AFRIKA NEU DENKEN

Christoph Kannengießer fordert einen intensiveren Dialog und eine echte Partnerschaft mit Afrika. Afrika sei einKontinent, dem auf Augenhöhe begegnet werden muss.

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Christoph Kannengießer

Afrika neu denken

Der afrikanische Kontinent ist im Wandel. Die Anzahl der demokratischen Staaten hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten in Afrika deutlich erhöht. Die politische und wirtschaftliche Bedeutung der ehemaligen Kolonialmächte ist zurückgegangen. Neue Akteure wie Brasilien, China und Indien erhalten zusätzliches Ge­wicht. Das Bild eines von Krankheiten, Kriegen und Katastrophen gebeutelten Kontinents gerät beim Blick auf Länder wie Botsuana, Ghana, Kenia und selbst Äthiopien ins Wanken. Ein differenzierter Blick auf Afri­ka ist daher mehr denn je angezeigt.

Der Blick auf Afrika

Afrika ist zugleich ein alter und ein junger Kontinent. Die ersten Menschen hatten ihre Wiege in Afrika. Doch zugleich ist Afrika der Kontinent mit den geringsten historischen Hinterlassenschaften. Nur wenige Gesellschaften haben eine Schrift entwickelt, und auch bauliche Spuren sind nur selten vorhanden. Jahrhun­derte lang wurde der Kontinent von Europäern nur an dessen nördlichen Rand wahrgenommen. Lediglich ei­nige Küstenregionen wurden erschlossen – ansonsten wurde der Kontinent umschifft. Was wir heute über Afrika wissen, wurde vielfach erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgeschrieben. Das Bild prägten Missionare, Abenteurer, Unternehmer – mit ihren jeweils ganz eigenen Interessen und Vorstellungen.

Unser Wissen von und über Afrika hat sich inzwischen deutlich erweitert. In der allgemeinen Öffentlichkeit sind die Kenntnisse über unseren Nachbarkontinent jedoch häufig immer noch geringer als jene über die Länder Asiens oder auch Südamerikas. Wer weiß schon, dass Nigeria mehr Einwohner als Russland hat? Wer hat schon einmal davon gehört, dass in Äthiopien das Christentum eine längere Tradition hat als in den meisten Staaten Europas?

Das Unwissen schafft Raum für Projektionen, die im Fall Afrikas noch etwas bunter oder düsterer als in an­deren Weltregionen ausfallen. Nach der Unabhängigkeit war Afrika in den späten fünfziger und frühen sech­ziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunächst ein Kontinent der Hoffnung. Es folgte jedoch sehr schnell eine jahrzehntelange Phase, in welcher Afrika der Kontinent der Kriege, Krankheiten und Katastro­phen war. Aus dem verlorenen Kontinent ist jedoch innerhalb des letzten Jahrzehnts wiederum ein Kontinent der Chancen, ein Kontinent der Hoffnung und auch ein Kontinent des rasanten Wachstums geworden. Das führt zu seltsamen Parallelentwicklungen. Als Gast-Chefredakteur der Bild-Zeitung brachte der britische Musiker und Aktivist Bob Geldof 2007 ein hungerndes Kind auf das Titelblatt. Einige Zeit später gründete er einen Beteiligungsfonds für Investitionen in Afrika. Auf der einen Seite das Bild der Armut – auf der ande­ren Seite der Kontinent als Investitionsstandort. Die bereits 2007 erkennbaren wirtschaftlichen Fortschritte Afrikas kamen in der Bild-Ausgabe Geldofs jedoch praktisch gar nicht vor.

Inzwischen bezeichnet allerdings nicht nur der Economist Afrika als Kontinent der Hoffnung. Auch deutsche Publikationen, so jüngst der SPIEGEL, berichten hoffnungsvoll, ja teilweise euphorisch über die Entwick­lung unseres Nachbarkontinents. Die Fußball-WM in Südafrika war 2010 gewissermaßen der Wendepunkt im kollektiven Gedächtnis: Das Beratungsunternehmen McKinsey sprach von den Löwen im Aufbruch, die Medien entsandten für einige Monate Sonderkorrespondenten nach Afrika – und plötzlich war der Kontinent in aller Munde. Der Aufbruch in Nordafrika, die Konflikte in Mali und der Zentralafrikanischen Republik; der Terror in Nigeria sorgen jedoch auch für eine Kontinuität im Afrikabild. Es wird weiterhin von den realtiv wenigen Negativbeispielen geprägt.

Afrika vor Ort erleben

Die Vielfalt Afrikas kann eigentlich nur vor Ort entdeckt werden. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kul­tur befinden sich in einem rasanten Veränderungsprozess. Megastädte wie Johannesburg, Lagos oder Kins­hasa sind jeweils die Kristallisationspunkte dieser Veränderungen. Dort bilden sich Mittelschichten, welche die Politik in Bewegung bringen und durch steigenden Konsum für Wachstum sorgen. In den Städten verlie­ren traditionelle Werte langsam an Bedeutung und neue Verhaltensmuster entstehen.

