WEIHNACHTSWORT 2020

Claudius Rosenthal beschreibt die Weihnachtsbotschaft als politischen Sprengstoff und theologisches Dynamit.

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Claudius Rosenthal
Weihnachtswort 2020
Weihnachten – politischer Sprengstoff und theologisches Dynamit

Wenn Sie am Heiligabend an einer Christmette teilnehmen können, dann werden sie hören, wie das damals, vor etwas mehr als 2000 Jahren, so war – mit der Geburt Jesu. Wenn Ihnen ein Gottesdienstbesuch nicht möglich sein wird, dann zumindest so viel: Diese Geschichte in der Bibel – die präsentiert Ihnen ein Historiker. Der beschreibt ziemlich präzise, wer, wann, wo, was macht. Und dem war das auch wichtig: Weil das Erzählte überprüfbar sein sollte. Aber: Dieser Historiker wollte noch ein Zweites. Er hatte nämlich eine Botschaft. Allerdings war die so revolutionär, dass er sie verschlüsseln musste.

Deshalb spricht er eindringlich davon, dass Augustus damals Kaiser war – obwohl der richtige Name dieses Kaisers eigentlich Gaius Octavius war. „Augustus“ war nur ein Ehrentitel.  Wobei: Es war nicht nur ein Ehrentitel. Es war der Ehrentitel – abgeleitet von augurium, der Bezeichnung eines Rituals, mit dem damals der Wille der Götter bestimmt wurde. Und Octavius ließ sich genau deshalb „Augustus“ nennen. Weil er deutlich machen wollte: In meinem Kaisertum drückt sich der Wille der Götter aus. Mehr noch: Augustus wollte der Welt sagen: Der Träger dieses Titels – der ist göttlich. Er wollte sagen: „Ich bin göttlich.“ Augustus wollte wie ein lebender Gott angesehen werden. Und genau so regierte er auch: Wie ein Gott.

Wenn der Verfasser der Geburtsgeschichte Jesu nun also diesen Kaiser erwähnt, dann berichtet er damit nicht nur eine historische Tatsache, die wir alle kennen – nämlich, dass Jesus während der Regentschaft dieses Augustus in einem Stall geboren wird. Sondern er attackiert frontal den Gotteskult des römischen Kaisers. Denn die Botschaft zwischen den Zeilen lautet: „Ihr in Rom glaubt, Euer Kaiser sei ein Gott? Ihr irrt. Hier, in Bethlehem – da ist ein Gott geboren worden. Ihr in Rom glaubt, Eure Paläste und Eure Soldaten geben Euch Macht? Hier, in der Krippe – da liegt der König der Könige, der Herrscher der Welt.“

Mit wenigen Worten also werden die Fundamente des Römischen Reiches aufgebohrt. Oberflächlich betrachtet haben wir es lediglich mit einem schlichten Tatsachenbericht zu tun. Aber wer damals ein wenig etwas von Politik verstand, der wusste: Das, was hier erzählt wird – das ist politischer Sprengstoff, kulturelles Schwarzpulver und theologisches Dynamit. Das ist der Gegenentwurf zum Selbstverständnis der Weltmacht Rom.

Vielleicht denken Sie jetzt: „Naja, so spektakulär war das ja wohl nicht, was da zu lesen war …“ In der Tat: Die Welt war damals voll von Erzählungen, in denen Götter als Menschen auf die Erde kamen – Zeus oder Odin zum Beispiel. Und ebenso voll war die Welt auch von Menschen, die sich zu Göttern erklärten. Augustus war da kein Sonderfall. Zur Zeit Jesu war er lediglich der prominenteste seiner Art. Allerdings waren die Mensch gewordenen Götter und die sich zu Göttern erklärenden Menschen stets Wesen, die alles, was sie unternahmen, deshalb taten, um ihre Macht und ihre Größe zu beweisen. Sie gebrauchten ihre Macht immer, um sich als überlegen zu beweisen, um zu herrschen, um bedient zu werden und um über allen anderen zu stehen. Genau da fängt diese Weihnachtsgeschichte aber an, bedrohlich zu werden für die bestehende Ordnung. Denn dieser Mensch gewordene Gott Jesus – der kommt nicht, um bedient zu werden. Der kommt, weil Er dienen möchte. Der kommt nicht, um zu herrschen. Der kommt, weil Er lieben möchte. Der kommt nicht, um zu beweisen, wie sehr Er über der Welt steht. Der kommt, weil Er die Höhen und Tiefen menschlichen Lebens mitleben und auch mitleiden will.

