ÖKUMENE DER MÄRTYRER

Klaus Mertes SJ erinnert an die explizite ökumenische Einheit der katholischen und protestantischen Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und fragt nach der Bedeutung für uns heute.

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Klaus Mertes

ÖKUMENE DER MARTYRER 

2017 erinnern sich Christen in Deutschland an Martin Luthers Thesenanschlag an der Augustinerkirche in Wittenberg und damit an die Reformation. Wäre 2017 aber nicht auch ein Jahr, an dem man daran erinnern könnte, dass im Land der Reformation fast 450 Jahre später Protestanten und Katholiken im gemeinsamen Martyrium gegen die nationalsozialistische Diktatur zu einer neuen Einheit gefunden haben? Die Geschichte ist weitergegangen, auch die Heilsgeschichte, wie das Beispiel des gemeinsamen Martyriums des Protestanten Helmuth James v. Moltke und des Jesuiten Alfred Delp zeigt.

Am 23.1.1945 wurde Helmuth James von Moltke in Berlin/Plötzensee hingerichtet. Ihm folgte am 2.2.1945 der Alfred Delp. Die Asche der Leichen wurde – wie die aller Ermordeten des Widerstandes nach dem 20.7.1944 – auf  die Rieselfelder Berlins verstreut. Heute wird ihrer in der katholischen Kirche Maria Regina Martyrum und in der evangelischen Plötzensee-Kirche in der Nähe der Hinrichtungsstätte gedacht. Die beiden Kirchen sind verbunden durch einen gemeinsamen Glockenturm.

Der Widerstand von Katholiken und Protestanten (und natürlich auch von Sozialdemokraten, Gewerkschaftlern u.a.) führte zu Überwindung trennender konfessioneller und gesellschaftlicher Schranken; dies ist die Frucht des Widerstandes. Philipp von Boeselager formulierte es in seinem letzten Interview auf die abschließende Frage: „Haben Sie noch etwas auf dem Herzen?“ folgendermaßen: „Ich hoffe, ich habe das klar gemacht. Ich bin als Nicht-Preuße, Anti-Protestant groß geworden und als Anti-Franzose. Meine Preußenfeindlichkeit hat sich durch Tresckow, Kleist, Oertzen, Schulze-Büttner und diese Kerle gelegt. Ich habe dann die richtigen Preußen kennen gelernt. Und besonders die protestantische Kirche, mit denen wir verfeindet waren, schätzen gelernt, und ich behaupte immer, die Ökumene hatte ihren Ursprung im KZ und im Widerstand.“[1].

Es ist wichtig, die Reihenfolge des letzten Satzes zu betrachten: Nicht die ökumenische Gesinnung führte in den Widerstand, sondern der Widerstand brachte die Ökumene hervor. Für Moltke war diese Zusammenführung der Konfessionen nicht nur ein von Menschen gemachtes religionspolitisches Ereignis, sondern ein konkretes Wirken des Geistes Gottes in der Geschichte. Nach seinem Prozess vor dem Volksgerichtshof am 10.1.1945 schrieb er an seine Frau: „Und dann wird dein Wirt[2] ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft mit Katholiken attackiert und verurteilt zu werden, und dadurch steht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher – das ist alles ausdrücklich in der Hauptverhandlung ausgeschlossen -, sondern als Christ und als gar nichts anderes … Zu welch eine gewaltigen Aufgabe ist Dein Wirt ausersehen gewesen: All die viele Arbeit, die der Herrgott mit ihm gehabt hat, die unendlichen Umwege, die verschrobenen Zickzackkurven, die finden plötzlich in einer Stunde am 10. Januar 1945 ihre Erklärung. Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war.“[3]

