kreuz-und-quer- Autor Rudolf Lill hofft als Kirchenhistoriker im Interview mit dem Bonner General-Anzeiger, dass mit dem neuen Papst mehr Offenheit und weniger Absolutismus in der Kirche einkehrt.
Hier geht es zum Original-Interview im General-Anzeiger, das Bernd Eyermann mit Rudolf Lill führte.
Welche historische Dimension sehen Sie in der Wahl des Erzbischofs von Buenos Aires?
Rudolf Lill: Zunächst einmal, dass zum ersten Mal seit Jahrhunderten ein Papst gewählt wurde, der nicht aus Europa stammt.
Gab es schon einmal einen Nicht-Europäer als Papst?
Lill: Im ersten Jahrtausend war mal ein Syrer Papst, aber seitdem es das lateinische Christentum gibt, ist es das erste Mal, dass ein Papst aus Lateinamerika kommt. Hinzufügen muss man allerdings, dass seine Familie ja aus Italien stammt. Die italienischen Zeitungen hatten schon spekuliert: Wenn keiner von uns Papst wird, dann wenigstens einer, der mit der italienischen Kultur verbunden ist.
Welche Bedeutung sehen Sie darin, dass sich Bergoglio Franziskus genannt hat
Lill: Ich würde das vergleichen wollen mit 1958. Damals hatte sich der Kardinal Roncalli nicht wie seine Vorgänger Pius, sondern Johannes genannt. Damit gab er zu erkennen, dass er eine mehr brüderliche Ausrichtung als die der Päpste zuvor wollte. Die Benennung nach Franz von Assisi ist offensichtlich ein Bekenntnis zur Kirche der armen Leute.
Johannes XXIII. war der große Reformer der Kirche im 20. Jahrhundert. Sehen Sie weitere Parallelen zu Franziskus
Lill: Im vergangenen Jahrhundert gab es drei Epochen in der katholischen Kirchengeschichte: Bis 1958 waren es die Pius-Päpste, die Absolutismus, Zentralismus und autoritäre Defensive gegenüber der Moderne verkörperten. Mit Johannes kam eine Reformperiode. Er stand für innerkirchliche Mitbestimmung, Kollegialität unter den Bischöfen und eine mutige Öffnung zur Welt. Sein Nachfolger Paul VI. hat da im Wesentlichen weitergemacht. Dann wurde vielen in der Kirche die Konzilsbewegung zu radikal, und sie zogen sich zurück. Auch Einflüsse der 68er Bewegung wirkten in diese Richtung. An der Konzilsbewegung war maßgeblich der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings beteiligt gewesen. Seine engsten Berater waren die beiden Bonner Theologieprofessoren Hubert Jedin und Joseph Ratzinger. Als Beobachter der altkatholischen Kirche war der Bonner Professor Werner Küpper im Konzil dabei.
Und wann ging es wieder zurück?
Lill: 1978 mit der Wahl des damals schon weit rechts stehenden polnischen Erzbischofs Wojtyla. Der hat den Zentralismus, den Autoritarismus und den Absolutismus, den es eigentlich erst seit dem 19. Jahrhundert gab, der also nicht zum historischen Wesen der Kirche gehört, wieder hergestellt. Als vor acht Jahren Johannes Paul II. starb, hatte er die Weichen zur Wahl des längst nach rechts gerückten Ratzingers schon gestellt.
2005 gab es eine ansehnliche Opposition unter den Kardinälen, die den Kandidaten Bergoglio zum Papst machen wollten. Wie bewerten Sie das heute?
Lill: Geführt wurde diese Opposition von dem Mailänder Kardinal Martini, dem großen geistigen Antipoden Ratzingers im Kardinalskollegium. Der hat in seinem letzten Interview kurz vor seinem Tod im August vorigen Jahres gesagt: „Die Kirche ist inzwischen 200 Jahre zurück. Warum rüttelt sie sich nicht auf?“ Martini wollte zu den Zielen des Konzils zurück. Sein Kandidat war Bergoglio. Ihm traute man also 2005 am ehesten eine maßvolle Wende zurück zur Kollegialität und Offenheit der Kirche zu. Deshalb hoffe ich darauf nun auch.
Sehen Sie denn Perspektiven für einen solchen Kurswechsel?
Lill: Nur geringe, schließlich sind ja alle derzeitigen Papstwähler von Johannes Paul und Benedikt ernannt worden. Ich könnte mir aber vorstellen, dass der autoritär-zentralistische Stil abgemildert wird, dass der Papst also die Bischöfe vor wichtigen Entscheidungen konsultiert.
Glauben Sie, dass es ähnlich wie 2005 Kardinäle gibt, die erzählen, wie es im Konklave zur Wahl Bergoglios gekommen ist?
Lill: Das hoffe ich. Für die Kirchengeschichte ist das Studium der Konklave von größter Wichtigkeit – auch wenn es die Mystifikation um das Papsttum erschwert. In dieser Hinsicht hat auch Benedikt dem Papsttum einen großen Dienst erwiesen. Durch seinen Rücktritt hat er das Amt in die Normalität menschlicher, auch politischer Verhältnisse zurückgeholt.