Papstgeschichte – Welchen Platz hat Franziskus?


Hier kommt der zweite Teil des Doppelportraits von Papst Franziskus. Dr. Ulrich Ruh betrachtet Franziskus im Kontext der neueren Papstgeschichte.


Dr. Ulrich Ruh

Die Päpste seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil bis zum am Ostermontag verstorbenen Franziskus bilden eine interessante Reihe. Auf Johannes XXIII., der überraschend das Konzil einberief, es aber nicht zu Ende führen konnte, folgte Paul VI. als eigentlicher „Konzilspapst“. Vom Typ her ein Intellektueller mit großer Erfahrung im kurialen Apparat, hatte er die undankbare Aufgabe, die von ihm grundsätzlich bejahten Reformen des Zweiten Vatikanums umzusetzen und zerbrach fast an den damit verbundenen innerkirchlichen Spannungen und Konflikten. Dann kam 1978 als das Jahr der drei Päpste: Das nur einen Monat dauernde Intermezzo von Johannes Paul I. mündete in die überraschende Wahl des erst 58jährigen Kardinalerzbischofs des polnischen Krakau zum Papst, mit der in vieler Hinsicht eine neue Epoche der Papst- und Kirchengeschichte begann.

Karol Woityla, der erste nichtitalienische Papst seit vielen Jahrhunderten, entfaltete in seinem Amt von Anfang an eine ungeheure Dynamik, durch eine Rekordzahl von Enzykliken, angefangen mit der programmatischen Antrittsenzyklika „Redemptor hominis“, wie durch unzählige Reisen quer durch alle Erdteile, vielfach von Menschenmassen umjubelt. Er hatte unbestreitbar einen beträchtlichen Anteil an der Überwindung des „real existierenden Sozialismus“ als aufgezwungenem Herrschaftssystem in Mittel- und Osteuropa, nicht zuletzt in seinem Heimatland Polen, und versuchte, die Kirche in Lateinamerika angesichts ihrer konfliktreichen „bevorzugten Option für die Armen“ auf Kurs zu halten. Johannes Paul II. gab die Parole von der Notwendigkeit einer „neuen Evangelisierung“ aus, für die etwa die Etablierung der Weltjugendtage steht. Er ließ nach der Bischofssynode von 1985 einen Weltkatechismus und ein neues kirchliches Gesetzbuch erarbeiten, das den CIC von 1917 ersetzte. Gleichzeitig verteidigte er die katholische Morallehre vor allem im Bereich der Sexualmoral mit hohem Einsatz.

Die Nachfolge des polnischen Papstes, der in seiner langen Regierungszeit die Möglichkeiten seines Amtes auf eine in mancher Hinsicht problematische Weise überdehnt hatte und die Kirche in einer Mischung aus Stress und Leerlauf zurückließ, trat Kardinal Joseph Ratzinger an, bei seiner Wahl zum Papst Präfekt der Glaubenskongregation und davor kurz Erzbischof von München und Freising. Das Pontifikat des ersten deutschen Papstes seit der Reformationszeit, das nach nur acht Jahren durch den überraschemden Rücktritt vom Amt zu Ende ging, stand vor allem im Zeichen der Stabilisierung und Konsolidierung. Die Reisetätigkeit schränkte er verglichen mit seinem Vorgänger deutlich ein; seine theologisch gehaltvollen Enzykliken widmeten sich Grundpfeilern der christlichen Botschaft wie der Liebe und der Hoffnung. Als Novum in der neueren Papstgeschichte veröffentlichte der frühere Dogmatiker Benedikt XVI. als Papst ein dreibändiges Werk über Jesus von Nazareth und erwies sich nicht zuletzt dadurch als ausgesprochener „Theologenpapst“. Offensichtlich erschöpft und gesundheitlich angeschlagen, trat er im Frühjahr 2013 zurück und wurde für den Rest seines Lebens zum „emeritierten Papst“.

