Stephan Eisel beschreibt das christliche Menschenbild, das für die „C“-Parteien grundlegende Orientierung des politischen Handelns ist bzw. sein sollte.
Den folgenden Text können Sie hier ausdrucken.
Stephan Eisel
Das christliche Menschenbild
I. Leitsatz
Die Offenlegung des Menschenbildes, auf das sich Parteien beziehen, ist wichtig, weil sich aus diesem Menschenbild ergibt, welche Politik eine politische Bewegung für menschlich hält, welche Politik also dem Menschen gerecht wird. Grundlage und Voraussetzung einer Politik aus christlicher Verantwortung ist das Bekenntnis zum christlichen Menschenbild, das den Menschen ausdrücklich als Geschöpf Gottes sieht und sich deshalb zu seiner Einmaligkeit und Begrenztheit bekennt. Es ist diese religiöse Letztbegründung, die die Union von allen anderen Parteien in Deutschland unterscheidet. Im Verständnis des christlichen Menschenbildes zeichnen unveräußerliche Würde, Gleichwertigkeit, Verschiedenartigkeit und Unvollkommenheit alle Menschen aus. Daraus leiten sich die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ab.
II. Grundsätze
Es ist kein Zufall, dass in allen Grundsatzprogrammen der CDU ausdrücklich schon in den ersten Sätzen für eine Politik aus dem Bewusstsein der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ plädiert wird. Auch das Grundgesetzes beginnt mit den Worten „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…“
Umso bemerkenswerter ist es, dass „Gott“ – abgesehen von der CSU – in den Programmen anderer Parteien überhaupt nicht vorkommt. Die Union hat hier ein eindeutiges Alleinstellungsmerkmal: Sie benennt ausdrücklich, dass für sie der Mensch Geschöpf Gottes und nicht das letzte Maß aller Dinge ist. Es gibt also Dinge, die dem menschlichen Zugriff entzogen sind und bleiben müssen – vor allem seine unveräußerliche Würde und in der Verschiedenartigkeit die Gleichwertigkeit aller Menschen als Geschöpfe Gottes. Das Wissen darum begründet auch die Einsicht in die Fehlbarkeit des Menschen und die Grenzen politischen Handelns. Dieses christliche Menschenbild ist ein Bollwerk gegen die Vergötterung des Menschen oder von Ideologien, die zwangsläufig in Diktaturen mündet.
Das christliche Menschenbild verpflichtet als nicht nur zum politischen Handeln aus ethischer Verantwortung, sondern setzt Politik auch klare Grenzen und entzieht den Menschen völliger politischer Verfügbarkeit. Zugleich setzt sich Politik aus christlicher Verantwortung nicht selbst absolut, erhebt nicht den Anspruch aus dem christlichen Menschenbild ein bestimmtes politisches Tagesprogramm ableiten zu können und bleibt offen für die, die Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit aus anderen Quellen als dem christlichen Menschenbild herleiten.
III. Hintergründe
Nur wenige Wochen nach dem Ende von Krieg und Diktatur wurden im Juni 1945 in Berlin und Köln Gründungsaufrufe für eine „Christlich-Demokratische Union Deutschlands“ veröffentlicht. Sie beschreiben „Schuld und Schande, in das uns die Vergottung eines verbrecherischen Abenteurers gestürzt hat“ und als „furchtbare Erbschaft“ einen „Trümmerhaufen sittlicher mit materieller Werte“ (Berliner Gründungsaufruf). „Nie wäre dies alles über uns gekommen, wenn nicht weite Kreise unseres Volkes von einem habgierigen Materialismus sich hätten leiten lassen. … Ohne eigenen sittlichen Halt verfielen sie dem Rassenhochmut und einem nationalsozialistischen Machtrausch.“ (Kölner Gründungsaufruf).
