WORAUF KOMMT ES FÜR DIE CDU AN ?

Ludger Gruber empfiehlt der CDU stärker Räume der echten politi­schen De­batte anzubieten, in denen nicht das Machbare das Denkbare be­stimmt, sondern umgekehrt das Denkbare den politischen Prozess befruchtet.

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Ludger Gruber
Worauf kommt es für die CDU an?

Ist es opportun, inmitten einer hoch komplizierten Regierungsbildung, die die CDU und ihre Kanzlerin auf das Äußerste fordert, über die CDU nachzudenken?

Vielleicht ist es ein erster emanzipatorischer Akt, genau das zu tun. Der Partei werden kaum noch Zeitfens­ter ge­währt, in denen sie ihre inhaltlichen Stärken entfalten kann. Mal sind Koalitionsverhandlun­gen, mal Wahlkämpfe, mal Regierungszeiten. Selbst in Oppositionszeiten haben nur wenige Verbände Luft zur offe­nen Reflexion, wie jüngst in Nordrhein-Westfalen.

Die CDU scheint sich aus drei Gründen in einem unsichtbaren Käfig der unnötigen Selbstbeschränkung zu befin­den: Erstens leidet sie unter der Exekutivdominanz, zweitens schafft sie es nicht mehr, alle wichtigen Parteifunkti­nen zu erfüllen und drittens hat sie sich bei aktuellen Themen in kommunikative Sackgassen manö­vriert.

1. Zur Exekutivdominanz

Im Gegensatz zu politikwissenschaftlichen Analysen in den 80er und 90er Jahren, denen zufolge die Partei­en im politischen System dominierten, muss man heute konstatieren, dass Parteien ihre politische Leitfunk­tion verloren haben. Parteien und Parlamente wirken wie unselbständige Glieder einer politi­schen Wert­schöpfungskette, die auf die Exekutive und ihren Entscheidungen als Krönung und Endpro­dukt ausgerichtet sind. Prinzipiell ist diese Aus­richtung sinnvoll, doch schmälert die ausschließliche Fi­xierung von Parteide­batten auf Regierungshandeln die große Kraft arbeitsteiligen Vorgehens. In Parteien können politische Ideen und Positionen debattiert werden, die noch unrealistisch erscheinen, vielleicht unausgegoren sind. Meinun­gen, die noch nicht in das enge Korsett der Exekutive passen. Ein Korsett voller rechtlicher, koalitions-, bündnispolitischer, föderaler, ökonomischer oder sonstiger Sachzwänge.

Gemessen an diesen Sachzwängen sind die Leistungen der von der Kanzlerin geführten Regierungen nicht hoch genug einzuschätzen. Die CDU als Partei unterliegt diesen Sachzwängen aber nicht im glei­chen Maße. Von dieser Freiheit sollte sie zum Wohle von Parlament und Regierung mehr Gebrauch ma­chen. Vor lauter Sorge, dass die (mediale) Öffentlichkeit ein breiteres Meinungsspektrum gerade im Vorfeld von Entschei­dungen als „Streit“, „Zerrissenheit“ oder gar „Schwächung der Kanzlerin“ brand­marken könnte, erfolgt eine übertriebene a-prio­ri-Glättung der Ideen. Ein undifferenziertes Geschlossen­heitsideal lähmt. Es stärkt nur kurzfristig. Langfristig tritt die Schwächung ein, die man eigentlich ver­meiden will. Ein Politikmanagement, das Phasen der Offenheit und Phasen der Geschlossenheit unter­scheidet und steuert, könnte hilfreich sein.

2. Zu den Parteifunktionen

Dass auch die CDU als (noch) Volkspartei divergierende gesellschaftliche Interessen zu artikulieren, die Vielfalt der Meinungen zu aggregieren und in den politischen Entscheidungsprozess zu transmittieren hat, ist ihr Auftrag und ihr Daseinszweck. Weitere Funktionen sind die Organisation von politischer Teilhabe, die Integration mög­lichst vieler Bürgerinnen und Bürger in den politischen Prozess, ihre Mo­bilisierung vor Wahlentscheidungen, ihr Beitrag zur Orientierung und normativen politischen Zielfin­dung und natürlich die Rekrutierung politischen Per­sonals.

Eine strategische Stärken-Schwächen-Analyse (SWOT) würde wahrscheinlich aufdecken, dass die Mobilis­ierung, die Personalrekrutierung und die formale Steuerung des politischen Prozesses auf der Ha­benseite stehen. Bei der inhaltlichen Debatte von Zukunftslösungen und bei der Verankerung der CDU in der Gesell­schaft gibt es jedoch Handlungsbedarf. Alternativ politische Organisationsformen wie Be­wegungen, Bürger­initiativen, Bürgerstiftun­gen u.a. etablieren sich zunehmend, politisieren sich und marginalisieren die in un­serem politischen System dafür vorgesehenen Parteien. Orts- und Kreisverbän­de drohen, zu selbstreferenti­ellen Zuschauern zu werden, während die politische Macht ungesteuert da­hin vagabundiert, wo Meinung gemacht, aber keine politische Verantwortung übernommen wird.