Afrika ist der demographisch jüngste Kontinent und die junge Bevölkerung zieht es vor allem in die Städte. Dort fordert sie vermehrt politische Teilhabe und Lösungen für die täglichen Probleme. Ein Faktor ist dabei der Ausbau der Versorgungsleistungen. Die Menschen verlangen von der Politik Investitionen in den Ener­giesektor, die Wasserversorgung, die Telekommunikation und auch in den Öffentlichen Nahverkehr. Das hat hohe Investitionen in die Infrastruktur zur Folge, die in fast allen afrikanischen Städten sichtbar sind. Die Städte sind damit neben den Bergbauregionen die Wachstumstreiber Afrikas.

Viele Infrastrukturprojekte – sowohl in den Städten als auch in den Bergbauregionen – werden von Chinesen umgesetzt. Die chinesische Wirtschaft und Politik bietet Lösungen – von der Finanzierung bis zur Durchfüh­rung – aus einer Hand an. Es profitieren jedoch nicht nur China und andere Schwellenländer. Der größte Bau­konzern im bevölkerungsreichsten Land Afrikas, Nigeria, mit über 18 Tausend Beschäftigten gehört noch immer zu einem großen Teil dem deutschen Baukonzern Bilfinger. In ostafrikanischen Supermärkten prägt Nivea das Bild in den Regalen für Haut- und Körperpflege; ein Mercedes ist in den meisten afrikanischen Ländern der Inbegriff der gehobenen Automobilität. Turbinen oder Eisenbahntechnik von Siemens besteht gegen die Konkurrenz aus Fernost- Die Dominanz chinesischer Konzerne im Infrastrukturbereich geht also durchaus einher mit Erfolgen deutscher Unternehmen. Die Zeiten in denen deutsche Unternehmen jedoch ganze Staudämme oder die Eisenbahninfrastruktur ganzer Länder aufbauten, scheinen vorbei zu sein. Umso wichtiger ist es, dass sich die Deutschen dort einbringen, wo sie konkurrenzfähig sind.

Afrikas neue Unabhängigkeit

Afrika ist nicht das neue Asien. Die Löwen lösen nicht die Tiger ab. Der afrikanische Kontinent macht seine ganz eigene Entwicklung. Mehr als fünfzig Jahre nach der Unabhängigkeit hat Afrika neue Optionen bei der Auswahl seiner politischen Partner. In den Ländern fordert wiederum eine neue Mittelklasse und eine Grün­dergeneration mehr politische Teilhabe. Dieser Prozess läuft in den 54 Ländern Afrikas nicht im Gleich­schritt ab und ist, wie auch in anderen Weltregionen, nicht vor Rückschlägen gefeit. Es gibt jedoch auch kein zurück mehr in die Zeiten, als ehemalige Kolonialmächte oder selbstherrliche Despoten de facto die Politik und damit auch die Wirtschaft lenken konnten. Die meisten Länder Afrikas haben noch nicht die politischen und wirtschaftlichen Kapazitäten der westlichen Industrieländer. Immer mehr afrikanische Staaten haben je­doch den Anspruch, ihre Entwicklung selbständig und unabhängig voranzutreiben. Afrika wird so tatsächlich zu einem Kontinent, dem auf Augenhöhe begegnet werden muss.

Afrika als Partner Europas und Deutschlands

Das neue Selbstbewusstsein vieler afrikanischer Staaten erfordert ein neues Engagement in der deutschen und europäischen Politik und Wirtschaft. In wichtigen afrikanischen Ländern geben sich Delegationen aus China, Brasilien und Indien die Klinke in die Hand. Die deutsche Kanzlerin reist bisher jedoch nur einmal pro Legislaturperiode nach Subsahara-Afrika. Auch der Besuch eines deutschen Bundeswirtschaftsministers ist in Afrika die Ausnahme. Auf europäischer Ebene ist man durch die Einrichtung eines EU-Afrika-Gipfels schon einen Schritt weiter. Die Bundeskanzlerin hat in diesem Jahr den Gipfel auch für einen intensiven Austausch mit ihren afrikanischen Kollegen genutzt. Doch auch auf europäischer Ebene genießt Afrika noch nicht die Priorität, die es haben sollte. Während umfassende Freihandelsabkommen mit Korea abgeschlossen und mit den USA intensiv diskutiert werden, kommen die Verhandlungen über die Europäischen Partner­schaftsabkommen mit afrikanischen Staaten nur sehr zaghaft voran –wenn überhaupt.

Die heutige wirtschaftliche Bedeutung Afrikas ist zwar verglichen mit anderen Weltregionen gering. Ledig­lich rund drei Prozent des globalen BIP werden in Afrika erzeugt. Nur etwas mehr als zwei Prozent der deut­schen Exporte gehen nach Afrika. In Afrika leben aber bereits heute rund 15 Prozent der Weltbevölkerung und die Wirtschaft entwickelt sich seit einem Jahrzehnt deutlich schneller als die Weltwirtschaft. Die Chan­cen in Afrika sind daher deutlich größer als das derzeitige deutsche Engagement. Viele afrikanische Staaten wünschen sich dies, da sie deutsches Know-How und deutsche Technologie schätzen. „Die beste Zeit einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die nächstbeste Zeit ist jetzt“, sagt ein afrikanisches Sprich­wort. Es ist daher jetzt an der Zeit, einen intensiveren Dialog und eine echte Partnerschaft mit Afri­ka aufzu­bauen.

Christoph Kannengießer (1963) ist Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirt­schaft. 1994-2010 hat­te er verantwortliche Positionen beim Deutschen Industrie- und Handels­kammertag, bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Konrad-Adenauer-Stiftung und beim Markenver­band inne.

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