Die Wahl von Kardinal Jorge Mario Bergoglio, des Erzbischofs von Buenos Aires, zum Nachfolger von Benedikt XVI. bekräftigte die Abkehr von der Selbstverständlichkeit eines Papstes aus Italien. Allerdings blieben die Kardinäle mit dem Argentinier Bergoglio sozusagen noch im Dunstkreis Europas, war der lateinamerikanische Erzbischof doch Sohn von Einwanderern aus Italien und sogar noch mit dem piemontesischen Dialekt seiner familiären Heimat vertraut. Im Stil seiner Amtsführung ließ der neue Papst in seiner unkonventionellen Spontaneität und menschlichen Zugewandtheit an die Anfänge des Pontifikats von Johannes Paul II. denken; von ihm wie von seinem Vorgänger unterschied er sich allerdings dadurch, dass er nicht im Apostolischen Palast, sondern im vatikanischen Gästehaus Santa Marta seine Wohnung bezog.

Er nahm die Reisepraxis Johannes Pauls II. – jedenfalls quantitativ gesehen – wieder auf (den Anfang der päpstlichen Auslandsreisen hatte schon Paul VI. gemacht), setzte aber etwa bei der Ernennung von Kardinälen insofern eigene Akzente, als er traditionelle Kardinalssitze in der Weltkirche nicht selten zugunsten von Kandidaten aus eher exotischen Weltgegenden und kleinen Ortskirchen überging. Die vom ihm ins Werk gesetzte Reform der römischen Kurie veränderte das kuriale Gefüge nicht grundstürzend, brachte aber durchaus einige Veränderungen, etwa durch Zusammenlegung oder Neuumschreibung einiger Behörden. Immerhin wurde unter Papst Franziskus erstmals eine Ordensfrau zur Leiterin des entsprechenden Dikasteriums berufen.

Die größte strukturelle Dynamik auf weltkirchlicher Ebene, durch der Papst aus Argentinien gegenüber seinen Vorgängern seit dem Konzil neue Wege einschlug, betraf die Institution Bischofssynode: Als Teil der Kirchenreform des Zweiten Vatikanums ins Leben gerufen, verlor sie unter Johannes Paul II. zunehmend an eigenem Gewicht im Sinn der bischöflichen Kollegialität. Unter dem Stichwort der „Synodalisierung der Kirche“, das Papst Franziskus gleich zu Beginn seines Pontifikats als Programm herausstellte, wurde die Synode in Bezug auf den Teilnehmerkreis wie auf die Abläufe neu geordnet, nicht zuletzt durch die Aufteilung der Synode in zwei aufeinander folgende Versammlungen. Franziskus hinterlässt das damit in Gang gesetzte „Projekt Synode“ unabgeschlossen seinem Nachfolger.

Durch die Unterschiede in persönlicher Prägung und Stil der Amtsführung ist das Papstamt in mancher Hinsicht in den letzten Jahrzehnten in Bewegung geraten. Es bietet mit seinen fast unbegrenzten rechtlichen Vollmachten und an seinem globalen Ansehen nach wie vor Möglichkeiten, über die kein anderer christlicher Amtsträger verfügt. Das wird auch eine gewaltige Herausforderung für den nächsten Papst bleiben.


Dr. Ulrich Ruh

Dr. Ulrich Ruh (1950) ist Honorarprofessor an der Universität Freiburg im Breisgau und war 1991 – 2014 Chefredakteur der „Herder Korrespondenz“. Er studierte Katholische Theologie und Germanistik in Freiburg und Tübingen und legte 1974 das Staatsexamen für das Höhere Lehramt ab. Danach war er bis 1979 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät Freiburg (Prof. Karl Lehmann) am Lehrstuhl für Dogmatik und Ökumenische Theologie. 1979 wurde er in Freiburg mit einer Arbeit über Begriff und Problem der Säkularisierung zum Dr. theol. promoviert und trat im gleichen Jahr in die Redaktion der „Herder Korrespondenz” ein.

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