NEUSTAAT

Thomas Heilmann sieht Deutschland vor einer Richtungsentscheidung und plädiert für einen grundlegenden Perspektivwechsel beim staatliches Handeln.

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Thomas Heilmann

NEUSTAAT – Deutschland vor einer Richtungsentscheidung

Die Welt wandelt sich in tosendem Tempo: China bewegt sich zwischen anziehender Dynamik und abstoßender Digitaldiktatur, Russland arbeitet mit Militärinterventionen und Fake News, um sich wieder an die Weltspitze zu tricksen und in der Türkei ringen Freiheit und Demokratie gegen Autokratie und Islamisierung. Unsere Freunde werden egoistischer und vernachlässigen ihre Partner. Die uns bislang sichernde Institutionen EU und Nato werden geschwächt. Google, Facebook und Amazon versuchen Staaten und Banken als mächtigste Akteure der Welt abzulösen, scheren sich aber nicht um Datenschutz, noch um faire Steuern. Der Klimawandels wird teuer und führt zu erheblichen Verteilungskämpfen. Die Digitalisierung verschärft den Wandel.

In einer solchen Umwelt können unsere Gesellschaft und unsere Werte ohne dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg schwer bestehen.

Wir stecken in der Komplexitätsfalle: Für die großen Herausforderungen der Zeit sind wir zu bürokratisch, zu starr und zu langsam. Was in der Krise möglich war, ist längst nicht der Normalfall. Die Folge sind langwierige Prozesse, un- zufriedene Bürger und gescheiterte Projekte. Kennen Sie ein öffentliches Großprojekt, das in den letzten Jahren pünktlich und ohne Kostensteigerungen abgeschlossen wurde? BER und Stuttgart 21 sind nur zwei von unzähligen Symptomen. Auch während der Corona-Krise konnte der Öffentliche Dienst die Unzulänglichkeiten des Systems nur mit größtem Einsatz ausgleichen. Das Robert Koch-Institut blieb bei der Zählung der Infektionszahlen trotzdem hinter einer amerikanischen Privat-Universität zurück. Wir können den berechtigten alten und neuen Ansprüchen der Gesellschaft erkennbar nur schwer gerecht werden. Polarisierung und Populismus sind nur einige Früchte dessen.

Dem Staat droht die Handlungsunfähigkeit, aber das Gute ist: Wir haben das Ruder noch in der Hand. Wenn wir es rechtzeitig herumreißen, können wir eine neue Erfolgsgeschichte schreiben.  Wir brauchen eine grundlegende Reform der staatlichen Verwaltung.

Dabei reicht es aber nicht, wenn wir uns insolierte Reformen in einzelnen staatlichen Handlungsfeldern überlegen. Wir können und sollten auf eine bessere Bildung hinarbeiten, für eine sichere Rente sorgen, den Infrastrukturausbau voranbringen und ein klares Bild von einer Digitalisierungsstrategie für das ganze Land haben. Aber: Wirtschaftlicher Erfolg und gesellschaftlicher Wohlstand hatten schon immer ihr Fundament in funktionierenden staatlichen Strukturen und Systemen.

Deswegen müssen wir den strukturellen Problemen auf den Grund gehen und brauchen eine grundlegende Modernisierung der Politik und der Verwaltung. 65 Abgeordnete der Unionsfraktion und 35 Experten aus Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft haben sich zusammengeschlossen, um eine Gesamtstrategie für Deutschland zu entwerfen. Das Ergebnis – zusammengefasst im Buch NEUSTAAT – könnte der Beginn eines Modernisierungsjahrzehnts für Deutschland sein.

Bei Staatsmodernisierung denken viele an Digitalisierung. Dabei ist es viel mehr als das. Natürlich müssen wir digitalisieren, aber wenn wir unsere dahinter liegenden Prozesse nicht verändern, wird das nicht viel bringen: Dann werden schlechte analoge Prozesse einfach nur zu schlechten digitalen Prozessen. Um die Politik, Staat und Verwaltung spürbar effizienter zu machen, brauchen wir einen Kulturwandel in der innerbehördlichen Zusammenarbeit, neue Prozesse, eine neue Gesetzestechnik und auch einen ganz neuen Umgang mit dem Personal.

