GOTTES JA ZU DEN MENSCHEN

Pfarrer Joachim Gerhardt erinnert in seinem Weihnachtswort daran, dass es für Christen keine Menschen erster oder zweiter Klasse gibt: Die Botschaft der Weihnachtsgeschichte ist auch ein Aufruf, sich besonders um die zu kümmern, die keine Herberge haben. 

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Pfarrer Joachim Gerhardt

Geistliches Weihnachtswort: Gottes Ja zu uns Menschen

Ohne jede Einschränkung „Ja“ sagen zu können. Das ist die Botschaft von Weihnachten. Wir leben in einer Welt voll von „Wenn“ und „Aber“. Angesichts der Fülle von Angeboten ist es oft auch gar nicht nötig, sich eindeutig zu bekennen. Und wenn doch, flüchten wie uns lieber in ein vorsichtiges, manchmal auch halbherziges „Vielleicht“.

In der Krippe von Bethlehem spricht Gott ein uneingeschränktes Ja zu uns Menschen. Er wird Mensch, um uns ohne jeden Vorbehalt nahe zu sein, so wie ein frisch geborenes Kind seiner Mutter und seinem Vater. Und Gott wird Mensch, damit wir Menschen – das ist die zweite Botschaft von Weihnachten – menschlicher miteinander umgehen.

Was heißt das konkret? Ich denke an eine Geschichte, die man sich bei uns in Bonn im Pfarrkonvent zu Weihnachten erzählt. Es geht um die Vorbereitungen für ein Krippenspiel. Ungezählte Generationen von Kindern und Jugendlichen sind ja durch die Schauspielschule am Stall in Bethlehem gegangen. Und die Tradition der Krippenspiele macht Sinn: Das Geschehen von Bethlehem, das uns das Lukasevangelium überliefert, wird anschaulich. Und die Botschaft von der wunderbaren Menschwerdung Gottes und den Engelworten „Friede auf Erden“ begreifen wir noch viel besser, wenn wir sie verinnerlichen, so wie Schauspieler ihre Rolle.

Ein Ersatzspieler für den Herbergsvater hatte dies besonders eindrucksvoll getan. Es ist Probe zum Krippenspiel: Josef mit seiner hochschwangeren Maria klopft an die Tür der Herberge und bittet um Einlass. Und wie selbstverständlich erklingt die Stimme des Herbergsvaters dahinter: „Ja klar, kommt doch rein!“

Für den Fünfjährigen, der die Rolle für seinen erkrankten größeren Bruder kurzfristig übernommen hatte, ist dies die einzig angemessene Antwort. Auch Erläuterungen zum eigentlichen Lauf der Weihnachtsgeschichte vom abweisenden Gastwirt und dem kargen Stall als Notquartier überzeugen den jungen Herbergsvater nicht wirklich. Jedes Mal wieder erklingt fröhlich und von Herzen die Einladung: „Kommt rein!“ Weihnachten ist doch ein friedliches Fest. Wer dann nicht gastfreundlich ist, wird es ansonsten auch nicht sein, so seine feste Ansicht.

Die Szene hatte sich mehrfach so wiederholt. Schließlich tauschte der kleine Junge seine Rolle mit der eines Hirten. Er war damit zufrieden und die Geschichte konnte jetzt so verlaufen wie jedes Jahr. Von dem tiefen Sinn von Weihnachten hatte der Junge aber alles verstanden.

Gott spricht an Weihnachten sein „Ja“ zu den Menschen. Tue ich es auch! In meinem ganz persönlichen Umfeld. Ich denke an meine Frau, meine Kinder, meine Eltern. Das schönste Geschenk, das ich ihnen machen kann ist dieses Ja. Schön, dass Du da bist. Schön, dass wir zusammen sind. Schön, dass wir füreinander da sind. Und dieses Ja, dieses Geschenk wiegt umso mehr, wenn die Umstände schwierig sind, wenn Missverständnisse, Enttäuschungen, Belastungen zum Beispiel durch Krankheit und Pflege einen auch Grenzen spüren lassen.