Die CDU sollte sich diesem Trend offensiv entgegenstemmen. Strategie und Visionen können Handlungsk­raft zu­rückbringen. Parteien müssen Debattenräume bereitstellen, in denen Zukunftslösungen prä­sentiert, leidenschaft­lich diskutiert und inhaltlich weitergetrieben werden. Diskursräume, in denen die Bürger ein Gefühl verspüren, an etwas Wichtigem mitzuwirken. Es geht um zukünftige Leitlinien für Klimapolitik und Globalisierung, für Ein­wanderung und Bildung, für die digitalisierte Arbeitswelt und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In der CDU sollte stärker normativ gedacht werden, weniger in Umsetzungsdetails. In Par­teien geht es primär um Orientie­rungsdebatten und um die grundsätzlichen Ziele politischen Handelns.

Die Welt ist voller Lösungen. Für die Integration vielfältiger Perspektiven sind die CDU und ihre weltanschaulic­hen Grundlagen geeigneter als alle übrigen Parteien.

3. Zu den kommunikativen Sackgassen

Ich halte die Debatten um die Obergrenze oder über den (vernachlässigten?) Konservatismus in der CDU für Bei­spiele einer selbstverschuldeten Blockade, die der CDU bereits geschadet hat. Viele erfah­rene, gut informierte und engagierte Bürgerinnen und Bürger empfinden diese vermeintlichen Gegensät­ze als Pseudo-Gegensätze. Die CDU als Union hat seit jeher Herz und Verstand, christliche Nächstenlie­be und Ordnung, Fördern und Fordern, Heimat und Internationalität, Deutschland und Europa etc. als zwei Seiten ein und derselben Medaille gesehen. Woher kam das „Entweder – oder“ mit seinen Unver­söhnlichkeiten? Warum ist es nicht gelungen, eine sprachli­che Formel für das durchaus vorhandene Ge­meinsame zu finden? Die Ver­mutung, dass Persönliches handlungs­leitend war, macht die Angelegenheit nicht besser.

Nicht nur Menschen in prekären Lebensverhältnissen oder mit neo-nationalistischen Auffassungen hat es zu den populistischen Verführern und Vereinfachern getrieben. Gefährlicher für die CDU ist die Ent­fremdung einer zu großen Zahl christlich orientierter, beruflich erfolgreicher, ehrenamtlich engagierter Menschen, die die Bundesre­publik und die CDU mit zu dem gemacht haben, was sie immer noch ist: ei­nes der erfolg­reichsten politischen Ge­bilde überhaupt. Zu diesen unverzichtbaren Stakeholdern und Mul­tiplikatoren soll­ten wieder Gesprächsfäden auf­genommen werden. Idealerweise jenseits der Schablonen­debatten von links oder rechts, konservativ oder populis­tisch. Offenbar ist der Bedarf nach einer Neujus­tierung der Überset­zung von Werten in konkretes politisches Han­deln groß.

Zusammengefasst sehe ich einen großen Vorteil für alle Akteure in Regierung, Parlamenten und Partei­en, wenn sie eine stärkere Arbeitsteilung anstrebten. Die CDU an sich kann Räume der echten politi­schen De­batte anbieten, in denen sich Bürger, Wähler und Mitglieder in einer schöpferischen Unruhe (nicht Zerstö­rung) gemeinsam Ge­danken um Gegenwart und Zukunft machen. Denkräume, die die vielfältigen begren­zenden Schablonen ignoriert. Räume, die nicht vor-politisch, sondern allenfalls vor-institutionell sind. Räu­me, in denen ein Paradigmenwechsel dergestalt eingeleitet wird, dass nicht das Machbare das Denkbare be­stimmt, sondern umgekehrt das Denkbare den politischen Prozess befruchtet.

Die CDU hat der Bundesrepublik – und das ist stark untertrieben – gut getan. Sie stand immer an der Spitze von Erneuerungen – mit Augenmaß. Fünf junge Politiker und Politikerinnen haben in einem ge­meinsamen Artikel in „Die Zeit“ vom 15. Februar d.J. interessante Hinweise auf die politische Kultur von morgen gege­ben. Sie fordern ein neues Querdenken. Die CDU sollte hierbei führend sein. Offensiv und optimistisch!

Dr. Ludger Gruber (1964) hat Geschichte, Öffentliches Recht, Philosophie und Volkswirtschaftslehre an den Universitä­ten Bonn, Lyon, Madrid und Köln studiert und wurde mit einer Dissertation über den Landesparlamentarismus in Nordrhein-Westfa­len promoviert. Seit 1992 ist er in der Konrad-Adenauer-Stiftung in mehreren inhaltlichen, administrativen und führungsbezogen­en Funktionen tätig, u.a. in der Politikberatung, Parteienforschung und als Leiter Strategie und Planung. Zur Zeit ist er stv. Leiter der Hauptabteilung Politische Bildung und Leiter des Politischen Bil­dungsforums Nordrhein-Westfa­len.

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