Ursula Heinen-Esser fordert eine grundsätzliche Debatte einen gesellschaftlichen Konsens über eine nachhaltige Zukunft der Landbewirtschaftung.
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Ursula Heinen-Esser
Landwirtschaft und Naturschutz – neue gesellschaftliche Anforderungen
Als Tierquäler, Gewässerverschmutzer und Bienentöter diffamiert – die Landwirtschaft, vor allem die konventionelle, hat in den letzten Jahren einen großen Imageverlust erlitten. Bei der intensiv geführten öffentlichen Debatte fehlt es bisweilen an Wertschätzung dessen, was die Landwirtschaft für die Allgemeinheit leistet. Auch in unserer digitalen Welt ist die Leistung der Bauern unersetzbar für die Sicherung unserer Ernährung und den Erhalt vielfältiger Natur- und Kulturlandschaften.
Die Landwirtschaft hat eine große Verantwortung für Mensch, Tier und Umwelt. Wir alle wünschen uns eine Agrarwirtschaft, die in attraktiven ländlichen Räumen nachhaltig wirtschaftet. Unser Idealbild verkennt gerne, dass Landwirte auch Unternehmer sind, mit allen wirtschaftlichen Risiken. Die Marktkrisen bei Milch und Fleisch, das Dürrejahr 2018 und die weiteren Folgen, die sich aus dem Klimawandel ergeben – all dies löst bei den Betrieben Verunsicherung aus und verschärft den Strukturwandel.
Der Trend geht gerade in der Tierhaltung zu großen Einheiten. Immer weniger Betriebe bearbeiten immer effizienter immer größere Flächen. Ein Drittel der Gesamtproduktion der deutschen Landwirtschaft wird mittlerweile exportiert. Der Preis für das Wachstum ist häufig hoch. Der Einsatz von Ressourcen und Pflanzenschutzmitteln steigt und die Abhängigkeit von Futterimporten wächst. Nachhaltiges Wirtschaften sieht anders aus. Das Höfesterben zeigt, dass es auch im Hinblick auf die ökonomische und soziale Nachhaltigkeit große Probleme gibt. Mit den Betrieben gehen nicht nur Arbeitsplätze sondern auch Strukturen, Kultur und Zusammenhalt im ländlichen Raum verloren.
Zur Wahrheit gehört auch, dass unser Verhalten als Konsumenten diese Entwicklung gefördert hat. Lebensmittel sollen makellos, von hoher Qualität, jederzeit verfügbar und vor allem preiswert sein. Vielen Bauern bleibt wegen des Preisdrucks kaum etwas anderes übrig, als noch kostengünstiger zu produzieren.
Eine grundsätzliche Debatte über eine nachhaltige Zukunft der Landbewirtschaftung ist überfällig – sowohl darüber, wie vor allem die Akzeptanz der landwirtschaftlichen Tierhaltung bei vielen Menschen wiederhergestellt werden kann, als auch im Hinblick auf den Klima- und Naturschutz.
Zusammen mit den Folgen des Klimawandels ist der Artenverlust die gegenwärtig größte ökologische, aber auch ökonomische Bedrohung. Auf Effizienz und maximalen Ertrag ausgerichtete Bewirtschaftung der Böden und Monokulturen sind für die Ökosysteme ein Problem. Die Berichte zum Insektensterben, die Rückgänge bei den typischen Feldvögeln zeigen deutlich, dass die Natur mehr Raum als bisher benötigt. Das erklärte Ziel, die biologische Vielfalt zu erhalten, steht häufig in Konkurrenz zu betriebswirtschaftlichen Erfordernissen.
Das erfolgreiche Volksbegehren in Bayern hat eindrucksvoll gezeigt, dass der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Immer weniger Menschen sind bereit, die Begleiterscheinungen der modernen Landwirtschaft als gegeben hinzunehmen – die Nährstoffbelastung von Böden und Gewässern, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die intensive artenfeindliche Flächennutzung.
Wir müssen uns neu ausrichten – und auch in der konventionellen Bewirtschaftung Wege und Produktionsverfahren finden, die unsere natürlichen Lebensgrundlagen sichern. Dabei brauchen die Landwirte zum einen politische Rückendeckung: Mehr Umweltschutz, mehr Artenschutz, mehr Tierschutz – ohne ein deutliches Signal, mehr öffentliche Gelder für diese öffentlichen Güter einsetzen zu wollen, sind diese Forderungen für die Betriebe nicht umzusetzen.
Zum anderen brauchen die Erzeuger einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass Lebensmittel von hoher Qualität ihren Preis wert sein müssen – eine Partnerschaft mit Verbrauchern, die ihre Unterstützung von Naturschutz und Tierwohl auch an der Supermarktkasse bekunden.
In der Tierhaltung gehören Praktiken der Vergangenheit hinterfragt – auch wenn sie Vorschriften und Ausnahmegenehmigungen genügen. Unwürdige Tiertransporte oder das Töten von Küken sind nicht länger tolerabel. In den Betrieben treffe ich immer wieder auf Landwirte, die mehr Umweltschutz und bessere Haltungsbedingungen umsetzen wollen. Durch mangelnde Planungssicherheit und ungünstige Rahmenbedingungen werden sie jedoch häufig ausgebremst – denn ihre Investitionen müssen sich natürlich rechnen. Besonders die tierhaltenden Betriebe brauchen Perspektiven, um mit Zielkonflikten und gesellschaftlichen Anforderungen zurechtzukommen. Gemeinsam mit den Landwirten – und nicht über ihre Köpfe hinweg – müssen wir uns auf den Weg zu einer nachhaltigen Nutztierhaltung machen, die tier- und umweltgerecht, aber auch ökonomisch und sozial fair ist.
Was in der Öffentlichkeit zu wenig Beachtung findet: Über das Instrumentarium freiwilliger Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen leisten Landwirte umfangreiche aktive Beiträge zur Erhaltung und Förderung der Artenvielfalt. Der Anbau vielfältiger Kulturen im Ackerbau, die Anlage von Blüh- und Schonstreifen, die extensive Grünlandnutzung und der ökologische Landbau – diese Maßnahmen sind nur wenige Beispiele dafür, dass Wertschöpfung und biologische Vielfalt kein Widerspruch sein müssen.
Derzeit steht die Nitratbelastung der Gewässer und die Diskussion um die Verschärfung der Düngeregeln sehr im Fokus. Kaum bekannt sind dagegen die langjährigen sehr erfolgreichen Wasserkooperationen zum Schutz des Grundwassers. Hier werden in freiwilligen lokalen Vereinbarungen zwischen Landwirtschaft und Wasserwirtschaft mit Unterstützung der Landwirtschaftskammern praxistaugliche Lösungen für den Gewässerschutz ausgehandelt.
Die Landwirtschaft hat erkannt, dass sie sich verändern muss, weil auch sie – wie die Gesellschaft insgesamt – von der Substanz unserer natürlichen Lebensgrundlagen lebt, sie aktuell die Akzeptanz in Teilen der Gesellschaft verloren hat und dadurch die Existenz vieler Betriebe gefährdet ist.
Ursula Heinen-Esser (1965) ist seit 2018 Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen. Zuvor war sie 1998 – 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages, 2007 als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium, 2009-2013 in gleicher Funktion im Bundesumweltministerium. 2014-2016 war sie Co-Vorsitzende der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfälle und danach Vorsitzende der Geschäftsführung der Bundesgesellschaft für Endlagerung.