In „NEUSTAAT“ stellen wir Konzepte vor, wie wir Talente schneller mit unterschiedlichen Kompetenzen einstellen, gerechter beurteilen und transparenter befördern. Für Letzteres wollen wir das 360-Grad-Feedback einführen: Bedienstete werden dann nicht nur von ihrem Vorgesetzten bewertet werden, sondern von allen Beteiligten.

Wir sollten Beförderungsentscheidungen auch viel mehr als bisher nach fachlichen Kriterien treffen. Fast alle größeren Projekte haben jetzt schon eine starke IT-Basis. Wer in Zukunft leitende Funktionen übernehmen will, muss Erfahrungen mit IT-Projekten haben. Auch Perspektivwechsel müssen belohnt werden. Statt sich Talente gegenseitig abzuwerben, wollen wir eine Rotationspflicht einführen. Ich muss also auch mal woanders gearbeitet haben, wenn ich aufsteigen möchte. Das schafft auch Verständnis für die Anforderungen und Probleme anderer Behörden.

Was z.B. mit der Ansiedlung von Tesla in Brandenburg geklappt hat: eine Zusammenarbeit im Team mit allen beteiligten Behörden, mit einem klaren Zeitplan und einem klaren Ziel – das muss der Regelfall in Behörden für alle wichtigen Veränderungen werden. Heute arbeiten alle nacheinander und wenn der fünfte dran ist, hat sich das Ergebnis des Ersten schon überholt. Dieses System, dessen Kern das Mitzeichnungsverfahren ist, wurde Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland verbindlich, um das komplette Durcheinander preußischer Behörden zu beenden. Heute wirkt es vielfach als strukturelles Korsett. Wir müssen derartiges Silodenken überwinden.

Projektarbeit sollte – da wo es sinnvoll ist – die Standard-Arbeitsform der Verwaltung sein. Das geht natürlich nicht ohne die richtige digitale Infrastruktur und erfordert umfangreiche Reformen hin zu interoperablen Systemen. Dazu müssen wir z.B. Open Source zur Bedingung im Vergabeverfahren machen oder in einem Verwaltungs-Appstore interoperable Lösungen für alle Kommunen zur Verfügung stellen.

Auch die Politik muss sich verändern: Wir müssen lernen, datenbasierter und differenziert Entscheidungen zu treffen und diese zu prüfen. In NEUSTAAT schlagen wir vor, mit einem Gesetz auch immer Ziele zu verabschieden, an denen der Erfolg des Gesetzes gemessen wird.  Wenn ein Gesetz das Ziel hat, die Bearbeitungszeit von Bauanträgen drastisch zu reduzieren, muss das auch nach in harten Zahlen erkennbar sein. Wenn ein Gesetz seine Ziele nicht erfüllt, muss es so lange nachgebessert werden, bis es das tut oder es verliert seine Gültigkeit.

Unsere Welt verändert sich extrem, da können wir nicht mit dem bisherigen Tempo und den bisherigen Instrumenten weiter machen. Wir haben mit NEUSTAAT eine kleine Revolution vor und dafür viel Unterstützung auf verschiedenen Ebenen. Gemeinsam haben wir das Potenzial, unser Land auf eine neue Stufe zu heben.

Thomas Heilmann (1964) ist Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 2020 veröffentlichte er den Bestseller NEUSTAAT, für den er und seine Kollegin Nadine Schön vom Handelsblatt als eine der Visionäre des Jahres gekürt wurden. Heilmann war von 2012 bis 2016 Justizsenator von Berlin. Zuvor war er erfolgreicher Internet-Unternehmer und Startfinanzierter (u.a. Xing, MyToys und Faceboook) und Co-Gründer der bekannten Werbeagentur Scholz&Friends.

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