Vom Ende her entschlüsselt sich der Sinn des Ganzen. Moltke, Delp und Gerstenmaier hatten anderes im Sinn, als sie am 9.1.1945 dem Volksgerichtshof vorgeführt wurden. Mehrere Monate lang hatten sie sich im Tegeler Gefängnis auf ihre Verteidigung vorbereitet. Am Abend des 8.1.1945 wurden ihnen die Anklageschriften überreicht. Sie lautete generell auf Hoch- und Landesverrat. Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus sowie „Defätismus“ wurden ihnen nachgewiesen und zur Last gelegt. Der Vorwurf der Beteiligung am Attentat vom 20.7.1944 wurde nicht erhoben. Moltke war seit Januar 1944 in Haft und konnte allein schon deswegen nicht direkt mit dem Attentatsversuch vom 20.7. in Verbindung gebracht werden. Er hatte sich zudem im Gegensatz zu den militärischen und bürgerlichen Widerstandskreisen gegen einen Anschlag gestellt; erst müsse Deutschland vollkommen besiegt werden, dann könne etwas Neues entstehen. Deswegen hatte er im „Kreisauer Kreis“[4] Freunde mit dem Ziel gesammelt, sich Gedanken über die gesellschaftliche Ordnung nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Deutschlands zu machen. Doch für Freisler bestand unausgesprochen ein innerer Zusammenhang zwischen dem Attentat vom 20.7.2944 und dem Gedankengut des „Kreisauer Kreises“. Das zeigte sich dann auch im Laufe des Prozesses.[5] Moltkes Verteidigungsstrategie lief jedenfalls darauf hinaus, alle Kontakte mit dem „Goerdeler-Kreis“ so darzustellen, dass ihm eine Mitwisserschaft mit den Attentatsplänen nicht nachgewiesen werden konnte.

Im Unterschied zu den stalinistischen Schauprozessen ging es den Nationalsozialisten bei ihren Prozessen gegen die Widerstandskämpfer auch sehr darum, den Schein des Rechts zu wahren. So spitzte sich die Situation zwischen Freisler und Moltke emotional zu, als einzelne Anklagepunkte ins Leere liefen; Moltke wies darauf hin, dass seine Besprechung mit Goerdeler Polizei und Gestapo bekannt war. Da „bekam Freisler Tobsuchtsanfall Nr. 1 … Er hieb auf den Tisch, lief rot an wie seine Robe und tobte: `So etwas verbitte ich mir, so etwas höre ich mir gar nicht an.´ Da ich ohnehin wusste, was rauskam, war mir das alles ganz gleich: Ich sah ihm eisig in die Augen, was er offenbar nicht schätzte, und plötzlich konnte ich nicht umhin zu lächeln.“[6]

Es ist eine Situation, die sich zu meditieren lohnt. Der „eisige Blick“ erinnert an die großen geistlichen Konfrontationen der Weltgeschichte, etwa wenn der Prophet Elija vor König Ahab tritt: „Hast du mich gefunden, mein Feind?“ fragt Ahab (1 Kön 21,22). Das Lächeln Moltkes gemahnt an die souveräne Reaktion Christi auf den Machtanspruch von Pilatus: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.“ (Joh 19,11) Die Machtverhältnisse zwischen Ankläger und Angeklagtem drehen sich. Moltke beschreibt diesen entscheidenden Augenblick in seinem Brief an Freya so: „Ich weiß nicht, ob die Umsitzenden das alles mitbekommen haben, denn es war eine Art Dialog – ein geistiger zwischen Freisler und mir, denn Worte konnte ich nicht viele machen -, bei dem wir uns beide durch und durch erkannten. Von der ganzen Bande hat nur Freisler mich erkannt, und von der ganzen Bande ist er auch der Einzige, der weiß, warum er mich umbringen muss.“[7]

An dieser Stelle gelangt das verdeckte geistliche Geschehen ans Tageslicht: die ökumenischen Kontakte Moltkes werden zum neuen Anklagepunkt. Freisler sagt über den Kreisauer Kreis: „Wer war denn da? Ein Jesuitenpater! Ausgerechnet ein Jesuitenpater! Ein protestantischer Geistlicher.[8] … Kein einziger Nationalsozialist! … Ein Jesuitenpater, und ausgerechnet mit dem besprechen Sie Fragen des zivilen Widerstandes! Und einen Jesuitenprovinzial kennen Sie auch, … einer der höchsten Beamten von Deutschlands gefährlichen Feinden …“[9]

