DER TRAUM VON EINER WELT UND EIN BISSCHEN GRÖSSENWAHN

Der alt-katholische Bischof Matthias Ring erinnert in seinem Weihnachtswort daran, dass es nicht genüg, an Weihnachten von Frieden und Harmonie zu träumen. Man muss schon auch was dafür tun. 

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Matthias Ring
Der Traum von einer heilen Welt und ein bisschen Größenwahnsinn

„Und wie verbringst Du Weihnachten?“ – Das ist eine Frage, die umso häufiger gestellt wird, je näher Weihnachten rückt. Einer meinen Bekannten zeigte sich wenig optimistisch im Hinblick auf das Fest, denn bei ihm stehen – wie bei vielen – Verwandtenbesuche auf dem Programm. Jeder für sich, so sagte er, sei ja zutiefst sympathisch, aber an Weihnachten, wenn alle versammelt sind, sei es manchmal unerträglich.

So klagte er mir sein Leid und hatte am Ende wohl den Eindruck, etwas zu schlecht über seine Verwandtschaft gesprochen zu haben. Denn bei der Verabschiedung schob er noch einen Satz nach, der vermutlich lauten sollte: „Das hörte sich jetzt schlimmer an, als es in Wirklichkeit ist.“ Aber – Freud lässt grüßen – er sagte versehentlich: „In Wirklichkeit ist es schlimmer, als es sich jetzt anhört.“ – Wir mussten beide lauthals lachen.

Die Bedenken meines Bekannten sind in gewisser Weise typisch. Denn laut einer Umfrage rechnet jeder Zweite an den Festtagen mit Konflikten. Psychologen sagen, Ursache seien zu hohe und falsche Erwartungen an das Fest. Und wahrscheinlich sind die Erwartungen auch zu unterschiedlich. So wollen die einen ein Hochamt der Familie feiern, die anderen möchten genau dem entfliehen.

Irgendwie ist es fast schon ein Witz: Ausgerechnet das „Fest der Liebe“ ist mit beachtlichen Befürchtungen hinsichtlich seines Konfliktpotentials verbunden. Täusche ich mich oder nehmen die Ratschläge in den Medien, wie man die Festtage ohne Kollateralschäden überstehen kann, jedes Jahr zu?

Ich glaube, das Problem des Weihnachtsfestes besteht genau in dem, was auch seinen Zauber ausmacht. Weihnachten ist das Fest einer – zumindest ersehnten – allumfassenden Harmonie. Mit Weihnachten verbinden fast alle Menschen, auch jene, die sich nicht als Christen bezeichnen, Begriffe wie „Liebe“, „Frieden“ „Harmonie“, „Familie“ und „Gemeinschaft“. Dabei beschreiben diese Begriffe keinen Ist-Zustand, sondern das, was wir uns wünschen, und zwar sowohl für unsere kleine, private Alltagswelt, als auch für die Welt an sich. Deshalb wünschen sich viele, dass sich an diesem Tag die Familie in Harmonie um den Weihnachtsbaum versammelt. Deshalb soll wenigstens an einem Tag im Jahr Frieden herrschen auf der Welt und die Waffen sollen an allen Fronten schweigen (wobei es schon immer gewiefte Strategen gab, die gerade an diesem Tag angegriffen haben).

Die Fallhöhe an Weihnachten ist folglich gewaltig. Das gilt für die private Alltagswelt, wenn die Kinder keine Lust haben, an Heiligabend auf heilige Familie zu machen, oder eine politische Debatte an der Festtafel deutlich macht, dass die AfD nicht nur im Bundestag sitzt. Zwar kennen Terror und Krieg weltweit keine Weihnachtsruhe, doch unsere Betroffenheit ist eine andere, wenn die Gewalt quasi vor unserer Haustür geschieht. Wer heute einen Weihnachtsmarkt besucht und die Sicherheitsvorkehrungen betrachtet, denkt eben auch an den Breitscheidplatz in Berlin.

Ich kenne genug Menschen, die halten angesichts des Zustandes dieser Welt Weihnachten für ein zutiefst verlogenes Fest. Doch die Spannung zwischen dem Ist-Zustand der Welt und der Sehnsucht nach einer heilen Welt gehört von Anfang an zu Weihnachten dazu. Wir feiern ja nicht, dass – salopp gesprochen – seit Jesu Geburt alles in Butter ist. Ein Blick auf die Nachrichten würde uns Lügen strafen. Wir feiern nicht eine heile Welt, sondern dass vor 2.000 Jahren einer geboren wurde, der von einer heilen Welt träumte, die er Reich Gottes nannte. Aber er hat es nicht beim Träumen belassen, sondern gezeigt, wie inmitten dieser Welt das Reich Gottes aufscheinen kann.

Weihnachten verstehe ich als Einladung, den Weg, den Jesus aufgezeigt hat, zu gehen. Ich bin fest überzeugt, wenn Menschen sich in ihrem Handeln an Jesus, am Evangelium orientieren, kann diese Welt zu einer besseren werden. Das mag sich naiv anhören, aber ohne diese Hoffnung, dass die Welt eine bessere werden kann, könnten wir als Christinnen und Christen einpacken. Dann wäre alles Christentum allenfalls noch Vertröstung auf das Jenseits.

Freilich, mit den Wegen ist das so eine Sache. Wege muss man nämlich gehen. Das ist meines Erachtens der Punkt, der das Elend des Weihnachtsfestes ausmacht. Wer beim Traum von einer harmonischen Welt stehen bleibt, wird ihre Erfüllung nicht erleben. Ich will es mit einem Vergleich deutlich machen. Viele werden sich im Januar bei einem Fitnessstudio anmelden, weil endlich die Pfunde weg sollen und weil man ja auch gesünder leben will. Da ist die Sehnsucht nach Gesundheit und einem ansehnlichen Körper. Aber diese Sehnsucht bleibt unerfüllt, wenn man sich anmeldet – und dann doch nicht trainiert, weil man keine Zeit hat oder doch zu bequem ist oder warum auch immer.

Ich glaube, mit Weihnachten ist es ähnlich. Da wird eine Sehnsucht in uns deutlich, die unerfüllt bleibt, wenn wir uns nicht auf den Weg machen. Es genügt eben nicht, an Weihnachten von Frieden und Harmonie zu träumen. Man muss schon auch was dafür tun. Das kann heißen, in unserer kleinen Alltagswelt den Konflikten, vor denen wir uns an den Festtagen fürchten, in die Augen zu blicken und sie anzugehen.

Im Großen bedeutet dies, sich als Christinnen und Christen nicht von der der Politik abzuwenden, sondern sich zu interessieren und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten auch zu engagieren. Ein unpolitisches Christentum wäre meines Erachtens ein zutiefst egoistisches und selbstgenügsames Christentum, das einmal im Jahr die Friedensglocken läutet und ansonsten die Welt lässt wie sie ist. Weihnachten aber will die Welt verändern, und zwar durch jeden von uns. Klingt etwas größenwahnsinnig, aber drunter geht es nicht.

Matthias Ring (1963) ist seit 2010 Bischof des Katholischen Bistums der Alt-Katholiken in Deutschland mit Sitz in Bonn. Der gebürtige Oberfranke studierte Theologie in Bamberg, Würzburg und Bonn und war zunächst als Vikar in Würzburg, dann als Pfarrer in Regensburg tätig.

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