Diesen „sittlichen Halt“ sahen die Gründer der CDU in einer „ehrlichen Besinnung auf die christlichen und abendländischen Lebenswerte“, dem Bekenntnis zur „gottgegebenen Freiheit des Einzelnen“ und einer sozialen Ordnung, „die der demokratischen Überlieferung der deutschen Vergangenheit ebenso entspricht wie der weite und dem Geiste des christlichen Naturrechts.“ (Kölner Gründungsaufruf). Eine „Ordnung in demokratischer Freiheit (kann) nur entstehen, wenn wir uns auf die kulturgestaltenden sittlichen und geistigen Kräfte des Christentums besinnen und diese Kraftquellen unserem Volkes immer mehr erschließen.“ (Berliner Gründungsaufruf)
Konrad Adenauer hat es in seiner berühmten Kölner Universitätsrede am 24. März 1946 so formuliert: „Der Fundamentalsatz des Programms der CDU, der Satz, von dem alle Forderungen unseres Programms ausgehen, ist ein Kerngedanke der christlichen Ethik: die menschliche Person hat eine einzigartige Würde, und der Wert jedes einzelnen Menschen ist unersetzlich. Aus diesem Satz ergibt sich eine Staats-, Wirtschafts- und Kulturauffassung, die neu ist gegenüber der in Deutschland seit langem üblichen. Nach dieser Auffassung ist weder der Staat, noch die Wirtschaft, noch die Kultur Selbstzweck; sie haben eine dienende Funktion gegenüber der Person. Die materialistische Weltanschauung macht den Menschen unpersönlich, zu einem kleinen Maschinenteil in einer ungeheuren Maschine, die wir mit der größten Entschiedenheit ablehnen. … Wir nennen uns christliche Demokraten, weil wir der tiefen Überzeugung sind, dass nur eine Demokratie, die in der christlich-abendländischen Weltanschauung, in dem christlichen Naturrecht und in den Grundsätzen der christlichen Ethik wurzelt, die große erzieherische Aufgabe am deutschen Volke erfüllen und seinen Wiederaufstieg herbeiführen kann.“
Dieser im Angesicht des Verfalls aller Werte grundwertebezogene Gründungsimpuls der CDU prägt die Partei bis heute und ist ihr Fundament. Auch die Herausforderungen unserer Zeit stellen immer wieder Frage nach den Maßstäben und Grenzen politischen Handelns. Auch das aktuelle – 2007 verabschiedete – CDU-Grundsatzprogramm bezieht sich dabei auf das christliche Menschenbild und beschreibt es mit den Leitsätzen:
- „Für uns ist der Mensch von Gott nach seinem Bilde geschaffen. Aus dem christlichen Bild vom Menschen folgt, dass wir uns zu seiner unantastbaren Würde bekennen. Die Würde aller Menschen ist gleich, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Nationalität, Alter, von religiöser und politischer Überzeugung, von Behinderung, Gesundheit und Leistungskraft, von Erfolg oder Misserfolg und vom Urteil anderer. Wir achten jeden Menschen als einmalige und unverfügbare Person in allen Lebensphasen. Die Würde des Menschen – auch des ungeborenen und des sterbenden – ist unantastbar.“
- „Aus der Würde des Menschen erwächst sein Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und zugleich die Verantwortung gegenüber dem Nächsten. Der Mensch besitzt die Freiheit zur sittlichen Entscheidung. Er steht nach christlichem Verständnis in der Verantwortung vor Gott und vor seinem Gewissen und ist auf Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen angelegt.“
- „Jeder Mensch ist Irrtum und Schuld ausgesetzt. Darum sind auch der Planungs- und Gestaltungsfähigkeit der Politik Grenzen gesetzt. Diese Einsicht bewahrt uns vor ideologischen Heilslehren und einem totalitären Politikverständnis. Sie schafft Bereitschaft zur Versöhnung.“
- „Wir verstehen den Menschen als Teil der Schöpfung. Es steht ihm nicht zu, nach Belieben über die Natur zu verfügen. Sie ist uns zur Gestaltung und Bewahrung anvertraut. Wir sind dafür verantwortlich, wie wir sie den nachfolgenden Generationen weitergeben.“
- „Auf diesem Menschenbild beruhen die Grundlagen der demokratischen Rechts- und Verfassungsstaaten. Das gilt auch für diejenigen, die Würde, Gleichheit und Freiheit des Menschen nicht aus dem christlichen Glauben herleiten.“
Dr. Stephan Eisel (1955) war als Mitglied des Deutschen Bundestages bis 2009 Mitglied im Europaausschuss und u. a. 1983- 1992 zunächst als Redenschreiber und dann als stv. Leiter des Kanzlerbüros Mitarbeiter von Helmut Kohl. Seit 2010 ist er in der Konrad-Adenauer-Stiftung Projektleiter für „Internet und Demokratie“ sowie „Bürgerbeteiligung“. Er ist verantwortlicher Redakteur des Blogs für politisches Handeln aus christlicher Verantwortung kreuz-und -quer.de