EINE NEUE KULTUR DES ALTERS

Dieter Hackler will  überholte Kischees über das Alter überwinden.

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Dieter Hackler

Eine neue Kultur des Alters
– Alter in der modernen Gesellschaft –

Es ist Zeit für eine neue Kultur des Alters. Weg von Klischees und Stereotypen, die noch von Bildern aus den vorigen Jahrhunderten stammen. Wir sind dem Menschheitstraum eines langen, gesunden Lebens heute näher denn je. In den vergangen einhundert Jahren hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in Deutschland um dreißig Lebensjahre verlängert. Dass so viele Menschen in guter körperlicher und geistiger Gesundheit alt werden, ist historisch neu.

Mit dieser wunderbaren Entwicklung ist es an der Zeit, ein Umdenken anzustoßen und ein differenziertes Bild vom Alter in einer Gesellschaft des langen Lebens zu zeichnen. Im Sinne des christlichen Menschenbildes, das Menschen nicht festlegt und im Hinblick auf die Zukunft offen ist, ist der Vielfalt des Alters ausreichend Raum in der Gesellschaft zu geben.

Wie werden wir alt?

Das Alter gibt es nicht. Alter ist vielfältig, denn Menschen altern auf sehr unterschiedliche Art und Weise. So vielfältig sich die Lebensläufe schon nach Schule, Studium oder Familiengründung ausdifferenzieren, so bunt entwickeln sie sich erst recht mit zunehmendem Alter. Dabei reicht das Themenspektrum von „A“ wie differenzierte Altersbilder über „P“ wie menschenwürdige Pflege bis „Z“ wie engagierte Zivilgesellschaft und Teilhabe.

Altwerden, ohne alt zu sein – das wünschen sich viele Menschen. Der Begriff Alter und unsere eigenen Bilder vom Alter sind oft noch geprägt von überkommenen Vorstellungen von im Wesentlichen zu betreuenden und zu versorgenden älteren Menschen. Der Sechste Altenbericht hat aus wissenschaftlicher Perspektive gezeigt, dass eine rein fürsorgerische Sicht auf das Alter – auch wenn sie gut gemeint ist – der Vielfalt nicht entspricht. Der Bericht macht deutlich, dass die dominierenden Altersbilder in den zentralen Bereichen der Gesellschaft – etwa in den christlichen Kirchen und Religionen, der Arbeitswelt, der Bildung, der Wirtschaft, der Politik, beim Zivilengagement oder in der medizinischen und pflegerischen Versorgung – der Vielfalt des Alters häufig nicht gerecht werden.

Dabei können und sollen negative Altersbilder nicht einfach gegen positive ausgetauscht werden. Vielmehr sollte das Alter und das Altern differenziert in allen Facetten betrachtet, die Reflektion von Altersvorstellungen angeregt und etablierte Denk- und Verhaltensmuster auf die zugrundeliegenden Altersbilder geprüft werden.

Eine an den Stärken und Gestaltungsspielräumen des Alters orientierte Sicht schließt natürlich nicht aus, gleichzeitig auch die Grenzen des Alters im Blick zu behalten. Hilfe und Unterstützung müssen dort angeboten werden, wo es erforderlich ist, um ein selbstbestimmtes und selbständiges Leben zu sichern.

Wo werden wir alt? 

Wer Konzepte für eine Gesellschaft des längeren Lebens finden will, muss sich die Frage stellen, in welcher Gesellschaft er selbst künftig leben will.

Ein Umfeld, in dem man gut alt werden kann, ist die Gemeinschaft. Alleinsein ist keine gute Voraussetzung für ein aktives Alter und fatal, wenn man Hilfe braucht. Die erste und engste Gemeinschaft ist die Familie. Die Frage ist, ob es gelingen kann, den Zusammenhalt, der Familie als Gemeinschaft stark macht, zumindest in Teilen auf etwas größere Gemeinschaften zu übertragen.

Im Englischen gibt es den Begriff der „caring community“: eine Mitverantwortung der lokalen Gemeinschaft für das Wohlergehen ihrer Mitglieder. Dazu gehört die Bereitschaft, diese Verantwortung zu übernehmen, aber auch Strukturen, die dies ermöglichen und stabilisieren. Das Leitbild einer „sorgenden Gemeinschaft“ ist eine Art neuer Gesellschafts- und Generationenvertrag, der den Zusammenhalt von Alt und Jung unter den Bedingungen demografischer Veränderungen erhält und erneuert.

Was können wir tun? 

Die Entwicklung einer Kultur der gegenseitigen und generationenübergreifenden Wertschätzung soll die Potenziale einer jeden Generation sichtbar machen und dabei den Blick auch auf die Beiträge älterer Menschen für Familie und Gesellschaft richten, die allzu oft als selbstverständlich angesehen werden. Zu den Voraussetzungen solidarischen Miteinanders zählt, dass die Lebensleistung älterer Menschen Respekt und Anerkennung erfährt. In gleicher Weise sollen und wollen sich aber auch ältere Menschen solidarisch zeigen mit den jüngeren Generationen.

In einer Gesellschaft des langen Lebens stecken enorme Kräfte: die Zeit und die Bereitschaft gerade der Älteren, Verantwortung zu übernehmen und sich zu engagieren. Das freiwillige Engagement sorgt für Zusammenhalt und Gemeinschaft und wirkt in einem Maße solidaritätsstiftend, wie es der Staat allein nie bewirken könnte. Es muss in eine Infrastruktur für bürgerschaftliches Engagement vor Ort investiert werden, um älteren Menschen neue Wege für Selbst- und Mitverantwortung in der Zivilgesellschaft zu ebnen, auch über Familiengrenzen hinaus.

Die christlichen Kirchen und andere Religionsgemeinschaften sind in besonderer Weise für ältere Menschen von Bedeutung. Sie erreichen einen großen Teil der älteren Menschen, erbringen in großem Umfang Dienstleistungen für sie und können sich umgekehrt einer großen Loyalität erfreuen. Hierin liegt eine Chance für Kirche und Gesellschaft, die Gestaltungspotenziale im Sinne einer neuen Kultur des Alters sichtbar zu machen und vielseitige, realistische Altersbilder zu verankern.

Wir können die Chancen erkennen und eine älter werdende Gesellschaft positiv gestalten, wenn wir uns rechtzeitig darauf einstellen, wenn wir vielfältige und realistische Altersbilder zulassen und wenn wir anerkennen, dass viele Ältere ihre Fähigkeiten und ihr Wissen einbringen wollen und wir ihnen Möglichkeiten hierfür eröffnen.

Zu den Grundeinsichten christlichen Glaubens gehört die Erkenntnis, dass alle Menschen Verantwortung für diese Welt tragen – und zwar unabhängig von ihrem Lebensalter. Jede Lebensphase hat ihre eigene einzigartige Bedeutung, die so nicht mehr wiederkommen wird. Jedes Alter hat seine Grenzen und jedes Alter hat auch seine schönen Seiten. Alle Menschen sollen dazu eingeladen werden, ihre Vorstellungen vom Alter zu hinterfragen und dieser Lebensphase mit Zuversicht entgegen zu sehen.

 

Dieter Hackler(1953), Ministerialdirektor, ist seit 2006 Leiter der Abteilung Ältere Menschen, Wohlfahrtspflege, Engagementpolitik im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Er war zuvor über zehn Jahre Pfarrer der Evangelischen Kreuzkirchengemeinde Bonn und wurde 1991 zum Bundesbeauftragten für den Zivildienst berufen.

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