkrieges, im Jahr 1944, als deutsche Soldaten in Frankreich Kriegsverbrechen begingen, riefen 40 französische Bischöfe zum Gebet für die Versöhnung mit Deutschland auf. Es war der erste Schritt zur späteren Aussöhnung und Freundschaft zwischen den Völkern.

Hinweis: „Friede diesem Haus“ – Friedenswort der deutschen Bischöfe vom 21. Februar 2024, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 175 Seiten, Wortlaut: dbk.de


Norbert Rönn, geboren 1955 in Grafschaft-Esch bei Bonn, war bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2021 zwanzig Jahre Chefredakteur der Speyerer Bistumszeitung „der pilger“ und eines gleichnamigen überregionalen Magazins. Mit einem besonderen Interesse begleitet er journalistisch Entwicklungen in Ländern des globalen Südens sowie Themen zu den Bereichen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. (Foto: Erik Paul)

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