OSTERWORT 2016

Stefan Holtmann erinnert daran, dass die Auferstehungsbotschaft die schweigende Trauer an den Gräbern dieser Welt nicht außer Kraft setzt, sondern in die Welt drängt, um die Lebensbotschaft auch an den Todesorten nicht vergessen zu lassen.

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Stefan Holtmann

Osterwort 2016

„Ich habe unzählige Osterpredigten gehalten. Sie sind alle gescheitert, denn die Sprache bekommt Ostern nicht in den Griff.“ (Kurt Marti[1])

Wenn es schon dem wortmächtigen Dichter und Theologen Kurt Marti so ergeht, beginne ich zu zögern. Wie soll ich das Unfassbare in Worte fassen? Wie könnte ich versuchen, mich mit meiner Sprache dieses Ereignisses zu bemächtigen, das genau dort von Gottes Handeln redet, wo der Mensch mit seinem letzten Atemzug verstummen muss und gänzlich machtlos ist?

Nein, die menschliche Sprache bekommt Ostern nicht in den Griff. Unsere Worte können weder rationale Erklärungen für diese Ereignisse liefern, noch können sie uns überzeugende Bilder vor Augen malen. Am Ende ist nichts als das leere Grab zu sehen. Und hierfür gäbe es vielfältige Erklärungen mit höherer Wahrscheinlichkeit als die, dass Christus auferstanden ist. Die Sprache stößt an die Todesgrenze des Karfreitags. An dieser Stelle versagen die Worte ihren Dienst, und Schweigen wäre gewiss leichter.

Die Ostererzählung und mit ihr das gesamte Evangelium nach Markus endet mit den Worten: „Und sie sagten niemandem etwas; den sie fürchteten sich.“ Gemeint sind die Frauen, die bis zuletzt dem Verurteilten und Gekreuzigten gefolgt waren und nun im Angesicht der Auferstehungsbotschaft die Flucht ergreifen. Auch wenn Furcht und Zagen eine begreifliche und in der biblischen Überlieferung oft bezeugte Reaktion auf Erscheinungen Gottes sind, lässt dieses Schweigen aufmerken. Letzte Worte pflegen schließlich theologisch besonders gehaltvoll zu sein. In diesem Fall sind sie in meinen Augen auch seelsorgerlich durchdacht. Die Auferstehungsbotschaft setzt die schweigende Trauer an den Gräbern dieser Welt nicht außer Kraft. Sie führt aber durch die Trauer hindurch und bringt ihre Hoffnung zur Sprache, wenn es an der Zeit ist. Auch für die Frauen wäre das Schweigen einfacher – doch sie müssen erzählt haben, denn wir haben gehört, was sie zunächst niemandem sagen wollten.

„Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“

So lautet der alte Ostergruß der Christenheit, der auch in diesem Jahr zu hören ist und das Schweigen unterbricht. Er spricht gleich zweifach aus, und beim zweiten Mal noch eindringlicher bekräftigend, was der Glaubende von sich aus nicht zu glauben wagt. Als ob man es beim ersten Sprechen noch nicht wahrhaben wollte, dass es wahrhaftig ist: „Christus ist auferstanden!“

Diese Worte werden am Ostermorgen vom Entzünden der Osterkerze und vom Klang der Trompeten und Posaunen auf den Friedhöfen begleitet. Das Licht verschafft sich Raum im Dunkel. Wo die Welt finster und umnachtet scheint, wird ein Zeichen der Anwesenheit Gottes gesetzt. Das fröhliche Osterlob unterbricht die verordnete Grabesstille auf den Gottesackern und erinnert daran, dass „Totenruhe“ im christlichen Sinne nur ein sehr vorläufiger Begriff sein kann.

„Christus ist auferstanden“ – was unsere Worte nicht fassen, malen oder erklären können, drängt doch zur Sprache, denn wir dürfen unserer Welt das Licht nicht vorenthalten, das den dunklen Ecken ihren Schrecken nimmt. Und wir können um Gottes willen auch die Grabesstille nicht ungebrochen über den Gräbern schweben lassen.

Die Auferstehungsbotschaft drängt in diese Welt, um die Lebensbotschaft auch an den Todesorten nicht vergessen zu lassen. Licht, Klang und Sprache können die Sache zwar nicht fassen. Sie werden daran scheitern, die Auferstehungsbotschaft zu begründen. Aber sie können die Sprache der Todesmacht in ihrer realen Machtlosigkeit enttarnen. Das Leben ist stärker als der Tod. Sie können zur Unterbrechung der vielen Worte werden, die gerade davon nichts wissen wollen, weil sie das Vorletzte und seine Gesetzmäßigkeiten zur letzten Weisheit erklären und sich mit der Trostlosigkeit – vielleicht nicht hier, sondern andernorts – zufrieden geben wollen.

Auferstehung und Aufstand gegen die Todesmächte hängen darum zusammen. Nicht dass sich mit der Auferstehungsbotschaft revolutionäre Politik machen ließe. Aber die Auferstehungsbotschaft lässt uns dort nicht schweigen, wo das Leben nicht geachtet wird. Sie schärft die Sinne für die dunklen Flecken unserer Wahrnehmung. Wir dürfen dem Tod um Gottes Willen keine Ruhe lassen – und ich hoffe, dass auch an den Stränden von Lesbos und Lampedusa die Botschaft des Auferstandenen zu Gehör gebracht wird. Denn der Gekreuzigte ist auch für jene auferstanden, die an ihrer Hoffnung auf ein besseres Leben zugrunde gehen.

Die Sprache bekommt Ostern nicht in den Griff – denn Christus ist wahrhaftig auferstanden. Es liegt in der Natur der Sache, dass unsere Worte nur ein Hinweis auf das sein können, was ohne uns, doch umso mehr für uns geschehen ist. Hier zu schweigen ist schlechterdings unmöglich. Doch wo wir das Wort ergreifen, bleibt es ein Wagnis, und unser Scheitern ist wahrscheinlich.

„Das Scheitern der Osterpredigten war und ist unvermeidlich“, schreibt der nachdenkliche Dichter und Theologe. „Vielleicht macht gerade dieses Scheitern sie glaubwürdig?“ Glaubwürdig, weil das Ostergeschehen eben nicht von dieser Welt ist.

Dr. Stefan Holtmann (1977) ist Pastor der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland an der Christkirche zu Rendsburg. Er hat von 1996-2002 Ev. Theologie in Bielefeld-Bethel und Münster studiert und im Anschluss eine Dissertation zur Rezeption der Theologie Karl Barths verfasst. Von 2012-2014 hat er einen Lehrauftrag für Systematische Theologie an der Universität Göttingen wahrgenommen. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.

[1] Kurt Marti, Gott im Diesseits. Versuche zu verstehen, Stuttgart 2012, S. 87.

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