Gott spricht an Weihnachten sein „Ja“ zu den Menschen. Tue ich es auch! Auch mit Menschen, die mir fremd sind. Wir erwarten in Deutschland in diesen Monaten viele Flüchtlinge aus Syrien, aus dem Irak und vielen weiteren Ländern. Allein in meiner Stadt werden es an die 1000 sein, die auf der Flucht vor Gewalt und Krieg oder Armut und oft auch allem zusammen zu uns kommen. Mir ist wichtig, mit welcher Einstellung ich ihnen begegne. Denn da kommen keine Flüchtlingsfälle, sondern Menschen. Junge und alte, Menschen mit Ängsten und Sehnsüchten, die im Kern ganz ähnlich sind wie meine: mit der Hoffnung, dass ihr Leben und das ihrer Familie irgendwie gelingt.

Machen wir uns nichts vor: Das wird nicht problemlos geschehen. Aber wo geht es ohne Konflikte, wenn Menschen zusammen kommen? Da werfe der den ersten Stein, der in seinem Familien- und Freundeskreis nicht zumindest ein Beispiel findet. Ich bin überzeugt, dass wir durch die Menschen, die zu uns kommen, bereichert werden.

Ja sagen zu den Menschen. Das ist eine politische Herausforderung für unsere Gesellschaft. Denn es gibt nach christlicher Sicht keine Menschen erster oder zweiter Klasse. Wenn ich die Weihnachtsgeschichte ernst nehme, sind uns sogar die draußen vor den Toren – die Hirten auf den Feldern und die abgewiesenen Eltern, die im kümmerlichen Stall im Dunkel hinter der Herberge ihr Quartier finden – besonders an Herz gelegt.

Weihnachten bedeutet: Gott kommt in unsere Welt und sucht Herberge. Und er kommt in Menschengestalt. Ich darf damit rechnen, in jedem Menschen, der vor meiner Tür steht, auch Gott, zumindest einen Funken von ihm, zu finden.

Ich möchte den Jungen im Krippenspiel im Ohr behalten mit seinem unverdrossenen „Ja, kommt doch herein!“ Und ich frage mich, wo findet Gott in meinem Leben einen Platz? Das ist eine sehr persönliche Frage, die man wohl nie endgültig beantworten kann. Doch es gilt, diese Frage ein Leben lang wachzuhalten.

Und um diese Frage nach Gott lebendig zu halten, helfen andere Fragen, die Anfragen an das Zusammenleben in unserer Gesellschaft sind:

  • Wo finden neue Bürger in meiner Stadt Herberge, also Heimat und Zuflucht?
  • Bietet unsere Leistungsgesellschaft Herberge für die Menschen, die nicht laut ihre Ansprüche benennen können, die nicht so selbstbewusst und erfolgreich sind?
  • Sind unsere Familien noch Herbergen für das Zusammenleben der Generationen, also Orte der Ruhe und des Schutzes, wo doch jeder einzelne so hin- und hergerissen ist von den vielen Ansprüchen, die an einem zerren?
  • Sind unsere Schulen und Hochschulen Herbergen, im guten Sinne Wohn- und Lernstätten, wo Kinder und Lehrende sich entfalten können mit ihren Stärken oder wird hier vor allem das maximal schnelle Funktionieren eingeübt ?

Zwei Antworten, schenkt uns die Weihnachtsgeschichte. Die Erste ist tröstlich: Gott verspricht, mit den Menschen zu sein, die keine Herberge finden. Die Zweite ist ermutigend: Gottes Reich bricht an, wo es jedem von uns gelingt Ja zu sagen. Aus vollem, aus ehrlichem Herzen. Wo das geschieht, da ist Weihnachten.

Joachim Gerhardt (1967) ist Pfarrer an der traditionsreichen Lutherkirche in Bonn und Pressepfarrer der evangelischen Kirche in Bonn. Regelmäßig ist er mit Sendungen im WDR und Radio NRW zu hören und schreibt das „Wort zum Sonntag“ in der Kölnischen/Bonner Rundschau. Pfarrer Gerhardt ist verheiratet und hat zwei Töchter.

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