Diese Entwicklung der Anklage überraschte auch Moltke. Doch er empfand sie als Geschenk: „Letzten Ende entspricht diese Zuspitzung auf das kirchliche Gebiet dem inneren Sachverhalt und zeigt, dass Freisler eben doch ein guter politischer Richter ist. Das hat den ungeheuren Vorteil, dass wir nun für etwas umgebracht werden, was wir a. gemacht haben, und was b. sich lohnt … Wir sind nach dieser Verhandlung … aus jeder praktischen Handlung raus, wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben … Dass ich als Martyrer für den Heiligen Ignatius von Loyola sterbe – und darauf kommt es letztlich hinaus, denn alles andere war daneben nebensächlich -, ist wahrlich ein Witz, und ich zittere schon vor dem väterlichen Zorn von Papi, der doch so antikatholisch war. Das andere wird er billigen, aber das? Auch Mami wird wohl nicht ganz einverstanden sein … Das Dramatische an der Verhandlung war letzten Ende Folgendes: In der Verhandlung erwiesen sich alle konkreten Vorwürfe als unhaltbar, und sie wurden auch fallen gelassen. Nichts davon blieb. Sondern das, wovor das dritte Reich solche Angst hatte … ist letzten Ende nur folgendes: ein Privatmann, nämlich dein Wirt, von dem feststeht, dass er mit zwei Geistlichen beider Konfessionen, mit einem Jesuitenprovinzial und mit einigen Bischöfen, ohne die Absicht, irgendetwas Konkretes zu tun, und das ist festgestellt, Dinge besprochen hat, `die zur ausschließlichen Zuständigkeit des Führers gehören´.“[10] Hellhörig hört Moltke – um es in biblischer Sprache zu sagen – das Christusbekenntnis des unterlegenen Satan: „Freisler sagte zu mir in einer seiner Tiraden: Nur in einem sind das Christentum und wir gleich: Wir fordern den ganzen Menschen.“[11]

Es ist eine geistliche Frage, ob die katholischen und protestantischen Nachfahren in Deutschland diese explizite ökumenische Einheit als Grund für das Martyrium bloß als Tatsache hinnehmen, oder ob sie das Ereignis als das ansehen, was es für Moltke, Delp und viele andere bedeutete: Ein Wirken Gottes in der Geschichte. So gesehen gibt es im Land der Reformation seit dem 10. Januar 1945 eine von Gott gewirkte Einheit der Christen, hinter die Christen nicht mehr zurückkehren können. Wäre das nicht auch ein Thema in Hinblick auf das Jubiläumsjahr 2017?

[1] Philipp von Boeselager, Interview, FAZ 2.5.2008
[2] „Wirt“ ist die übliche Selbstbezeichnung Moltkes in den Briefen an seine Frau[3] zitiert nach Brakelmann, S.357
[4] Die Bezeichnung „Kreisauer Kreis“ wurde zuerst von der Gestapo verwandt
[5] Freisler gegenüber Sperr. „Der Moltke-Kreis war bis zu einem gewissen Grade der Geist des „Grafen-Kreises“, und der wieder hat die politische Vorbereitung des 20. Juli gemacht; denn der Motor des 20. Juli war ja keineswegs Herr Goerdeler, der wahre Motor steckte in diesen jungen Männern.“ (Brakelmann, S. 351)
[6] ebd., S.351
[7] ebd., S. 357
[8] gemeint: Eugen Gerstenmaier
[9] ebd., S. 354
[10] ebd., S. 355
[11] ebd., S.357

Klaus Mertes SJ (1954) ist Kollegsdirektor kam Kolleg St. Blasien. Er hat Slawisitik und Klass. Philologie in Bonn studiert und 1977 in den Jesuitenorden eingetreten. Anschließend studierte er Philosphie und kath. Theologie in München und Frankfurt a. M. und wurde 1986 zum Priester geweiht. Nach dem 2. Staatsexamen für Kath. Religion und Latein war er Lehrer an der St. Ansgar-Schule in Hamburg und am Canisius-Kolleg in Berlin, dessen er Rektor er 2000-2011 war. Klaus Mertes ist Mitglied im Zentralkommitte der dt. Katholiken und im Kuratorium Stiftung 20. Juli 1944

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