Wenn die Geschichte von Jesus also damit beginnt, dass auf Augustus verwiesen wird, dann soll damit gesagt sein: Ihr könnt in Rom einen Menschen als Gott verehren. Einen, der sich über Euch erhebt. Oder ihr lasst mich von einem Gott erzählen, der Mensch wie wir wurde –schwach, verletzlich, verwundbar und hilflos. Weil Er uns so sehr liebt, dass Er das Leben mit uns leben möchte – an unserer Seite, nicht über uns. Der nicht mehr sein will als andere. Sondern mehr für andere.

Man kann über das Christentum und die Kirche viel sagen. Leider kann man auch viel sagen, was da nicht in Ordnung ist. Wo die eigentliche Botschaft verdunkelt wird. Aber eines wird man wohl feststellen müssen: Das Christentum ist die einzige Religion, die einen Gott kennt, der nicht teilnahmslos im Himmel thront. Oder einen, der eifersüchtig strafend und zürnend herrscht. Sondern unser Glaube fußt darauf, dass Gott uns Menschen liebt. Dass Er bei uns sein möchte in jeder Sekunde unseres Lebens. Deshalb schenkt Er sich uns als kleines, verletzbares, hilfloses Kind in einer Krippe und sagt uns damit: Ich brauche Dich. Ich bin auf Deine Hilfe angewiesen. Und später dann lebt Er uns vor, was auch von uns verlangt ist: Nicht zu herrschen, sondern zu dienen. Zu vergeben. Zu achten. Zu wertschätzen. Zu lieben.

Das war nicht nur damals eine Kampfansage an alle Mächtigen. Das ist es auch heute noch. Auch heute noch stellt das jede weltliche und auch amtskirchliche Ordnung in Frage. Weil wir Christen nämlich herausgezogen sind aus der Logik einer Welt, die nur aus „mehr haben“ und „mehr sein“ besteht.

Weihnachten macht uns frei von alledem. Und das zu vermitteln ist nicht nur eine Aufgabe, die wir Hirten der Kirche unseren Schäflein gegenüber haben. Sondern das müssen wir uns in unseren zum Teil vermachteten und leider allzu weltlich-verkrusteten Strukturen auch immer wieder selber sagen. Weihnachten möchte uns genau dazu ermutigen. Weil diese ganze Logik der Welt nicht entscheidend ist. Das nimmt uns nichts von unserer Verantwortung für unser Handeln im Hier und Jetzt. Das entschuldigt unser falsches Tun nicht. Aber Weihnachten sagt uns, dass wir geliebt und erlöst und befreit sind. Und deshalb dürfen wir den Mut haben, den Windhauch der Welt loszulassen. Wir brauchen uns also nicht zu Göttern erheben. Aber wir dürfen es Gott nachtun: Frei sein. Mensch werden. Lieben. Frohe Weihnachten!

Diakon Claudius Rosenthal (1972) ist hauptberuflich für das Land NRW tätig. Bekannt ist er über seine Morgenandachten im WDR sowie als Buchautor („Führungskräfte der Bibel“). In seiner Gemeinde zeichnet er mitverantwortlich für zahlreiche innovative Initiativen, darunter den wöchentlichen Podcast „crossfire“ oder das vom Erzbistum Paderborn geförderte Projekt wide@heart. 

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